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Politik

"Europäische Normalität" in Rumänien

Robert Schwartz
1. Oktober 2020

Die Wahl eines deutschen Staatsbürgers zum Bürgermeister in Temeswar/Timișoara sei ein positives Signal im vereinten Europa, sagt Ovidiu Ganț, Abgeordneter im rumänischen Parlament, im DW-Interview.

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Rumänien Ovidiu Ganț Temeswar
Ovidiu Ganț, Abgeordneter der deutschen Minderheit im rumänischen ParlamentBild: Lavinia Pitu/DW

Ovidiu Ganț: Signalwirkung in Richtung Parlamentswahlen

DW: Welches Zeichen geht von Ihrer Heimatstadt Temeswar aus, wo zum ersten Mal in Rumänien ein EU-Ausländer ohne rumänische Staatsbürgerschaft - der Deutsche Dominic Samuel Fritz - aus dem Stand heraus mit mehr als 52 Prozent der Stimmen Bürgermeister wurde?

Ovidiu Ganț: Ich werte das auch als ein Zeichen der Normalität im vereinten Europa. Die Europäischen Verträge erlauben die Kandidatur von EU-Ausländern in einem anderen Mitgliedstaat. Dominic Fritz hat diese Chance wahrgenommen und die Allianz USR PLUS in Temeswar war intelligent genug, ihn aufzustellen. Wohl wissend, dass diese Stadt schon immer eine liberale und weltoffene Gesellschaft hatte, multiethnisch und multikulturell, also das richtige Pflaster, um einen solchen Sieg zu erringen.

Dominic Fritz ist nicht nur kein rumänischer Staatsbürger, er gehört auch nicht der deutschen Minderheit hier an und ist auch kein Mitglied des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR). Trotzdem haben wir vom DFDR beschlossen, ihn öffentlich zu unterstützen. Ich glaube, es war die richtige Entscheidung. Ich wünsche ihm viel Erfolg und hoffe, dass er nicht enttäuschen wird.

Welche Bedeutung hat der Ausgang der rumänischen Kommunalwahlen für die kommenden Parlamentswahlen, die am 6. Dezember stattfinden sollen?

Ich glaube, die Kommunalwahlen werden ausschlaggebend sein für die nächsten Parlamentswahlen, insofern ein deutliches Ergebnis gezeigt hat, dass die großen Parteien das Sagen haben werden. Die vielen kleineren Parteien haben die Fünf-Prozent-Hürde nicht geschafft.

Hinzu kommt, dass nach all den Jahren, in denen die Parteien, die aus meiner Sicht das "rote Viereck" gebildet haben - die PSD, ALDE, Pro Romania und UDMR (die Sozialdemokratische Partei, die liberal-demokratische Splitterpartei ALDE, die aus der PSD abgewanderte Gruppierung Pro România sowie die politische Vertretung der ungarischen Minderheit - Anm. d. Red.) - alles getan haben, um die Justiz und den Rechtsstaat kaputt zu machen und eine national-populistische Politik geführt haben, diese abgestraft worden sind. Es ist ganz deutlich ein Sieg der PNL (National-Liberale Partei) und der Allianz USR PLUS (ein öko-bürgerliches Parteienbündnis).

Im Falle der letzt genannten Allianz ist das Ergebnis sogar eklatant, da sie bis jetzt keine Bürgermeister hatte und aus dem Nichts Siege einfahren konnte in Bukarest und anderen Großstädten wie Temeswar/Timișoara oder Kronstadt/Brașov. Ich muss hervorheben, dass Premierminister Ludovic Orban die sehr gute Idee hatte, in der Hauptstadt einen gemeinsamen Kandidaten (den parteilosen Bürgerrechtler Nicușor Dan - Anm. d. Red.) für seine PNL und die Allianz USR PLUS aufzustellen. Nur so konnte der Sieg gegen die amtierende PSD-Bürgermeisterin errungen werden.

Dieser gemeinsame Wahlsieg in Bukarest hat eine Signalwirkung in Richtung Parlamentswahlen. Auch die Abwahl der sogenannten "roten Barone" in einigen Regionen Ost- und Südostrumäniens ist ein klares Zeichen dafür, dass auch dort Normalität einkehrt und dass viele Menschen auch außerhalb des Banats oder Siebenbürgens verstanden haben, was letztendlich zählt: pro-europäisch, weltoffen und nicht national-populistisch wie bisher.

Ist das sehr gute Wahlergebnis der pro-europäischen Allianz USR PLUS auch ein Zeichen dafür, dass die altgedienten Parteien und ihr Establishment ins Wanken geraten?

Das ist eine generelle Tendenz in Europa, dass neue Parteien erscheinen. Ich glaube, dass es zum Teil schon so ist, wie Sie das formuliert haben. Vor allem, weil diese Partei wichtige Werte vertritt wie zum Beispiel die Bekämpfung der Korruption - selbstlobend muss ich sagen, dass sich das DFDR dieser Kampagne angeschlossen hat. Es muss endlich in unsere Verfassung aufgenommen werden, dass Vorbestrafte nicht mehr für öffentliche Ämter kandidieren dürfen.

