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Kunst

Newton, Testino und Piggozi: Pioniere der Nacktfotografie

Jan Tomes nw
3. Juni 2017

In der Berliner Helmut Newton Foundation zelebrieren Fotos von Newton, Testino und Piggozi den menschlichen Körper. Kurator Matthias Harder erzählt im DW-Interview, wie sich unsere Sicht auf Nacktheit geändert hat.

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Ausstellung - Newton, Testino und Pigozzi bei der Helmut Newton Foundation: Anything goes in a museum
Bild: Mario Testino

"Undressed", "Unseen" und "Pool Party" - so lauten die Titel der drei aktuellen Einzelausstellungen in der Helmut Newton Stiftung in Berlin. Die Arbeiten der Fotogrößen Mario Testino, Helmut Newton und Jean Piggozi verneigen sich vor der Schönheit des menschlichen Körpers - in all seinen Kurven und Größen.

Während Newtons Fotos perfekte Körper von Models und Stars abbilden, werden die Fotografierten in Testinos Bilder aufgrund der mystischen Vergrößerung zu Halbgöttern, die auf den Besucher herabschauen. Piggozzis Paparazzi-artige Fotos, die er auf berühmten Poolpartys machte, zeigen einfache Sterbliche, dicke wie dünne, haarige wie glatzköpfige, die einfach nur Spaß haben. 

Wir haben mit dem Kurator der Ausstellung, Matthias Harder, über die Ausstellungen der drei Pioniere der Nacktfotografie gesprochen.

DW: Wir sind hier von 150 nackten oder halbnackten Körpern umgeben. Insbesondere in den sozialen Medien werden solche Darstellungen von Körpern neuerdings zensiert - wie stehen Sie dazu?

Matthias Harder: Das finde ich lächerlich. Ich bin begeistert, dass ich diese drei Ausstellungen machen konnte, zumal gerade Newton und Testino maßgeblich für die zeitgenössische Akzeptanz von Nacktheit und den damit verbundenen soziokulturellen Wandel der vergangenen 50 Jahre verantwortlich sind.

Kurator Matthias Harder vor der Helmut Newton Foundation (Foto: S. Kohlstock)
Kurator Matthias HarderBild: S. Kohlstock

Newton fing in den frühen 1970er-Jahren damit an, Nackheit in seine Bilder zu schmuggeln. Seine Arbeiten provozierten, testeten Grenzen aus - und waren gleichzeitig subtil und klug. Er machte Fotos für die "Vogue", auf denen er die Models sowohl angezogen als auch nackt zeigte, in ein und derselben Pose. Er spielte auch oft mit den Geschlechterrollen: In der Ausstellung zeigen wir ein Foto von einer nackten Frau, die neben einer weiteren Frau in einem Smoking von Yves Saint Laurent steht. Was für eine Revolution! Newtons Arbeiten bringen uns noch heute in Rage und fordern uns auf, das Gesehene zu interpretieren. Mario Testino arbeitet ähnlich - seine Bilder sprühen vor delikaten Obsessionen und lustvollen Empfindsamkeiten.

Die Arbeiten erstrecken sich über mehrere Jahrzehnte. Wie hat sich die Wahrnehmung von Nacktheit im Laufe der Zeit geändert?

Wenn wir beispielsweise zurück bis ins antike Griechenland schauen, da war Nacktheit etwas völlig Normales. Manche Sportler trainierten nackt für die Olympischen Spiele. Mit der Christianisierung wurde Nacktheit zum Tabu in Europa. Aber in der Kunst hat sie stets ihren Platz gehabt, selbst während der schärfsten Repressionen - Eva, Lucretia und selbst Maria sah und sieht man auf Gemälden weltweit mit nackter Brust stillen. Nacktheit spielte schon immer eine entscheidende Rolle in der Kunst.

In den Sechzigern erlebten wir mit der Flowerpower-Bewegung und der feministischen Revolution eine Befreiung weiblicher Körper. So war es damals in Saint-Tropez gang und gäbe, halbnackt am Strand zu liegen. Helmut Newton dokumentierte all dies und drehte es ein Stück weiter. Damals war Fotografie näher an der Realität als Kunst, doch er schaffte es irgendwie, diese beiden Welten miteinander zu verbinden. Er arbeitete mit dem Zeitgeist, schuf aber gleichzeitig seine eigenen Inszenierungen. Natürlich war er nicht der einzige, aber seine Arbeiten kamen nun einmal bei den Modemagazinen gut an - und was es in die Modewelt schafft, spiegelt sich später auch in der Gesellschaft.

