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EU sucht Dschihadisten

Bernd Riegert9. Juli 2014

Bei der EU schrillen die Alarmglocken: Die Innenminister wollen mögliche islamistische Attentäter aus Europa aufspüren. Die Zahl der "hausgemachten" Terrorverdächtigen könnte steigen. Mehr Kontrollen sind eine Folge.

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Ein Polizist kontrolliert einen Pass (Foto: dpa)
Bild: picture alliance/dpa

Gilles de Kerchove macht sich Sorgen um die Sommerferien. Der Anti-Terror-Beauftragte der Europäischen Union befürchtet, dass im Sommer die Zahl radikalisierter junger Moslems ansteigen könnte, die aus Europa nach Syrien oder in den Irak aufbrechen, um sich dort als islamistischer Dschihadist oder Attentäter ausbilden zu lassen. Es seien oft Schulabgänger, manchmal sogar Minderjährige, die sich auf den Weg in den Nahen Osten machten, berichtete de Kerchove den EU-Innenministern bei ihrer Tagung in Mailand.

Die Ausrufung eines islamistisch-sunnitischen Staates, des "Kalifats", durch die Terrorgruppe ISIS in Syrien und im Irak könnte ein weiterer Faktor bei der Anwerbung sein, so der Anti-Terrorbeauftragte. "Viele, die das Kalifat als endgültiges Ziel ansehen, wollen einfach nicht abwarten. Sie wollen dabei sein, wenn es entsteht", sagte de Kerchove in Mailand. Die EU schätzt, dass sich rund 2000 EU-Bürger oder Ausländer mit EU-Aufenthaltstitel als Kämpfer im syrischen Bürgerkrieg oder in islamistischen Ausbildungslagern befinden.

Anschlag von Brüssel macht Gefahr deutlich

Die EU-Innenminister wurden vor allem durch den Anschlag eines mutmaßlichen französischen Dschihadisten aufgeschreckt. Er hatte Ende Mai in Brüssel vier Menschen in einem jüdischen Museum umgebracht. Der Tatverdächtige, der nur per Zufall Tage nach der Tat in Marseille festgenommen werden konnte, soll in Syrien für die ISIS gekämpft haben. "Aus der abstrakten Gefahr der Rückkehrer ist eine konkrete Gefahr geworden", hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière schon bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts im Juni gesagt.

Gilles de Kerchove im Porträt (Foto: DW/B.Riegert)
De Kerchove: Kalifat lockt junge LeuteBild: DW/B. Riegert

Nach Informationen der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" soll der Attentäter bei seiner Einreise über den Frankfurter Flughafen den deutschen Beamten aufgefallen sein. Nach Rücksprache mit französischen Behörden konnte er aber weiterreisen. Die deutsche Polizeigewerkschaft spricht von tickenden Zeitbomben. Am Tag vor dem Ministertreffen in Mailand meldete die Polizei in Luxemburg die Festnahme eines zurückgekehrten Dschihadisten, der einen Anschlag geplant haben könnte.

Vertraulicher EU-Plan für stärkere Kontrollen

Nach Angaben des Anti-Terror-Beauftragten der EU haben sich neun EU-Staaten zusammengeschlossen, die von den Rückkehrern am meisten betroffen sind, darunter auch Deutschland. Diese Staaten wollen nun einen Aktionsplan umsetzen, dessen Einzelheiten allerdings vertraulich sind. Der Plan umfasse Verbesserungen beim Datenaustausch über Verdächtige, bei der Kontrolle von Ein- und Ausreisen an den Außengrenzen der EU, sagte Gilles de Kerchove. Außerdem sollten Fluggast-Daten besser vernetzt und ausgewertet werden. So solle "das Aufspüren von möglichen islamistischen Kriegern und Rückkehrern aus Syrien oder Irak" wesentlich erleichtert werden.

