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Der Kampf um die Windräder in Mexiko

Sam Edwards Mexiko
24. Mai 2020

Windkraft gilt als klimafreundliche Zukunftstechnologie. Am Isthmus von Tehuantepec im mexikanischen Oaxaca zeigen sich ihre Schattenseiten. Dort kämpfen indigene Gemeinden gegen Mega-Windparks europäischer Konzerne.

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Windturbinen im Isthmus von Tehuantepec
Bild: Imago Images/Zumapress/U-T San Diego

Der Isthmus von Tehuantepec im Süden Mexikos ist einer der windigsten Orte der Erde. Die flache Landenge zwischen dem Pazifik und dem Golf von Mexiko wird von zwei Gebirgsketten eingerahmt und ist ein natürlicher Windkanal. Eine einzige Windböe aus diesem Gebiet kann Autos umkippen. Es ist der perfekte Ort für Windkraftanlagen.

Die einzigartige Geographie der Landenge ist Glück und Unglück zugleich. Union Hidalgo, einst eine verschlafene, agrarisch geprägte Stadt, gehört zu den überwiegend indigenen Gemeinden in diesem Gebiet, die seit den 2000er Jahren einen regelrechten "Windrausch" erleben. Einige nannten den Windrausch "La Nueva Conquista" - die neue Eroberung - da sich große, oft europäische Konzerne darum bemühen, die natürliche Kraft dort zu nutzen.

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Wie so viele in dieser Gegend ist auch das Haus von Guadalupe Ramirez in Union Hidalgo versteckt hinter endlosen Reihen von Windturbinen.

Im Jahr 2009 unterzeichnete Ramirez, eine 60-jährige zapotekische Aktivistin, für ihr Grundstück einen Pachtvertrag über 30 Jahre. Sie wusste bei Vertragsabschluss: Das Land soll für ein Windkraftprojekt genutzt werden. Aber als die Windparks kamen, war sie, wie viele andere, vom Ausmaß der Folgen überrascht, erzählt sie der DW.

"Wir wollen, dass die Menschen darüber informiert werden, was neue Windparks für die Menschen bedeuten. Denn sie sollten wissen, dass es nicht nur Vorteile, sondern auch viele Probleme geben kann", sagt Ramirez. "Wenn die Leute vorher über alle Fakten in Kenntnis gesetzt würden, dürfte es nicht ganz so einfach sein, sie zu überzeugen."

Ramirez und andere Aktivisten argumentieren, dass mexikanische Windparks den Gemeinden vor Ort wenig bis gar keinen wirtschaftlichen Nutzen bringen. Außerdem konkurrieren sie mit der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, der Haupteinnahmequelle für viele Menschen in der Stadt.

Indigene in Mexiko feiern ein buntes Fest
Feier zu Beginn des Bauernjahrs: Das Leben der indigenen zapotekischen Gemeinschaft von Oaxaca ist stark von der Landwirtschaft geprägtBild: Imago Images/Agencia EFE/L. Villalobos

Das Hauptproblem liegt laut Ramirez jedoch darin, dass die Bewohner vorab nur mangelhafte Informationen bekommen. Nach mexikanischem Recht müssen indigene Gemeinden bei Projekten mitbestimmen dürfen. Laut Aktivisten sind jedoch die Informationen im Vorfeld oft unvollständig oder irreführend. Diejenigen unter den indigenen Gemeinden, die sich solchen Projekten widersetzen, werden teils schikaniert und eingeschüchtert.

Ramirez setzt nun ihre Hoffnung auf einen aktuellen Rechtsstreit, der die Geschichte der sauberen Energie in Mexiko nachhaltig prägen könnte. Er soll das neuste und stark umstrittene Projekt vor Baubeginn stoppen.

Saubere Energie hat ihren Preis

Der Windpark Gunaa Sicaru soll in der Nähe von Union Hidalgo entstehen und eine Leistung von 252 Megawatt liefern. Betreiben will ihn der französische Energieriese Electricité de France (EDF). Doch zunächst muss er von den Einheimischen im Rahmen eines öffentlichen Anhörungsverfahren genehmigt werden. Und wie bei vielen durch multinationale Unternehmen unterstützte Windparks in Oaxaca erweist sich dies als Herausforderung.

Die Landschaft von Tehuantepec
Blick auf die Landenge von Tehuantepec - einen der windigsten Orte der Erde Bild: Imago Images/Zumapress/El Universal

In einem Land, das historisch gesehen von Öleinnahmen abhängig ist, könnten Windkraft und andere erneuerbare Energien einen Übergang zu sauberer Energie herstellen. Doch Alejandra Ancheita, Direktorin der NGO ProDESC, warnt davor, dass die zunehmende Nutzung von Ökostrom nicht mit solchen Umweltschäden und Fehlern beim Umgang mit lokalen Gemeinschaften  einhergehen darf, wie dies im Zusammenhang mit der Nutzung fossiler Brennstoffe zu beobachten gewesen sei.

"Erneuerbare Energieprojekte können nicht allein mit der Begründung gerechtfertigt werden, dass sie saubere Energie erzeugen", sagt Ancheita der DW. "Es ist keine 'saubere Energie', wenn sie nicht unter strikter Berücksichtigung der lokalen Gemeinschaften, in denen das Projekt gebaut wird, entwickelt wird."

