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Erst mal ein Tag des Gedenkens

Kay-Alexander Scholz9. November 2014

Das Jubiläum des Mauerfalls vor 25 Jahren in Berlin begann mit mahnenden Worten und ernstem Gedenken. Doch schon dieser eher politische Teil zeigte, dass der Tag sich zu etwas mehr entwickelt.

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Berlin Feierlichkeiten am 9. November 25 Jahre Mauerfall Merkel: Angela Merkel an der Mauer (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images/Sean Gallup

Ein seltsamer Zufall: Als an der Gedenkstätte in der Bernauer Straße der Tag des 25. Jahrestags des Mauerfalls am 9. November 1989 beginnen wollte, zogen graue Wolken auf, die Sonne verschwand und ein eisiger Wind kam auf. Novemberwetter, wie man es in Deutschland kennt, und das aber bis heute in Berlin ausgeblieben war, aber wohl dem Anlass angemessener ist.

Die Gedenkstätte ist in diesem Teil ein graues Stück Beton und Schotter mit einem Rest der gräulichen Mauer. Bürgerrechtler, ehemalige Fluchthelfer, die Kanzlerin und andere Politiker aber auch Schüler und Gäste aus aller Welt kamen zur zentralen Gedenkveranstaltung.

An der Gedenkstätte in der Bernauer Straße steht die Mauer noch (Foto: Getty Images)
An der Gedenkstätte in der Bernauer Straße steht die Mauer nochBild: Getty Images/C. Koall

Eine alte Frau beobachtete von ihrem Fenster im nahe stehenden Wohnhaus das Geschehen. So hatten es 1961 viele gemacht, denen plötzlich eine Mauer vor ihr Leben gesetzt worden war. Damals waren sie machtlos dagegen. Die erste von 138 Mauertoten bis 1989 sprang unweit von dieser Stelle aus dem dritten Stock ihrer Wohnung, weil unten der Westen war. Dabei verlor sie ihr Leben.

"Die Mauer war die sichtbare Todesdrohung für alle, die auf das sozialistische Glück verzichten wollten", sagte Erhardt Neubert, ein ehemaliger DDR-Bürgerrechtler. Neubert erinnerte an die bleiern gewordene Zeit in der DDR, an den eng gewordenen Lebensraum und daran, dass viele in der DDR nur auf ihre Rente warteten, weil sie dann nämlich in den Westen reisen durften. Und heute, da könnten auch Ostdeutsche im Westen arbeiten - so wie die Kanzlerin. Nicht nur Angela Merkel lachte darüber. Der Scherz war nicht unangemessen, nein, er bewahrte die Veranstaltung vor allzu großer Schwere. Denn schließlich ist der Mauerfall auch ein Tag der Erinnerung an die Tränen der Freude dieser historischen Nacht, von der jeder Deutsche weiß, was er getan und mit wem er geredet hat. Doch so richtig gefeiert wird in Berlin erst am Abend, der erste Teil des Tages dient dem Gedenken.

Persönlicher Moment

Nachdem die Gäste Rosen in die Mauer gesteckt hatten, sollte der gemeinsame Gang zur Kapelle der Versöhnung und dem Gedenkgottesdient stattfinden. Doch irgendwie standen viele Gäste noch hinter einer Absperrung und kamen nicht weiter. Unbemerkt von den meisten Kameras ging Merkel daraufhin auf sie zu und löste kurzerhand ein Absperrband. Sie freute sich darüber, manchmal braucht es nur eine kleine Tat, um eine Grenze wegzureißen. Es war eine schöne Geste der Kanzlerin, die so sicherlich nicht im Protokoll stand und wohl auch ein sehr persönlicher Moment.

Während es draußen immer grauer und kälter wurde, fand der ökumenische Gottesdienst statt, dort wo einst eine Kirche mitten auf dem Todesstreifen stand. In der kargen Kapelle, umrahmt von wenig Musik erinnerte Bischof Markus Dröge an die beharrlichen Kräfte der Freiheit und des Friedens, die es auch in den Kirchen der DDR gab. Der Mauerfall sei ein "Tag der Hoffnung" gewesen, dass die Kräfte der Vernunft stärker sind als die Mächte der Gewalt.

Die Botschaft des Mauerfalls

Auch die Kanzlerin versuchte in ihrer einzigen Rede am heutigen Tag, dem Tag des Mauerfalls eine Botschaft zu geben. "Wir haben die Kraft zu gestalten und die Dinge zum Guten zu wenden, das ist die Botschaft des Mauerfalls", sagte Merkel. In Richtung Syrien, Ukraine und Irak wolle sie eine Botschaft der Zuversicht aussenden, Mauern der Feindschaft einzureißen. "Träume können wahr werden, nichts muss so bleiben, wie es ist, so hoch die Hürden auch sein mögen", sagte die Pfarrerstochter Merkel in schon pastoralem Tonfall.

Doch sendete die Kanzlerin auch eine politische Botschaft. Was sollte die DDR angesichts der Verbrechen und der fehlenden Grundrechte anderes gewesen sein als ein Unrechtsstaat? Die SED-Diktatur aufzuarbeiten bleibe wichtig. Unrecht könne nicht ungeschehen gemacht werden, es bleibe Unrecht, sagte die Kanzlerin bei der Eröffnung einer neuen Dauerausstellung an der Gedenkstätte.

"Hitler-Putsch" und Reichspogromnacht

Die Kanzlerin erinnerte auch daran, dass es am 9. November nicht allein um den Fall der Mauer im Jahr 1989 gehe. "Wie kein anderes Datum verdichtet der 9. November die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert." An diesem Datum habe 1918 das deutsche Kaiserreich geendet, 1923 habe Adolf Hitler die Weimarer Republik stürzen wollen und 1938 hätten die Nazis in der Reichspogromnacht die Juden terrorisiert und die Synagogen angezündet. "Das war der Auftakt zum millionenfachen Mord, zum Zivilisationsbruch der Shoa", sagte die Kanzlerin.

So ist das Mauerfall-Jubiläum in Berlin bisher ein eher nachdenklicher Tag. Am Abend soll am Brandenburger Tor ein großes Bürgerfest stattfinden. Angereist sind vor allem viele Menschen aus dem Ausland. Schon gestern Abend fand der Soundcheck statt. Fast besinnlich lauschten schon viele Bürger der Musik und gingen weiter an der Lichtmauer entlang, diesem einzigartigen Kunstprojekt aus tausenden Ballons, das am Abend den Mauerfall symbolisieren soll.

Einige waren zuvor in der Philharmonie und hörten eine grandiose Aufführung der 9. Sinfonie von Beethoven mit dem berühmten Schlusschor, der "Ode an die Freude", in der es so schön heißt: "Alle Menschen werden Brüder". Das 25. Mauerfall-Jubiläum könnte ein ganz besonderes werden. Ein Tag, an dem dieses historische Ereignis eine neue Symbolkraft bekommt.