Thomas de Maiziere im Gespräch mit Journalisten (Foto: DW/B.Riegert)
De Maizière: Falls nötig, das Recht ändernBild: DW/B. Riegert

Im Oktober wolle die italienische Ratspräsidentschaft konkrete Gesetzesinitiativen zu einzelnen Fragen vorlegen, kündigte der italienische Innenminister Angelino Alfano in Mailand an. Bundesinnenminister Thomas de Maizière sprach sich ebenfalls dafür aus, die Kontrollen von Ein- und Ausreisen von möglichen Dschihadisten und "Gefährdern" zu verstärken. Die EU-Innenminister sind sich einig, dass die Sicherheitsbehörden die Verdächtigen nach der Wiedereinreise identifizieren und lückenlos überwachen müssten. Nachgedacht wird über eine Aberkennung der Staatsbürgerschaft von besonders gefährlichen Personen. So soll verhindert werden, dass sie wieder in die EU einreisen können, hieß es von EU-Diplomaten.

Islamistische Webseiten sollen aus dem Netz gefischt werden

Die EU will auch eine stärkere Überwachung des Internets prüfen, das von den Islamisten als Werkzeug für Propaganda und Anwerbung geschickt genutzt werde, sagte der Anti-Terror-Beauftragte Gilles de Kerchove. Er verwies auf Großbritannien, das bereits 35.000 Internetseiten aus dem Netz habe entfernen lassen. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström ist darüber mit den großen Internetfirmen wie Google, Twitter und Facebook im Gespräch.

Ein Mann steht vor einer Wand, an der Waffen hängen (Foto: Picture-alliance/AFP)
Martialische Bilder im Netz: Syrische RebellenBild: picture-alliance/AP Photo

Nicht nur auf diesem Feld soll die Zusammenarbeit mit den USA verstärkt werden. US-Präsident Barack Obama hatte noch am Wochenende in einem Fernseh-Interview davor gewarnt, dass europäische Dschihadisten in die USA einreisen könnten. Die meisten EU-Bürger können ohne Visum in die USA einreisen. Die EU prüft auch eine Übernahme der jüngsten Sicherheitsmaßnahmen der US-Behörden im Flugverkehr. Batterien von Laptops und Mobiltelefonen sollen überprüft werden. "Es geht um die Entdeckung von Verstecken für Sprengstoffe ohne Metallanteile", sagte dazu Gilles de Kerchove.

"Systematische" Kontrollen für jedermann an den Außengrenzen

Ganz praktische Auswirkungen könnten die Versuche der EU, Dschihadisten zu entdecken, demnächst für viele Reisende haben. Die EU könnte an ihren Außengrenzen die Personenkontrollen auch für Bürger aus den 28 EU-Staaten verschärfen. Bislang wird bei der Einreise nur geprüft, ob Pass oder Personalausweis echt und gültig sind. "Wir brauchen nationale und europäische Schritte, um die Informationsbasis für die Kontrolleure an den Grenzen zu verbessern. Ihnen sollen Hintergrund-Informationen auch anderer Dienste über Bedrohungen zugänglich sein", so de Kerchove. Grenzbeamte sollen also künftig auch Angaben zur bisherigen Reiseroute des Einreisenden, zu möglichen Fahndungen und Informationen von Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten erhalten, damit Verdächtige aus dem Strom der Reisenden herausgefiltert werden können.

Eine solche Verstärkung der Kontrollen könnte im Einzelfall eine Änderung von Gesetzen und Vorschriften im Schengen-Raum erfordern, in dem im Prinzip ein Reiseverkehr ohne Personenkontrollen gelte, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Die Kontrollen müssten auch mit Drittstaaten koordiniert werden, forderte der Anti-Terror-Beauftragte der EU, Gilles de Kerchove. Er nannte vor allem die Türkei als wichtiges Transitland für mutmaßliche islamistische "Gotteskrieger". Aber auch mit Staaten wie Libanon, Jordanien, Libyen, Ägypten und dem Maghreb müsse man sprechen, so de Kerchove.