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Das Rechtsteam von ProDESC vertritt eine Gruppe von Bewohnern von Union Hidalgo mit einer einstweiligen Verfügung gegen die EDF und die lokalen Behörden. Die NGO behauptet, die lokalen Behörden und die EDF hätten es versäumt, genaue Informationen über die Auswirkungen des Projekts bereitzustellen und irreführende Übersetzungen vom Spanischen ins Zapotekische verbreitet.

Konflikt in der Gemeinschaft

Ramirez und andere lokale Aktivisten berichten, dass der Ölabfluss der Turbinen die Wasserwege verschmutzt. Auch die Lautstärke der Windparks - von denen viele in der Nähe von Ortschaften liegen, störe die Anwohner und die lokale Vogelwelt.

Ein ölverschmierter Pelikan im Golf von Mexiko
"Bei den Erneuerbaren nicht die alten Fehler wiederholen" Bild: picture-alliance/AP Photo/C. Riedel

Aber nicht alle Bewohner von Union Hidalgo denken so wie Ramirez und ihre Mitstreiter. Vor allem diejenigen, die durch die Verpachtung ihres Landes ein regelmäßiges Einkommen erzielen können, unterstützen die Entwicklung von Windprojekten. "Das schafft jede Menge Spaltung in unserer Gemeinde", sagte Ramirez.

Einem Bericht des in Berlin ansässigen European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) zufolge eskalierte der Konflikt in der Gemeinde im Jahr 2018, nachdem Kritiker des Projekts in den EDF-Beratungssitzungen als "Feinde der Entwicklung" tituliert worden waren. ProDESC und das ECCHR kamen in einem formellen Brief im vergangenen Jahr zu dem Schluss, dass das Unternehmen mehr tun müsse, um Konflikte in der Gemeinde zu verhindern.

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Die EDF teilte der DW mit, dass sie ihren Verpflichtungen im Anhörungsverfahren für Gunaa Sicaru nachgekommen seien, aber letztlich die mexikanischen Behörden die Verantwortung für die Information der Bewohner und deren Entscheidungsfreiheit trügen. Die EDF fügte hinzu, sie habe keine Berichte über Drohungen gegen Kritiker des Gunaa Sicaru-Projekts erhalten. Die Regierung des Bundesstaates Oaxaca hat auf die Bitte der DW um Stellungnahme nicht reagiert.

Die Zukunft der sauberen Energie   

Mexiko - einer der 15 größten CO2-Emittenten der Welt - hat sich verpflichtet, 35 Prozent seiner Elektrizität bis 2024 aus sauberer Energie zu erzeugen. Seit eine Reform den Sektor 2013 für private Investitionen geöffnet hat, stoßen erneuerbare Energien bei Investoren auf großes Interesse. Sowohl der Solar- als auch der Windsektor verzeichneten im vergangenen Jahr ein Rekordwachstum.

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Beobachter befürchten jedoch, dass die Zukunft der erneuerbaren Energien unter Präsident Andres Manuel Lopez Obrado ungewiss ist. Lisa Viscidi vom Thinktank The Inter-American Dialogue berichtet im Gespräch mit der DW, dass regulatorische Änderungen unter der gegenwärtigen Regierung die Anreize für Investitionen in dem Sektor untergraben. In einem Bericht von 2019 über Mexikos erste Auktion für saubere Energie kommt sie zu der Feststellung, dass sich mehrere Projekte verzögert hatten, weil es nicht gelungen war, die Zustimmung der Gemeinden in Oaxaca zu erhalten.

Alternative Entwicklungen

Die Probleme in Oaxaca stehen stellvertretend für die Umstellung auf erneuerbare Energien weltweit. Cymene Howe, Anthropologin an der Rice University in Texas und Autorin eines Buches über Windenergie in Oaxaca nennt diese einen "epochalen Wandel". Das liege daran, dass bestimmte Energieinfrastrukturen sowie Windräder oder Solarmodule in Bereiche der Welt vordringen, die von der Industrie für fossile Brennstoffe nicht berührt würden, sagt sie. "Es wird eine grundlegende Veränderung in der Art und Weise geben, wie wir uns Landschaften vorstellen, wofür Land genutzt wird, wer dort leben und Verantwortung tragen soll", erklärt sie. "Dies ist ein neues Terrain."

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In Union Hidalgo, so berichtet Aktivistin Ramirez, haben die Konflikte um Windparks bereits einige Menschen dazu gezwungen, auf die Suche nach Arbeit oder neuem Land für die Landwirtschaft zu gehen. Sie befürchtet, dass die Stadt bald großflächig von Windturbinen umgeben sein wird. "Niemand wird hierher kommen, um uns von unserem Land zu vertreiben. Aber eines Tages werden wir die Stadt selbst verlassen müssen, weil wir nicht damit umgehen können, umzingelt zu werden", meint Ramirez.

Für sie geht es nicht darum, die Entwicklung der Windenergie zu verhindern, sondern den Einheimischen zu helfen, sie mitzugestalten -  zum Beispiel durch Windparks im Gemeindebesitz, deren Gewinne in die lokale Gemeinschaft zurückfließen.