Ausstellung - Newton, Testino und Pigozzi bei der Helmut Newton Foundation - Eine von Pigozzis berühmten Pool-Partys
Bono und Jack Nicholson bei einer von Pigozzis berühmten Pool-PartysBild: Jean Pigozzi

Aufgrund der großen Zeitspanne, die Ihre Schauen abdecken, kann man gut die verschiedenen Phasen von Schönheitsidealen vergleichen. Wann und warum kommt es hier Ihrer Meinung nach zu Veränderungen?

Wenn ich die Antwort wüsste, wäre ich wohl längst reich und berühmt. Meiner Meinung nach ist es ein Mix von gesellschaftlichen Tendenzen und von den Ideen der Foto- und Mode-Pioniere, die mit diesen experimentieren. Wenn Magazine dann irgendwann mutig genug sind, diese Sichten zu zeigen, ist der Wandel vollbracht.

Fotografien von nackten Frauen und Männern hängen hier gleichberechtigt nebeneinander. Nehmen die Besucher hier noch Geschlechterunterschiede wahr?

Ich bin der Ansicht, dass männliche Nacktheit das letzte Tabu ist; sie ist noch nicht wirklich gesellschaftlich akzeptiert. Newton, Testino und Piggozi behandeln Frauen und Männer gleichwertig. Ihre Arbeiten machen keinen Unterschied, weder beim Fotografien noch in der Bearbeitung. Anders hingegen die Betrachter, die weiterhin unterschiedlich auf Männer- und Frauenkörper schauen, wobei da auch sexuelle Präferenzen eine Rolle spielen. Aber ich glaube, das ist der falsche Ansatz.

Pigozzis Bilder, welche die Newton- und Testino-Schauen ergänzen, bestehen aus Schnappschüssen - seit wann bekommen solche Fotos eine eigene Ausstellung?

Das Metropolitan Museum of Art in New York hat einmal vor einigen Jahren Amateurfotos ausgestellt. Dort konnte man interessanterweise gut die Entwicklungen der Avantgarde-Fotografie nachvollziehen. Das war wirklich lustig - alles war schon da und wartete nur darauf, von der Avantgarde aufgegriffen zu werden!

Schwarz-weiß Foto von zwei nackten jungen Männern von Mario Testino (Foto: Mario Testino)
Gleichberechtigte Nacktheit - Testinos Ausstellung "Undressed"Bild: Mario Testino

Heutzutage verfügt jedes Smartphone über eine Kamera und jede Stunde werden Millionen von Bildern geschossen und geteilt. Eine völlig neue Art der Verbreitung von Fotos. Unsere Stiftung jedoch steht für den klassischen Weg. Pigozzis Poolparty-Schnappschüsse sind zwar Amateurfotos, aber die Atmosphäre, der Lifestyle und die Menschen unterscheiden sich in keiner Weise von den Bildern von Newton oder Testino.

Wie Sie bereits sagten: Wir leben in einem Zeitalter voller Bilder - Menschen kommunizieren mit GIFs und Emojis. Sind Fotoausstellungen dadurch nicht längst überflüssig geworden?

Auf der einen Seite gefällt es mir, dass die Menschen derzeit so verrückt nach Bildern sind. Auf der anderen kommt mir diese Entwicklung zu schnelllebig und oberflächlich vor. Bilder auf Instagram und Snapchat haben eine kurze Haltbarkeit und sind dafür gemacht, sich aufzulösen. Unsere Ausstellungsbesucher hingegen interessieren sich nicht für irgendwelche Fotos von irgendwelchen Essen - sie kommen hierher, um Meisterwerke zu genießen und möchten diese in Ruhe mit genügend Zeit ansehen.

Es sollte das Ziel von Kuratoren und Institutionen sein, die Relevanz und Popularität klassischer Fotografie zu bewahren und Menschen dazu anzuregen, über dieses Medium nachzudenken. Fotoausstellungen können andere Perspektiven sichtbar machen und vielleicht sogar dabei helfen, die Welt aus anderen Augen zu sehen. Ich weiß, dass ich hier eine recht altmodische Sicht auf die Dinge habe. Aber ich freue mich auch, dass wir mit diesem Ansatz bislang recht erfolgreich waren.