Dieses gute Wahlergebnis kam aber auch dadurch zustande, dass die Allianz USR PLUS unbefleckte und bis vor kurzem völlig unbekannte Kandidaten aufgestellt hat. Sie haben keine Leichen im Keller. Außerdem haben sie ziemlich konsequent keine Überläufer aus anderen Parteien akzeptiert, was ein großer Fehler anderer großer Parteien war. Sie haben dennoch ein Problem - sie müssen sich noch ideologisch selbst definieren, weil es noch ziemlich unklar ist, wie sie sich gesellschaftlich positionieren. Auf europäischer Ebene sind sie zwar bei der Fraktion "Renew Europe", aber wir wissen, wie diese Fraktion im Europäischen Parlament zustande gekommen ist. Trotzdem: Sie sind auf dem richtigen Weg, eine richtige Partei in Rumänien zu werden.

Sie haben Ihren Hut wieder in den Ring geworfen und streben ein weiteres Mandat als Abgeordneter der deutschen Minderheit im rumänischen Parlament an. Was bedeutet das für Sie, in einem neuen Parlament, einer neuen politischen Konstellation für die Rechte und Interessen der deutschen Minderheit einzutreten?

Ich habe insofern den Hut in den Ring geworfen, da die Gemeinschaft es so wollte. Mein Wille allein hätte nicht ausgereicht. Ich habe mich dazu bereit erklärt, aber letztendlich war die Abstimmung in der Vertreterversammlung des DFDR entscheidend. Die Vertreter aller Regionen Rumäniens im DFDR haben sich für meine erneute Kandidatur ausgesprochen. Das werte ich als Anerkennung meiner bisherigen Tätigkeit und als Ermutigung, weiter zu machen. Ich will versuchen, im neuen Parlament die gleiche Politik weiter zu führen. Das, was das DFDR in seiner 30-jährigen Geschichte geleistet hat, ist großartig. Als nach der Wende 1990 die meisten Angehörigen der deutschen Minderheit nur noch daran dachten, wie schnell sie nach Deutschland auswandern konnten, hat sich diese kleine Gruppe, die geblieben ist, zusammengetan und das DFDR gegründet. Das "Deutsche Forum" war als Vehikel gedacht, um die deutsche Minderheit zu vertreten, aber auch, um sich in der Gesellschaft zu positionieren.

Mit Erfolg, muss man anerkennend feststellen...

Dass uns dies musterhaft gelungen ist, wird durch die Wiederwahl der DFDR-Bürgermeisterin in Hermannstadt/Sibiu, Astrid Fodor, bestätigt. Die Anzahl der Siebenbürger Sachsen in Hermannstadt ist zwar statistisch irrelevant (rund 1,5 Prozent der Bevölkerung - Anm. d. Red.), aber die Bürgermeisterin genießt das volle Vertrauen der rumänischen Mehrheitsbevölkerung.

Staatspräsident Klaus Iohannis stammt aus der deutschen Minderheit in Rumänien
Staatspräsident Klaus Iohannis stammt aus der deutschen Minderheit in RumänienBild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Ja, unsere Minderheit wirkt aktiv am politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben des Landes mit. Hier will ich auch auf die enge Zusammenarbeit mit dem rumänischen Staatspräsidenten Klaus Iohannis, selbst Angehöriger der deutschen Minderheit, hinweisen. Außenpolitisch muss ich unsere Funktion hervorheben als kleine, aber wichtige Formation, die sich für die Außenbeziehungen Rumäniens vor allem zu Deutschland einsetzt.

Kommen wir noch einmal zurück zu den Kommunalwahlen vom 27. September. Kann man das Ergebnis dieser Wahlen als Ende der Transition zur Demokratie in Rumänien bezeichnen, 30 Jahre nach der Wende?

Das ist schwer zu sagen, ob es tatsächlich das Ende der Transition ist, zumal noch große Teile Rumäniens eine populistisch-nationalistische Politik goutieren, indem sie die postkommunistische PSD weiterhin gewählt haben. Ich glaube, das ist auch regional unterschiedlich. Das Banat und Siebenbürgen sind längst Teil Mitteleuropas - historisch, aber auch dank der Mentalität der Menschen hier. Das kann man von den restlichen Regionen nicht unbedingt sagen - mit einigen Ausnahmen, wie zum Beispiel große Teile Bukarests oder Jassy/Iași (in Nordostrumänien) als Universitätsstadt.

Das ist der wichtigste Aspekt, den wir überall in Osteuropa beobachten können: Es ist bei weitem das schwierigste, die Mentalität der Menschen zu ändern. Man kann Institutionen schaffen, man kann den Acquis communautaire (der EU) übernehmen, man kann alles Mögliche tun, aber die europäische weltoffene Mentalität ist für viele noch nicht erreicht. Es gibt noch viele Nostalgiker nach dem Kommunismus, National-Populisten, die leider Gottes in manchen Staaten Osteuropas heutzutage auch noch das Sagen haben - Gott sei Dank in Rumänien nicht. Wenn vielleicht 2024 dieses Ergebnis bestätigt und vielleicht noch mal übertroffen wird, dann können wir davon sprechen, dass wir uns endgültig vom Nationalkommunismus verabschiedet haben.

Ovidiu Ganț, Mathematiklehrer am Nikolaus-Lenau-Lyzeum in Temeswar, ist seit 2004 Abgeordneter der deutschen Minderheit im rumänischen Parlament.