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Politik

Erster Prozess

Shackle, Samira, London (Adaption: Jan D. Walter)12. Januar 2015

Seit 1985 ist die Beschneidung weiblicher Genitalien in Großbritannien verboten. Doch die Opfer schweigen in der Regel. Erst jetzt hat eine Frau den Mut gefunden, die mutmaßlichen Täter vor Gericht zu bringen.

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Eine Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation schaut in kenia auf Beschneidungswerkzeuge - Foto: dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Zwei Männer müssen sich jetzt in London wegen der Beschneidung einer Frau vor Gericht verantworten. Der angeklagte Arzt soll im November 2012 die Genitalien einer Patientin verstümmelt haben, nachdem sie mit seiner Hilfe ein Kind zur Welt gebracht hatte. Der zweite Angeklagte, offenbar ein Verwandter der Patientin, soll den Arzt zu dem Eingriff aufgefordert haben. Beide Männer beteuern ihre Unschuld: Die Frau sei bereits vorher beschnitten gewesen, der Arzt habe lediglich den vorherigen Zustand wiederhergestellt, um die Blutung zu stoppen.

Der Prozessauftakt in London stößt auf großes Interesse bei Menschenrechtlern. "Es wäre ein positives Signal, wenn man den Angeklagten tatsächlich Genitalverstümmelung nachweisen könnte", sagt Adwoa Kwateng-Kluvitse von der Nichtregierungsorganisation "Forward", die Kampagnen gegen Genitalverstümmelung organisiert. "Es wäre schlimm für unser Engagement, wenn es am Ende nicht genug Beweise gäbe."

Weitverbreitete Qual

Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert die Beschneidung weiblicher Genitalien als teilweise oder vollständige Entfernung der außen liegenden Teile des weiblichen Geschlechtsorgans ohne medizinische Gründe. Operierten Mädchen und Frauen drohen direkt nach dem Eingriff schwere Infektionen und sogar der Tod. Häufige Langzeitfolgen sind Unfruchtbarkeit, lebenslange Beschwerden beim Wasserlassen und bei der Menstruation sowie Komplikationen beim Entbinden von Kindern.

Kenianisches Mädchen bei der Beschneidungszeremonie - Foto: Siegfried Modola (Reuters)
Kenianisches Mädchen bei der BeschneidungszeremonieBild: Reuters/S. Modola

Dennoch ist die Verstümmelung weiblicher Genitalien in vielen Ländern Afrikas und des Nahen Ostens verbreitete Praxis. Beschnitten wird aus traditionellen Gründen - angeblich um zu verhindern, dass Frauen vor der Ehe ihre Jungfräulichkeit verlieren.

Doch auch in Großbritannien ist eine signifikante Zahl Frauen bedroht: Kürzlich ergab eine Studie, dass 137.000 in England und Wales lebende Frauen und Mädchen beschnitten sind. Es gilt als wahrscheinlich, dass die meisten von ihnen Flüchtlinge oder Immigrantinnen sind und der qualvollen Prozedur bereits in ihrem Herkunftsland unterzogen wurden. Doch Schätzungen zufolge droht auch in Großbritannien jährlich 20.000 Mädchen ein solcher Eingriff.

Keine Klagen trotz Verdachtsfällen

Seit 1985 ist die weibliche Beschneidung im Vereinigten Königreich verboten. Seit 2003 macht sich nach britischem Recht auch strafbar, wer den Eingriff in anderen Ländern an britischen Staatsbürgerinnen durchführt. Doch bisher ist es zu keiner einzigen Anklage gekommen, obwohl allein in den vergangenen vier Jahren mehr als 140 konkrete Hinweise auf Genitalverstümmelung bei der britischen Polizei eingingen.

Werkzeuge zur rituellen Beschneidung - Foto: Plan International (dpa)
Werkzeuge zur rituellen Beschneidung in Sierra LeoneBild: picture-alliance/dpa

Die größten Schwierigkeiten ergeben sich aus denselben Gründen wie bei Straftaten mit sexueller und häuslicher Gewalt: Opfer und Zeugen wollen oft keine Anklage erheben, weil sie in enger familiärer oder sozialer Verbindung zu den Tätern und Täterinnen stehen. "Es geschieht in Familien, in denen die Mädchen in jeder anderen Hinsicht geliebt werden und wissen, dass sie geliebt werden", sagt Kwateng-Kluvitse. "Zudem würden die Kinder von Geburt an im festen Glauben erzogen, die Beschneidung sei rechtmäßig."

Mit einer Strafverfolgung nach der Beschneidung sei es daher allein nicht getan, sagt die Menschenrechtlerin Kwateng-Kluvitse: "Dann sind die Mädchen bereits für den Rest ihres Lebens traumatisiert. Deshalb brauchen wir ein Gesetz, das Genitalverstümmelung von vorneherein verhindert."

Beschneidung verhindern, nicht nur bestrafen

Vergangenen Juli kündigte der britische Premierminister David Cameron eine Gesetzesänderung an. Demnach sollen Eltern künftig angeklagt werden können, wenn sie ihre Töchter nicht vor Beschneidung schützen. Zusätzlich bewilligte er 1,8 Millionen Euro für ein Präventionsprogramm. Die britische Polizei hat eine neue Richtlinie für die Aufnahme von Hinweisen und Ermittlungen in Beschneidungsfällen erlassen. Sozialarbeiter sind angehalten, verstärkt auf Anzeichen für drohende oder erfolgte Beschneidung zu achten.

"Die Behörden haben bereits gute Arbeit dabei geleistet, die Barrieren zu senken, damit das Gesetz auch durchgesetzt werden kann", sagt Mary Wandia von der Nichtregierungsorganisation "Equality Now", die sich weltweit für die Rechte von Mädchen und Frauen einsetzt. Aber es sei noch viel zu tun: "Um Beschneidung im Vereinigten Königreich zu eliminieren, müssen viele Stellen Hand in Hand arbeiten: Strafverfolgung, Zivilgesellschaft und der Gesundheitssektor." So fehle es weiterhin an Vorsorge, Schutzräumen und der Bereitschaft von medizinischem Personal, der Meldepflicht für Genitalverstümmelung nachzukommen.

Der nun anstehende Prozess macht der Menschenrechtlerin Hoffnung: "Es ist ein Meilenstein", so Wandia, "auf dem Weg hin zu einem Ende dieser extremen Form von Menschenrechtsverletzung."