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170112 Interview Koptaş Dink Türkei

17. Januar 2012

Rober Koptaş, Chefredakteur der armenisch-türkischen Wochenzeitung AGOS, im Gespräch mit DW-WORLD.DE über den Mord an Hrant Dink und den Prozess gegen die mutmaßlichen Komplizen des verurteilten Mörders.

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Kerzen für den ermordeten Hrant Dink
Hrant Dink wurde im Januar 2007 ermordetBild: AP

DW-WORLD.DE: Herr Koptaş, seit dem Mord an Hrant Dink sind fünf Jahre vergangen. Wie bewerten Sie die juristische Aufarbeitung?

Rober Koptaş: In diesen fünf Jahren hat man sich innerhalb des Rahmens bewegt, den bereits die Anklageschrift vorgab. Da wurde behauptet, dass sich einige Jugendliche in Trabzon organisiert und den Mord geplant hätten. Heute sind von damals 20 Angeklagten lediglich drei übrig geblieben. Die türkische Öffentlichkeit und wir alle wissen aber, dass auch einige Staatsbeamte eine wichtige Rolle gespielt haben. Es gab Sicherheitsbeamte bei der Polizei und beim Militär, die den Mord entweder aktiv mitgeplant haben oder schon im Vorfeld davon wussten und nichts dagegen unternommen haben. Später gab es Bürokraten und Juristen, die versucht haben, die Wahrheit zu vertuschen. Leider wurden alle unsere Anträge, sie zu befragen, abgewiesen. Bei der letzten Verhandlung behauptete der Staatsanwalt, dass der Mord von der Terror-Organisation Ergenekon aus Trabzon organisiert worden sei. Er konnte das aber nicht beweisen. Wir finden das sinnlos und inakzeptabel. Denn es war seine Aufgabe, die Verbindungen von Ergenekon mit anderen Untergrund-Organisationen aufzuklären. Das ist aber nicht geschehen. Es war kein Prozess, der auf der Suche nach Gerechtigkeit basierte.

Sie meinen, dass man sich keine Mühe gegeben hat, den Mord aufzuklären. Warum fehlte diese Mühe?

Verschiedene staatliche Institutionen waren in diesen Mord verwickelt, also die Sicherheits- und Justizbürokratie, das Militär und politische Institutionen. Viele haben beim Mord entweder mitgewirkt oder weggeschaut. Man kann auch zahlreiche Medien und den ultranationalistischen Teil der Gesellschaft dazuzählen. Der Staat und das Justizsystem haben nichts unternommen, um diese Mittäterschaft aufzuklären.

Sie sind seit 2010 der Chefredakteur von AGOS. Der ehemalige Chefredakteur Hrant Dink wurde erschossen, viele Journalisten sitzen in der Türkei in Haft. Fühlen Sie sich unter Druck?

Tausende Menschen bei der Beerdigung von Hrant Dink (AP Photo/Murad Sezer)
Tausende kamen zu der Beerdigung von Hrant DinkBild: AP

Wir stehen genauso unter Druck wie viele andere Journalisten in der Türkei. Es gibt viele Gesetze, die die Ausübung der journalistischen Tätigkeit erschweren. Aber ich muss sagen, dass niemand in der Türkei einen so starken Druck gespürt hat wie Hrant Dink. Er hat innerhalb eines Jahres 1600 Droh-Emails bekommen. Das heißt, er stand nicht nur unter rechtlichem, sondern auch unter enormem gesellschaftlichen Druck. Im Vergleich zu ihm arbeiten wir in einem viel angenehmeren Umfeld. Trotz aller Sorgen und Befürchtungen denken wir, dass wir nichts zu verlieren haben. Wenn wir als Journalisten arbeiten, sollten wir ohne Angst berichten, um die Gesellschaft richtig zu informieren. Wir werden so weitermachen.

Glauben Sie, dass die Türkei aus diesem Mord eine Lehre gezogen hat?

Ich bin der Meinung, dass ein Teil der Gesellschaft die Gefahr und Bedrohung viel bewusster wahrnimmt. Diese Menschen versuchen, die Probleme mit einem demokratischen Bewusstsein anzugehen. Ich denke, dass der Fall Hrant Dink die Menschen sehr beeindruckt und beeinflusst hat. Aber der Staat hat sich nicht genug verändert. Insofern bestehen in der Türkei immer noch die Verhältnisse, die zu dem Mord an Hrant Dink geführt haben. Wir brauchen einen Sinneswandel. Wenn wir heute auf junge Jura-Studenten oder Polizisten schauen, sehen wir, dass sie immer noch nach dem Prinzip ausgebildet werden, den Nationalismus zu ehren. Unsere Kinder lernen, dass die Türken keine Freunde haben außer Türken. Natürlich gibt es positive Veränderungen, aber sie sind noch nicht stark genug, um die offizielle Ideologie zu verändern.

Die Türkei hat auf die französische Gesetzesinitiative, die das Leugnen der Völkermorde unter Strafe stellt, mit Empörung reagiert. Wie sehen Sie das als als Chefredakteur von AGOS?

"Armenienabstimmung" im französischen Parlament (AP Photo/Jacques Brinon)
"Armenienabstimmung" im französischen Parlament am 18. Januar 2012Bild: AP

Wir haben unsere Haltung zu dem Thema schon zum Ausdruck gebracht. Wir haben gesagt: "Nicht weglaufen vor der Verantwortung!" Denn wir sind der Meinung, dass das Thema politisiert wird. Es dient den politischen Interessen - nicht nur in Frankreich, sondern auch in der Türkei. Wir als türkische Armenier wissen ganz genau, was 1915 passiert ist. So lange die Türkei das leugnet und gegen die Türkei keine diplomatischen Sanktionen verhängt werden, hat es doch keinen Sinn, die Menschen, die den Völkermord leugnen, zu bestrafen. Wir verstehen auch die französischen Armenier, aber es ist keine Lösung, die Menschen zu bestrafen. Die Türkei muss sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Sie muss über 1915 offen diskutieren können. Und sie muss damit aufhören, Menschen, die diese Geschehnisse als Völkermord bezeichnen, zu marginalisieren und als Feinde zu betrachten.

Allerdings trägt auch Frankreich eine Verantwortung. Was hatten die Franzosen, Engländer und Deutschen während des Ersten Weltkrieges im Nahen Osten, auf dem Gebiet des Osmanischen Reiches zu suchen? Warum haben sie nach dem Ersten Weltkrieg die Türkei besetzt? Warum haben sie den Armeniern zuerst Hoffnung gemacht und sich dann nicht an ihr Versprechen gehalten? Wenn sie sich damit auseinandersetzen würden, könnte das auch die Aufarbeitung in der Türkei erleichtern. Niemand ist unschuldig. Gesetze, die meiner Meinung nach gegen die Meinungsfreiheit verstoßen, dienen nicht dazu, dass die türkische Öffentlichkeit erfährt, was 1915 passiert ist. Sie verstärken rechtsnationalistische Reaktionen in der Türkei und erschweren unsere Arbeit.

Das Interview führte Basak Özay.
Redaktion: Zoran Arbutina