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"Europa wird noch nicht als Einheit gesehen"

Marcel Gluschak29. März 2005

Der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Jeremy Rifkin bezeichnet den europäischen Einigungsprozess als "Silberstreif am Horizont einer geplagten Welt". Wie aber wird die EU im Rest der Welt wahrgenommen?

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Die EU: mehr als nur ein Nebeneinander?Bild: European Community, 2004

Auch, wenn man in Brüssel stolz darauf ist, schon so eng unter dem Sternenbanner zusammengerückt zu sein: In afrikanischen Ländern ist diese Botschaft noch kaum angekommen. Dafür sei Europa einfach zu unterschiedlich, sagt der britische Medienforscher Graham Mytton. "Europa wird noch nicht als Einheit gesehen", meint er. "Die einzelnen Staaten haben ein viel stärkeres Image, vor allem die westeuropäischen, und Europa steht nicht für eine Sprache und eine Kultur."

Erinnerungen an Kolonialzeit sitzen tief

Historische Städte, bedeutende Künstler, große Entdecker - Europa erscheine in der Vorstellung vieler Afrikaner als Hochburg der Kultiviertheit, so Mytton. Neben diesem positiven Europa-Bild sitze aber noch immer die Erinnerung an die kolonialistische Vergangenheit sehr tief. "Es gibt keinen Teil Afrikas, der nicht durch Europa beeinflusst

wurde", sagt Mytton. "Kolonialherrschaft, Sklaverei und die heutige wirtschaftliche Abhängigkeit haben zu einer Mischung aus Abneigung und Liebe geführt."

Die Kolonial-Erfahrung hemme auch heute noch die Entwicklung der Länder, weil sich viele Menschen vom Abhängigkeitsdenken nicht befreit hätten, meint der ehemalige Afrika-Korrespondent Hans-Josef Dreckmann. "Auch heute noch denken viele Afrikaner, dass die Weißen alles besser wissen und machen und man ihnen deshalb alles überlassen sollte", meint Dreckmann. "So lange dieses Denken vorherrscht, gibt es tatsächlich wenig Unabhängigkeit, vor allem im Denken."

EU als Vorbild für Lateinamerika

Auch das Europa-Bild in Lateinamerika sei stark auf die ehemaligen Kolonial-Staaten fixiert, sagt Hartmut Hentschel, der seit 1989 in Argentinien lebt und dort ein Meinungsforschungsinstitut leitet. "Spanien wird zum Beispiel als das Mutter-Vater-Land bezeichnet."

Die EU-Erweiterung habe das Interesse der Südamerikaner kaum auf die östliche Hälfte Europas gelenkt. Sie betrachten den Prozess der Erweiterung vor allem unter ökonomischen Gesichtspunkten, weil man die EU als Vorbild für die lateinamerikanische Wirtschaftszone ansehe. "Viele Lateinamerikaner blicken etwas neidisch auf die Erfolge der Europäer", erklärt Hentschel und verweist auf die eher bescheidenen Fortschritte des Mercosur.

Eines sei jedoch offensichtlich: Das Interesse an Europa ist groß, doch die Berichterstattung in den Medien dünn, so Hentschel: "Über 50 Prozent der Argentinier würden gerne mehr und intensiver über Europa und Deutschland erfahren." Ähnlich ist es auch in Asien.

Umfassende Berichterstattung nicht finanzierbar

Der indische Medienwissenschaftler Keval Kumar sieht das Problem vor allem darin, dass sich die dortigen Medien keine intensive Berichterstattung über die Europäische Union leisten könnten. "Indien schaut auf zu Europa - wegen seiner Industrialisierung, seines Reichtums, seiner Literatur und Kultur", meint der Medienwissenschaftler. "Wir interessieren uns also sehr für Europa, aber wir können eine umfassende Berichterstattung nicht bezahlen." Kumar berichtet, dass es nur vier indische Zeitungskorrespondenten in Europa gebe - alle in London. Er könne sich nicht vorstellen, dass das Indische Fernsehen überhaupt einen Korrespondenten in Europa habe.

Europäer selber schlecht informiert

Graham Mytton findet jedoch, dass man auch die umgekehrte Frage stellen müsste: Wie viel wissen Europäer zum Beispiel über Länder in Afrika? "Ich habe immer die Erfahrung gemacht, dass Afrikaner mehr über Europa wissen, als Europäer über Afrika", sagt er. "Dadurch habe ich den Eindruck, dass Menschen Informationen umso mehr achten, je schwieriger es für sie ist, sie zu bekommen." Es sei erstaunlich, dass die Europäer trotz ihrer Nachrichtenfülle so schlecht über andere Länder informiert seien.