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Russland vor Wahlen

9. Juni 2011

Michail Kassjanow und Wladimir Ryschkow von der Partei der Volksfreiheit haben in Berlin Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft getroffen. DW-WORLD.DE sprach mit den beiden russischen Oppositionellen.

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Ein Wähler wirft in Russland einen Stimmzettel in eine Wahlurne (Foto: dpa)
Kreml und Opposition bereiten sich auf Wahlen vorBild: dpa

DW-WORLD.DE: In Russland hat faktisch der Parlamentswahlkampf begonnen. Auch Ihre Partei der Volksfreiheit will bei den Duma-Wahlen antreten. Warum sind Sie nach Berlin gekommen? Sollten Sie jetzt nicht besser um Wählerstimmen in Russland kämpfen?

Michail Kassjanow: Für uns hat der Wahlkampf noch nicht begonnen. Noch kämpfen wir für die Zulassung unserer Partei, also darum, uns an den Wahlen überhaupt beteiligen zu können! Sobald wir die staatliche Registrierung erhalten, wird es unsere Aufgabe sein, in die Regionen zu fahren, unter die Menschen zu gehen und ihnen zu sagen, was im Land geschieht, und wie wir uns die Russische Föderation vorstellen.

Wladimir Ryschkow (Foto: DW)
Wladimir RyschkowBild: DW

Wladimir Ryschkow: Natürlich gilt das Hauptaugenmerk der Arbeit in Russland selbst. Da wir jetzt für die Zulassung der Partei kämpfen, sollte man nicht die europäischen Institutionen ignorieren, die auf die Situation in Russland Einfluss nehmen können. Es ist sehr wichtig, den deutschen Politikern und der deutschen Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass ohne die Zulassung von Oppositionsparteien die Wahlen im Dezember 2011 eine Farce sein werden. Uns ist die Position Deutschlands, des Europarats, des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte sowie des Europäischen Parlaments sehr wichtig.

Glauben Sie wirklich, dass die Haltung Europas, Deutschlands, der westlichen Öffentlichkeit Einfluss auf Premier Wladimir Putin und seine Mannschaft haben kann?

Michail Kassjanow: Davon bin ich überzeugt. Putin und seiner Mannschaft, wie Sie richtig sagen, ist es nicht gleichgültig, wie der Westen mit ihnen umgeht. Diese Menschen versuchen, die führenden westlichen Politiker davon zu überzeugen, dass das Regime in Russland normal und akzeptabel ist. Aber wir sagen: Nein, dieses Regime darf man nicht akzeptieren. Die Russische Föderation ist Mitglied des Europarats und der OSZE, was rechtliche Verpflichtungen mit sich bringt, darunter die Durchführung freier Wahlen.

Wladimir Ryschkow: Ich denke, dass man in Europa die Möglichkeiten der Europäischen Union, des Europarats und der OSZE unterschätzt, auf die Lage in Russland Einfluss zu nehmen. Das Regime in Russland ist korrupt und kleptomanisch. In den letzten Jahren sind Dutzende Milliarden Dollar dem russischen Volk gestohlen und ins Ausland geschafft worden – es wurden Immobilien gekauft, Konten in westlichen Banken eröffnet und so weiter. Die größte Bedrohung für ein total korruptes Regime sind Sanktionen bei der Visa-Erteilung für europäische Länder, in denen Familienangehörige eben dieser Vertreter des Regimes leben, in denen sie Immobilien besitzen. Doch auch eine mögliche Beschlagnahme von Eigentum, die Sperrung von Konten und Ermittlungen wegen Korruption wären Drohszenarien.

Ist die Frage bereits entschieden, wer der nächste Präsident Russlands wird?

Michail Kassjanow: Putin will antreten. Aber wer schließlich Präsident wird, ist noch unklar. Wenn unsere Partei zugelassen wird, kann sich die Situation radikal ändern, einschließlich der Ergebnisse der Präsidentschaftswahl.

Wladimir Ryschkow: Putins Zeit ist vorbei. Das sagen die Menschen, und das zeigen auch Erhebungen, sogar von Kreml-freundlichen Instituten. Unsere Aufgabe ist, unsere Wahlzulassung zu erreichen und dann die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zu gewinnen. Deren Ausgang ist aus unserer Sicht offen. Es ist klar, dass Putin wie jeder autoritäre Führer mit allen Mitteln versuchen wird, seine Macht zu erhalten. Aber uns ist ebenso klar, dass die Gesellschaft Veränderungen will. Es ist interessant, dass die Menschen weder Putin noch Medwedew wollen. Sie wollen eine neue Führungspersönlichkeit, die die Lage zum Besseren wendet.

Herr Kassjanow, wie bewerten Sie das derzeitige Verhältnis zwischen Putin und Medwedew?


Michail Kassjanow (Foto: DW)
Michail KassjanowBild: DW

Michail Kassjanow: Medwedew erfüllt die Funktion, die er mit Putin verabredet hat. Der Präsident ist kein selbständiger Politiker. Es gibt mit Putin auch keine Meinungsverschiedenheiten in grundsätzlichen Fragen. Alles, was von den Medien als Meinungsverschiedenheit dargestellt wird, hört noch am selben Abend auf, eine solche zu sein. Es sind keine Veränderungen zu erwarten, die auf Meinungsverschiedenheiten zwischen diesen beiden Männern zurückzuführen sind. Es gibt keinen Zweifel, dass Putin wieder Präsident der Russischen Föderation werden will. Putin hat eine Volksfront gegründet und nun will er versuchen, die Duma-Wahl im Dezember zum Referendum über das Vertrauen in ihn zu machen. Putins Partei Einiges Russland will 65 Prozent der Mandate erreichen, also wieder die Verfassungsmehrheit. Wenn dieses "Referendum" wie vorgesehen glückt, dann würde dies bedeuten, dass die Präsidentschaftswahl im März 2012 für Putin nur noch Formsache wäre.

Das Gespräch führte Nikita Jolkver

Redaktion: Markian Ostaptschuk / Birgit Görtz