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"Erst die Anschläge von Bali haben Australien wachgerüttelt"

Das Gespräch führte Rachel Ryan.7. September 2006

Rohan Gunaratna ist ehemaliger UN-Chefermittler und Experte für islamischen Terror in Südostasien. Im Interview erzählt er, wie sich Australien unter dem Eindruck des Terrors der vergangenen Jahre gewandelt hat.

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"Die Bedrohung nicht ernst genommen": Rohan Gunaratna vom Terrorforschungsinstitut in SingapurBild: AP

DW-WORLD: Wie hat sich Ihrer Meinung nach Australien seit den Anschlägen vom 11. September und denen auf Bali verändert?

Rohan Gunaratna: Bis zu den Anschlägen auf Bali hatte Australien die Terror-Bedrohung nicht ernst genug genommen. Ich erinnere mich noch gut an ein Treffen mit australischen Regierungsvertretern, bei dem sie leugneten, die südostasiatische Terroristengruppe Jemaah Islamiah – die hinter den Anschlägen steckte - habe Verbindungen zu El Kaida. Ich erinnere mich auch an einige australische Journalisten und Wissenschaftler, die der Meinung waren, die ganze Aufregung um den Terror sei übertrieben. Der erste Anschlag auf Bali war deshalb ein ganz wichtiger Wendepunkt in der Wahrnehmung: Erst musste eine Vielzahl von Australiern sterben, bis man die Terrorbedrohung endlich ernst nahm. Das ist aber in vielen Ländern so: Die Bevölkerung muss erst einen Terroranschlag erleiden, bis man erkennt, dass es sich um eine ganz ernste Angelegenheit handelt.

Sind die Australier jetzt vorsichtiger geworden? Sie haben früher immer moniert, die Australier seien über den Terror nicht so besorgt, wie sie es eigentlich sein müssten.

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"Harmlose, unbekümmerte Rucksacktouristen": Australier am Tag nach den AnschlägenBild: AP

Australien ist so weit weg vom Rest der Welt - und noch dazu eine Insel, die rundum von riesigen Wassermassen geschützt ist -, dass vielen Australiern das Verständnis für die Außenwelt ein bisschen abhanden gekommen ist. Bali hat die Australier wachgerüttelt, in erster Linie allerdings nur die Verantwortlichen. Die australische Bundespolizei hat eine sehr erfolgreiche Anti-Terror-Offensive in Indonesien gestartet, und hat zudem das beste Anti-Terror-Trainingslager im Zentrum von Südostasien. Aber was die australische Bevölkerung betrifft, muss diese vielleicht erst einen Anschlag auf eigenem Boden erleben, um wachsamer zu werden.

Was halten Sie von den Anti-Terror-Maßnahmen, die seit dem 11. September und den Anschlägen auf Bali in Australien eingeführt wurden?

Seit dem ersten Bali-Anschlag haben die Australier ihre Anti-Terror-Gesetzgebung ganz entscheidend geändert. Dadurch konnten die Australischen Behörden viele wichtige Informationen über die Jemaah Islamiah in Erfahrung bringen, denn diese neuen Gesetze erlauben den Ermittlern eine viel effektivere Arbeit im Inland. Jetzt muss die Australische Regierung aber im südostasiatischen Raum noch aktiver werden Raum: Da Bedrohung sowohl im Inland als auch im Ausland besteht, müssen die Gegenmaßnahmen auch beidseitig erfolgen.

Läuft die australische Regierung Gefahr, in Zukunft mit den Anti-Terror-Gesetzen über das Ziel hinauszuschießen?

In der Terrorabwehr muss Australien Eigeninitiative zeigen und schärfer reagieren – ansonsten werden mehr Menschen sterben. Wenn Indonesien selbst nichts gegen den Terror unternimmt, werden die Australier die Leidtragenden sein. Aber natürlich muss alles im Einklang mit den Regeln des Gesetzes vonstatten gehen. Manchmal sind gewisse Sondergesetze zwar notwendig, aber man könnte jährlich überprüfen, ob so rigorose Gesetze über einen bestimmten Zeitraum hinaus überhaupt notwendig sind, und diese dann gegebenenfalls wieder außer Kraft setzen.

Wie schafft es Australien, trotz allem ein sachliches Verhältnis zu Indonesien zu wahren?

Indonesien Prozess Abu Bakar Bashir
Immer noch auf freiem Fuß: Abu Bakar BashirBild: AP

Australien hat der indonesischen Polizei beim Anti-Terrorkampf auf taktischer und operationeller Ebene erheblich unter die Arme gegriffen. Allerdings hat Australien es bislang versäumt, Indonesiens Anti-Terror-Politik auf einer strategischen Ebene zu beeinflussen. Abu Bakar Bashir, der Führer der Jemaah Islamiah und der "Osama bin Laden" der südostasiatischen Region, hat bis heute etwa 250 Menschen auf dem Gewissen – dennoch ist er ein freier Mann und darf im ganzen Land für noch mehr Gewalt werben. Das zeugt vom Scheitern sowohl Indonesiens als auch Australiens. Australien hat beim ersten Anschlag auf Bali 88 seiner Einwohner verloren, und dennoch ist die Jemaah Islamiah in Asien nicht verbannt. Um ein Verbot der Jemaah zu erwirken, muss Australien enger mit der indonesischen Regierung zusammenarbeiten.

Haben die engen Verbindungen Australiens zu den USA die internationale Wahrnehmung von Australien beeinflusst?

In Südostasien hat sich das Bild von Australien ganz dramatisch gewandelt. Vor den ersten Bali-Anschlägen sahen die meisten Südostasiaten die Australier als unbekümmerte, harmlose, Bier trinkende Rucksacktouristen an. Doch heute werden die Australier ernster genommen. Die Dschihadisten halten Australien gar für die USA der Region - aber das ist der Preis, den man zahlt, wenn man gegen den Terror kämpft.

Glauben Sie, dass die US-australischen Beziehungen sich letztlich positiv auswirken werden?

Die Verbindung hat gute wie schlechte Seiten. Die Vereinigten Staaten sind für Australien jedoch insgesamt so wichtig, dass sie ohne sie große Schwierigkeiten hätten. Australien hat deshalb sowohl in Afghanistan als auch im Irak Engagement gezeigt, was aus vielen Gründen eine richtige Entscheidung gewesen ist. Allerdings hat sich Australien dadurch erst recht den Zorn der Terrorgruppen zugezogen. Als meist entwickelte und am meisten fortschrittliche Nation der südostasiatischen Region muss Australien jedoch enge Beziehungen zu England und den USA aufrechterhalten. Auch wenn es deswegen stets einer erhöhten Terror-Bedrohung ausgesetzt sein wird.