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Politik

Kekeritz: "Ursachen statt Symptome bekämpfen"

Sandrine Blanchard
3. Dezember 2019

Frankreichs Präsident Macron fordert von der Bundesregierung mehr Truppen für die Militärmissionen im Sahel. Im DW-Interview mahnt Grünen-Politiker Uwe Kekeritz: Mehr Soldaten bedeuten nicht unbedingt mehr Sicherheit.

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Uwe Kekeritz Bundestagsabgeordneter Grüne
Uwe Kekeritz ist der entwicklungspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im BundestagBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

DW: Rund 1000 Bundeswehrsoldaten sind derzeit in Mali stationiert, momentan der größte Auslandseinsatz der Bundeswehr. Frankreich hat viermal so viele Soldaten im Land und appelliert regelmäßig an mehr "Solidarität" seiner europäischen und NATO-Verbündeten, darunter Deutschland. Wäre es Ihrer Meinung nach sinnvoll, mehr Bundeswehrsoldaten nach Mali und in die Sahel-Region zu entsenden?

Uwe Kekeritz: In den vergangenen Jahren hat sich die Lage im Land - trotz der beachtlichen Militärpräsenz – massiv verschlechtert. Das macht deutlich: Sicherheit und Stabilität müssen in erster Linie politisch erreicht werden. In Mali muss es daher um eine Stärkung der Zivilgesellschaft im Kampf gegen die Korruption in der alten Führungselite des Landes gehen. Hier müssen die internationale Gemeinschaft insbesondere die Europäische Union und auch als Bundesrepublik die Anstrengungen verstärken. Klar ist: Ohne die UN-Friedensmission wäre die Lage in Mali weitaus schlimmer. Dennoch machen immer mehr Soldatinnen und Soldaten das Land nicht unbedingt sicherer.

Deutschland muss sich v.a. mit zivilen Mitteln einbringen und gleichzeitig seiner Verantwortung im Rahmen des MINUSMA-Mandats gerecht werden. Aber auch die malische Regierung steht in der Verantwortung, egal ob es um den gesellschaftlichen Versöhnungsprozess, die Autonomie und Entwicklung in Malis Norden, die Reform des Sicherheitssektors oder die Entwaffnung und Integration von Rebellen geht. Hier müssen endlich Erfolge erzielt werden.

Die verschiedenen internationalen Missionen gegen Dschihadismus im Sahel gelten weitgehend als gescheitert. Jede Woche bringt neue Terror-Opfer in Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad, Nigeria. Was könnte die Bundesrepublik aktuell tun, um die Lage für die Lokalbevölkerung zu verbessern?

Die Sahelzone leidet unter einer Spirale der Gewalt. Die ganze Region droht im Chaos zu versinken. Die Gründe sind vielfältig und reichen vom Klimawandel über die Lage in Libyen bis hin zur europäischen Abschottungspolitik. Europa und die Bundesregierung müssen endlich begreifen, dass die Politik der Mauern und Zäune die Probleme in Westafrika nicht lösen wird. Die zahlreichen unterschiedlichen Truppen in der Region verstärken das Gefühl der Unsicherheit. Die Militärpräsenz wird von der lokalen Bevölkerung immer stärker abgelehnt.

Vielmehr brauchen die Sahelstaaten echte Entwicklungschancen. Statt Migrationskontrolle müssen die regionale Integration und die Befriedung der verschiedenen Konflikte in den Fokus rücken. Die Jugend braucht Perspektiven und die betroffenen Länder Unterstützung beim Kampf gegen den Klimawandel. Kurz: Statt der Symptome müssen die Ursachen der Probleme bekämpft werden. Die Bundesregierung muss hier einen konstruktiven Beitrag leisten, anstatt in Afrika nur migrationspolitische und wirtschaftliche Interessen zu verfolgen.

Stichwort wirtschaftliche Interessen: Seit zwei Jahren setzt Deutschland auf eine verstärkte wirtschaftliche Kooperation durch die "Compact with Africa"-Initiative. Doch deutsche Investoren zögern, in Sahel-Ländern zu investieren, solange die Sicherheitslage so labil ist. Sind Privatinvestitionen für die Region der richtige Weg?

Die "Compact with Africa"-Initiative bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Zählbare Entwicklungserfolge gibt es bislang nicht. Zudem ist bis auf Deutschland kein G20-Mitglied neue bilaterale Partnerschaften mit afrikanischen Staaten eingegangen. Inwieweit dieser Ansatz überhaupt irgendwann Früchte tragen wird steht also in den Sternen. Insgesamt springt der derzeitige Fokus auf Privatinvestitionen zu kurz und wird den Herausforderungen auf dem afrikanischen Kontinent nicht gerecht.

Anstatt den am wenigsten entwickelten Ländern – wie denen in der Sahelzone – die notwendige Unterstützung zuzusichern, um die schwerwiegendsten Missstände zu beseitigen, setzt die Bundesregierung auf sogenannte Reformchampions. Die Bundesregierung muss endlich weg von der Aufrüstungs- und Abschottungslogik hin zu einer Politik, die Entwicklungsperspektiven schafft und die politische Stabilität verbessert. Die derzeitige Sahelpolitik Deutschlands und Europas spielt den radikalen Kräften in die Hände anstatt eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen.