1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Schulden machen gegen Corona

23. März 2020

Das gab es noch nie: Die EU lässt Schulden in unbegrenzter Höhe zu, um das Coronavirus zu bekämpfen. Doch ein Freifahrtschein ist das nicht, denn das Geld müssen die Märkte geben. Aus Brüssel berichtet Bernd Riegert.

https://p.dw.com/p/3ZvlF
Taschenrechner Schulden
Bild: fotolia/Gina Sanders

Die Finanzminister der Europäischen Union haben in einer Telefonkonferenz zugestimmt, die Notfallklausel des Stabiltäts- Wachstumspaktes des EU zu aktivieren. Normalerweise dürfen die EU-Staaten nur drei Prozent ihrer Wirtschaftskraft jährlich als neue Schulden aufnehmen. Die Gesamtschuldenlast soll 60 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) nicht übersteigen. Diese ehernen Regeln, über die in der Vergangenheit so heftig gerungen wurde, werden jetzt vorläufig außer Kraft gesetzt. Corona macht es möglich. Im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus soll es den Staaten kurzzeitig erlaubt sein, an den Kapitalmärkten Anleihen zu verkaufen, um Hilfspakete für die Wirtschaft finanzieren zu können. Die Finanzminister wollen größtmögliche Flexibilität. "Beinfreiheit" nennt das EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

"Schock begrenzen"

"Der erhebliche wirtschaftliche Abschwung, der dieses Jahr jetzt erwartet wird, erfordert eine resolute, ambitionierte und koordinierte Antwort", teilten die Minister nach ihrer Video-Schalte in einer Stellungnahme mit. "Wir müssen entschlossen handeln, damit der Schock so kurz und begrenzt wie möglich wirkt und keinen dauerhaften Schaden an unserer Wirtschaft auslöst und die öffentlichen Finanzen mittelfristig untergräbt." Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte, bevor er mit seinen europäischen Kollegen kooperierte, einen Nachtragshaushalt von 156 Milliarden Euro für dieses Jahr auf den Weg gebracht. Mit dieser sensationell hohen Neuverschuldung ist die "Schwarze Null", also der ausgeglichene Haushalt, in Deutschland Geschichte.

Berlin Finanzminister Olaf Scholz
Scholz: Mit gewaltigen Milliarden-Summen gegen eine gewaltige RezessionBild: picture-alliance/AA/A. Hosbas

"Der Stabiltätspakt gilt weiter"

Der wirtschaftspolitische Sprecher der Christdemokraten im Europäischen Parlament, Markus Ferber (CSU), weist darauf hin, dass der Beschluss der Minister kein Freifahrtschein für ungezügelte Schulden sei. Es komme sehr darauf an, ob die Finanzmärkte von der Corona-Krise schwer getroffenen Staaten wie Italien überhaupt Geld zu erträglichen Kosten leihen werden. Schon jetzt ist der Zins für zehn Jahre laufende italienische Staatsanleihen bei drei Prozent. Deutsche Staatsanleihen liegen noch bei negativen Zinsen. "Die Mitgliedsstaaten bekommen mehr Spielräume, aber der Stabiltäts- und Wachstumspakt ist nicht außer Kraft gesetzt. Das Thema der Schuldentragfähigkeit bleibt bestehen. Staaten wie Italien und Frankreich, die da wenig Spielraum haben, können jetzt auch nicht überbordende Schulden machen. Länder, die großen Spielraum haben, wie Deutschland können da mehr gestalten", sagte Markus Ferber der DW in Brüssel.

Markus Ferber NEU
Ferber: Keine gemeinsamen Schulden wegen CoronaBild: DW/B. Wesel

Corona-Bonds

Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte fordert deshalb auch, dass die EU-Staaten gemeinsam Schulden in Form von "Corona-Bonds" aufnehmen. Dann würde sich Italien quasi die Bonität von Deutschland und anderen solventen Staaten leihen, um selbst zu niedrigen Zinsen an Geld zu gelangen. Die Sozialisten im Europäischen Parlament stützen die gemeinschaftlichen Schulden ausdrücklich. "Da Europa die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg meistern muss, müssen wir als Europäer solidarisch füreinander einstehen", forderte die Fraktionsvorsitzende der Sozialisten, Iratxe Garcia, aus Spanien. Der Finanzexperte der Christdemokraten, Markus Ferber, lehnt "Corona-Bonds" ab. "Es geht immer um das gleiche Prinzip. Die Risiken sollen auf andere Staaten übertragen werden. Die Haftung soll übertragen werden. Das kann nicht funktionieren, weil es langfristig dazu führt, dass man die Corona- oder Eurobonds nie mehr los wird. Das heißt, man kommt in die Vergemeinschaftung der Schulden."

Das kontroverse Thema "Corona-Bonds", das die nördlichen solventen Euro-Staaten bislang ablehnen, wird in der heutigen Stellungnahme der Finanzminister nicht erwähnt. Damit sollen sich die Chefs und Chefinnen am Donnerstag beim Gipfel-Videotelefonat der Staats- und Regierungschefs beschäftigen. Ebenso wenig erwähnt wurde der Europäische Rettungsschirm (ESM). Einige Wirtschaftswissenschaftler und auch die Sozialisten im Europäischen Parlament fordern, den Rettungsschirm, der von zehn Jahren in der Staatsschulden-Krise geschaffen wurden, jetzt zu aktivieren.

Italien Rom | Coronavirus | Giuseppe Conte, Ministerpräsident
Italiens Premier Conte: Am Rande des Abgrund sucht er FinanzierungsquellenBild: Reuters/R. Casilli

Rettungsschirm aufspannen?

Der ESM hat eine Kredit-"Feuerkraft" von 420 Milliarden Euro, basierend auf 80 Milliarden Euro Eigenmitteln, die die Euro-Staaten eingezahlt haben. Der Europaparlamentarier Markus Ferber warnt davor, den ESM bereits jetzt einzusetzen. Jetzt gehe es um Hilfspakete für die Wirtschaft, die die Staaten finanzieren sollten. Wenn am Ende der Krise dann einzelne Staaten in fiskalische Schieflage geraten, sei es Zeit für den Rettungsschirm,  so Ferber. "Deshalb sollten wir das Pulver des ESM, die Schlagkraft des ESM, noch trocken halten, weil wir werden die Probleme erst bekommen, wenn Corona längst bekämpft ist und die Wirtschaft wieder langsam anläuft. Dann werden wir auf dem Kapitalmarkt sehen, ob die Gläubiger den Staaten, die sich dann bis über beide Ohren verschuldet haben, noch trauen."

Auf die simple Fragen, wer die vielen Rettungspakete und neuen Staatsschulden am Ende zahlen muss, hat Markus Ferber eine einfache Antwort: "Die Steuerzahler. Es sind öffentliche Schulden, die die öffentliche Hand mit ihren Einnahmemöglichkeiten wieder refinanzieren muss."

 

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union