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"Entartete" Musik

Silke Wünsch30. Oktober 2015

Ein Sinfonieorchester und eine Punkband erinnern an eine Zeit, in der anders denkende Künstler und Musiker in Deutschland verfolgt wurden. Das Album "Willkommen in Deutschland" erscheint passend zur Rassismus-Debatte.

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Konzert der Toten Hosen
Bild: picture-alliance/dpa

Die Toten Hosen spielen "Entartete Musik"

Düsseldorf im Oktober 2013: Die Toten Hosen stehen zusammen mit einem Sinfonieorchester auf der Bühne. Die Musik ist allerdings nicht der typische Punk-Rock der Hosen, weichgespült mit ein paar Streichern. Einige neue Arrangements früherer Hosen-Songs sind zwar zu hören - der Schwerpunkt liegt aber auf bedeutend älteren Liedern. Darunter sind Werke von Bertolt Brecht, Kurt Weill, von den Comedian Harmonists oder vom Zwölftonkomponisten Arnold Schönberg. Lieder, die in den Konzentrationslagern der Nazis gesungen wurden, außerdem eher frivole Spottgesänge, in denen die Nazischergen auf die Schippe genommen werden.

Diese Musik wurde von den Nazis im Dritten Reich als "entartet" bezeichnet. Mit diesem Etikett wurden Künstler und Musiker versehen, deren Werk nicht der Ästhetik der Nationalsozialisten entsprach - aus ihrer Sicht also "undeutsch" war: Dazu zählten vor allem jüdische Kunst und Musik, Avantgarde und Jazz. 1938 führten Nazi-Propagandachef Joseph Goebbels und seine Helfer in der Ausstellung "Entartete Musik" in Düsseldorf solche Werke vor und verhöhnten sie. Viele der betroffenen Künstler und Musiker wurden regelrecht verfolgt und mussten Deutschland verlassen.

Hochaktuell durch die Flüchtlingsdebatte

75 Jahre später tun sich die Punkband Die Toten Hosen und die Musikstudenten der Düsseldorfer Robert Schumann Hochschule zusammen, um mit einem einzigartigen Konzertprojekt daran zu erinnern. Der Titel: "Willkommen in Deutschland", in Anlehnung an einen Hosen-Song aus dem Jahr 1993, der nun wieder hochaktuell geworden ist: Darin geht es um Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

Hosen-Frontmann Campino (r.) und Opernsänger Keno Brandt - Foto: Jan-Philipp Strobel (dpa)
Hosen-Frontmann Campino (r.) und Opernsänger Keno Brandt: Spannendes ExperimentBild: picture-alliance/dpa

Viele Songs, die in diese Richtung gehen, haben die Toten Hosen im Verlauf ihrer über 30-jährigen Karriere schon geschrieben. Auf dem neuen Album sind sie wieder zu hören, in neuem Sound, aktuell und zeitlos zugleich: "Sascha, ein aufrechter Deutscher" oder "Ballast der Republik".

Der Dirigent hat hier die Hosen an

Die Zusammenarbeit der Punkband mit dem Orchester war für beide Seiten ein spannendes Experiment. Gerade die Hosen mussten sich der Disziplin eines großen Orchesters anpassen, von den Probenzeiten bis hin zu der Tatsache, dass der musikalische Leiter derjenige ist, der das Zepter in der Hand hat - und nicht etwa Hosen-Frontmann Campino. In diesem Fall war es Professor Rüdiger Bohn, der entspannt an die Sache heranging. Er habe sich vor den Proben noch keine Gedanken darüber gemacht, wie man so etwas dirigiert, sagte er damals. "Ob wir diese Mischung aus Erinnerung und Rückblick und natürlich auch Trauer hinbekommen - und gleichzeitig diese unglaubliche Lebensfreude, die die Band ausstrahlt, da bin ich ganz optimistisch."

Konzert Die Toten Hosen - Punkrock trifft Zwölftonmusik
Eine Woche lang haben Band und Orchester intensiv geprobtBild: DW/H. Mund

Die Hosen waren nicht ganz so entspannt - sie mussten die Sprache der klassischen Musiker erst noch lernen. "Von uns kann ja keiner Noten lesen", erzählt Gitarrist "Breiti" Breitkopf. In einem Promovideo, das seit einigen Wochen auf der Website der Toten Hosen zu sehen ist, bekommt man einen Eindruck von den Proben, von der Intensität der Musik und Ausschnitte aus dem Konzertfilm.

Die drei Konzertabende vom Oktober 2013 wurden zu einem beeindruckenden Live-Album zusammengeschnitten. Wer damals nicht dabei war, bekommt das Gänsehautgefühl auf der beiliegenden DVD mitgeliefert, außerdem gibt es noch eine Dokumentation rund um das Projekt. Es ist sicher keine Musik, die auf Partys läuft, dazu ist es viel zu harter Tobak. Aber: Die Toten Hosen und das Orchester haben es geschafft, einer einst verfemten und verhassten Musik ein Denkmal zu setzen, ohne dabei in einen Betroffenheitsmodus zu fallen. Chapeau.