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Ein umstrittener Historiker

Dagmar Breitenbach18. August 2016

"Er war ein Gelehrter Alter Schule"- der Bonner Historiker Dominik Geppert erinnert sich an den im Alter von 93 Jahren verstorbenen Ernst Nolte. Und bewertet den berüchtigten Historikerstreit aus heutiger Perspektive.

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Ernst Nolte Historiker
Bild: imago/Leemage

Deutsche Welle: Ernst Nolte wurde lange als einer der umstrittensten Nachkriegshistoriker Deutschlands bezeichnet - würden Sie das heute auch noch so sehen?

Prof. Dominik Geppert: Das war er seit dem Historikerstreit ganz bestimmt. Er war dann zunehmend isoliert, hat sich auch selbst isoliert und in seinen Ansichten radikalisiert. Er sollte aber nicht auf den Historikerstreit reduziert werden: er hat - und das wird darüber oft vergessen - in der Zeit wichtige Bücher geschrieben, in einer Art von Ideengeschichte, die es sonst in Deutschland ganz wenig gegeben hat. Sein erstes wichtiges Werk, "Der Faschismus in seiner Epoche", ist immer noch ein Standardwerk, und wegweisend für viele weitere Forschungen gewesen. Er hat auch ein immer noch lesenswertes Werk über den Kalten Krieg geschrieben. Nolte ist ein wichtiger Historiker - und später ein zunehmend umstrittener - gewesen.

Sie haben selbst noch Vorlesungen bei Ernst Nolte in Berlin gehört – wie haben Sie ihn erlebt?

Als einen Gelehrtentypus alter Schule, sehr präzise formulierend, sehr höflich, sehr freundlich im Umgang mit den Studierenden, eher distanziert, er wirkte fast ein bisschen scheu. Das ging einher mit einer Tendenz, schriftlich zuzuspitzen und zu polarisieren - aber im persönlichen Umgang war er ein ausgesprochen angenehmer, zuvorkommender Gelehrter.

Prof. Dr. Dominik Geppert Copyright: Universität Bonn
Prof. Dr. Dominik GeppertBild: Universität Bonn

Könnten Sie den Streit, den Ernst Nolte 1986 losgetreten hat - den sogenannten Historikerstreit - umreißen?

Ob wirklich Ernst Nolte den Historikerstreit losgetreten hat, kann man bezweifeln. Er hat einen Artikel in der FAZ geschrieben, der Jürgen Habermas zu einer Replik in der "Zeit" veranlasst hat - die aus meiner Sicht deutlich übers Ziel hinausschoss: Habermas hat eigentlich den Historikerstreit losgetreten. Was Nolte in diesem berühmt-berüchtigten Artikel in der FAZ geschrieben hat, gipfelte tatsächlich in der allzu zugespitzten verkürzten Behauptung, der Nationalsozialismus sei letztlich eine Reaktion auf den Kommunismus/Bolschewismus gewesen, der Gulag ursprünglicher als Auschwitz - dieses "logische und faktische Prius" wie Nolte das nannte - das hat solchen Anstoß erregt.

Ist dieser Streit jemals beigelegt worden?

Der Streit hat kein wirklich wissenschaftlich wichtiges Ergebnis gehabt. Es ging eher um die politische Hegemonie, und die Sorge von Habermas und Hans-Ulrich Wehler, dass mit der geistig-moralischen Wende, die der neue Bundeskanzler Kohl proklamiert hat, auch so etwas wie eine konservative Revision des deutschen Geschichtsbildes einhergehen würde. Da wurde der Nolte-Artikel als das anstößigste Beispiel genommen, und als charakteristisches Merkmal eines größeren Syndroms gedeutet. Und das ist deutlich übers Ziel hinausgeschossen.

Wie wird der Streit heute bewertet?

Es gab vor wenigen Jahren eine Rückschau. Die dann noch lebenden Beteiligten bewerteten das Ganze vergleichsweise milder und distanzierter. Ich hatte den Eindruck, dass Nolte überraschend gut in dieser historisierenden Rückschau weggekommen ist. Da ist manche Woge geglättet worden; aber das heißt nicht, dass es nicht tiefe Verletzungen gegeben hat. Nolte ist zum Beispiel vor der FU von Studenten, die den Historikerstreit zum Anlass nahmen handgreiflich zu werden, sein Auto angezündet worden.

Es gibt in der historischen Erforschung des Nationalsozialismus eine ganze Reihe von Kontroversen, die sehr viel wichtiger und fruchtbarer gewesen sind als der Historikerstreit, da herrscht weitgehend Einigkeit. Die Sache ist eher ein weltanschaulicher, politischer Streit, an dem man den Zeitgeist der 1980er Jahre exemplifizieren kann, und der gekennzeichnet ist durch eine besondere Sensibilität der Deutschen im Umgang mit der NS-Vergangenheit.

Prof. Dr. Dominik Geppert lehrt am Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn.

Das Interview führte Dagmar Breitenbach