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Märkte öffnen

31. August 2009

Durch die deutsch-brasilianischen Wirtschaftstage sollen Investitionen und Handel ausgebaut werden. Doch dazu bräuchte es deutlich mehr politischen Willen auf beiden Seiten, meint Johannes Beck in seinem Kommentar.

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Bild: DW

Seit zehn Jahren verhandelt die Europäische Union über ein Freihandelsabkommen mit dem Mercosur, dem Gemeinsamen Markt Südamerikas. Passiert ist seitdem nichts. Seit fünf Jahren sind die Gespräche praktisch komplett ausgesetzt. Die Vision zollfreier Exporte von São Paulo nach Lissabon, von Buenos Aires nach Madrid oder von Santiago de Chile nach Berlin scheint begraben.

Dabei wäre viel Potential für mehr gemeinsamen Handel vorhanden. Die Europäer könnten mehr Industrie-Produkte nach Südamerika exportieren: zum Beispiel Maschinen, Medizintechnik oder Windräder. Hier produzieren deutsche, italienische oder spanische Firmen oft deutlich preiswerter als ihre südamerikanische Konkurrenz. Umgekehrt könnten die Europäer landwirtschaftliche Güter wie Rindfleisch, Zucker oder Orangensaft zu günstigen Preisen und in hoher Qualität aus Brasilien beziehen.

Widerstand gegen Ende der Zölle

Doch gerade weil es so viel Potential für den gegenseitigen Handel gibt, ist der Widerstand gegen ein Ende der Zölle so groß. Es ist vor allem der französischen Agrarlobby zu verdanken, dass die Pläne für den Freihandel mit Südamerika auf Eis gelegt wurden. Doch auch in Deutschland gibt es genug Bremser. So kann ich mir kaum vorstellen, dass es sich länger lohnen würde, in Deutschland Zucker aus Rüben herzustellen, wenn preiswerter Rohrzucker aus Brasilien importiert werden dürfte. Ebenso fürchtet die deutsche Biotreibstoff-Industrie eine Invasion konkurrenzlos günstigen Ethanols, sollten die Grenzen für die Produzenten aus Brasilien geöffnet werden.

Dass die europäischen Konsumenten bei einem europäisch-südamerikanischen Freihandel von sinkenden Preisen profitieren könnten, interessiert letztendlich leider wenig. Selbst mächtige Industrieverbände wie der BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie), der die deutsch-brasilianischen Wirtschaftstage organisiert, konnten da bisher nichts ausrichten. Wenn Europas Landwirte protestieren, ist bisher noch fast jeder Politiker eingeknickt.

Frage des Freihandels

Es wäre gut, wenn der deutsche Wirtschaftsminister Karl-Theodor von und zu Guttenberg seine aktuelle Reise nach Brasilien zum Anlass nehmen würde, die festgefahrenen Handelsgespräche zwischen den beiden Kontinenten wiederzubeleben. In Europa braucht es gerade in Zeiten der internationalen Finanzkrise dringend eine starke Lobby für den Freihandel.

Gerade weil in schweren Zeiten Populismus und Protektionismus Oberhand gewinnen, wäre es umso wichtiger, Signale für mehr Freihandel zu setzen. Signale, dass man die Fehler der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren vermeiden möchte, als viele Regierungen die Zölle erhöht und so die Krise vertieft hatten. Und wer könnte das besser tun als der Wirtschaftsminister des so genannten Exportweltmeisters Deutschland?

Lateinamerika muss handeln

Doch Hausaufgaben sind auch in Südamerika zu erledigen. Der Gemeinsame Markt des Südens ist seit der Aufnahme Venezuelas kaum mehr handlungsfähig. Die Integration stockt. Zudem überbieten sich die Politiker Lateinamerikas in einem sinnlosen Wettbewerb mit immer neuen Integrationsprojekten, bevor sie die anderen auch nur halbwegs zu Ende gebracht haben: Anden-Gemeinschaft, MERCOSUR, ALBA, UNASUR...

Und auch die südamerikanische Agrar-Lobby - hier vor allem von Großgrund-Besitzern - muss gezähmt werden. Sie verhindert bisher in Brasilien (und auch in Argentinien) einen wirksamen Schutz der Tropenwälder.

Problemfaktor Rinderzucht

Solange vor allem die Rinderzucht dafür verantwortlich ist, dass der Amazonas abgebrannt wird; solange für neue Soja-Plantagen die Wälder des Cerrado hemmungslos gerodet werden; solange wäre es ein ökologische Desaster, wenn Europas Regierungen ihre Handelsschranken für brasilianisches Rindfleisch aufheben würden. Hier muss die brasilianische Regierung endlich zeigen, dass sie Willens ist, die Entwaldung wirklich zu stoppen. Die üblichen Lippenbekenntnisse des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio "Lula“ da Silva helfen da nicht weiter.

Schwere Herausforderungen für die Politiker in Südamerika und Europa. Doch, wenn diese Probleme nicht gelöst werden, werden in Zukunft andere Nationen die Geschäfte machen. Brasilien und seine Nachbarländer finden im Süden zunehmend Alternativen zu den klassischen Partnern Europäische Union und USA. So ist seit 2003 der Handel zwischen Lateinamerika und China jedes Jahr um durchschnittlich 40 Prozent gestiegen. Ein Weckruf für die Europäer.

Autor: Johannes Beck

Redaktion: Anna Kuhn-Osius