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Ende einer Ära

12. März 2007

Nach zwölf Jahren im höchsten Staatsamt verzichtet Präsident Jacques Chirac auf eine erneute Kandidatur. Er gab keine Empfehlung für einen Nachfolger, warnte aber gegen Extremismus und Ultranationale.

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Jacques Chirac (Quelle: AP)
Der französische Präsident Jacques Chirac will nicht mehrBild: AP

Der 74-jährige Neogaullist kündigte am Sonntagabend (11.3.2007) in einer Fernsehansprache an, bei den Wahlen im April nicht mehr für eine dritte Amtszeit anzutreten. Eine Empfehlung für seinen partei-internen Rivalen und Wahlfavoriten Nicolas Sarkozy vermied der Präsident. Mit einem Appell gegen jede Form von Extremismus und Fremdenfeindlichkeit ermahnte Chirac die Franzosen jedoch kaum verhohlen, dem Ultranationalisten Jean-Marie Le Pen ihre Stimme zu verweigern. Über seine eigenen Zukunftspläne äußerte sich der scheidende Präsident nur vage: Er werde weiter für "Gerechtigkeit, Fortschritt, Frieden und die Größe Frankreichs" kämpfen. Mit Chiracs Rückzug nach 45 Jahren an der vordersten Front in der französischer Politik geht für das Land eine Ära zu Ende.

"Ich werde mich nicht um Ihre Unterstützung für ein neues Mandat bemühen", erklärte Chirac an seine Landsleute gerichtet. Die Entscheidung des seit 1995 regierenden Präsidenten war erwartet worden. Umfragen wiesen seit Monaten darauf hin, dass Chirac sich im Falle einer weiteren Kandidatur nur Hoffnung auf wenig Unterstützung aus der Bevölkerung machen konnte.

Warnung vor Extremismus

Roayl und Sarkozy (Quelle: AP)
Royal (l.) und Sarkozy sind zwei der Kandidaten, die sich um die Nachfolge Chiracs bewerbenBild: AP/DW

Frankreich steht damit vor einem Generationswechsel: Alle drei Kandidaten - der konservative Innenminister Sarkozy, die Sozialistin Segolene Royal und der Mitte-Kandidat Francois Bayrou - sind mittleren Alters und haben versprochen, mit der Politik der vergangenen 25 Jahre zu brechen.

In seiner Ansprache bezog Chirac für keinen von ihnen Stellung, rief die Wähler jedoch auf, dem Extremismus eine Absage zu erteilen. "In unserer Geschichte hat der Extremismus uns fast ruiniert. Er ist ein Gift. Er trennt, er pervertiert, er zerstört. Alles in der Seele Frankreichs sagt nein zu Extremismus", erklärte der Chirac.

Le Pen, der in der Wahl 2002 hinter Chirac überraschend Zweiter wurde, bejubelte den Rückzug seines Rivalen und erklärte, er habe seinen ärgsten Feind verloren. "Ich denke, Jacques Chirac wird als der schlechteste Präsident in die Geschichte Frankreichs eingehen", erklärte er. "Es ist eine große Freude." Le Pen selbst bangt noch um seine Kandidatur. Er hat noch Probleme dabei, die nach dem Wahlgesetz notwendige Anzahl von Unterschriften von Mandatsträgern zu bekommen.

Zwiespältige Bilanz

Chirac spielte eine wichtige Rolle in der Beendigung des jugoslawischen Bürgerkriegs in den 1990er Jahren und war der erste Präsident Frankreichs, der anerkannte, dass das Vichy-Regime während des Zweiten Weltkriegs zum Holocaust beitrug. Mit seiner entschiedenen Opposition gegen den US-Einmarsch im Irak 2003 erzürnte Chirac die USA und verkörperte die Kräfte, die der frühere US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld als "Old Europe" abtat.

Insgesamt fällt die Bilanz am Ende von Chiracs politischer Karriere zwiespältig aus. Außenpolitisch wird vielen vor allem seine Irak-Politik sowie sein Wille, Frankreichs Einfluss in der internationalen Politik zu sichern, in Erinnerung bleiben. Innenpolitisch werfen ihm jedoch viele vor, es sei ihm zu wenig um Inhalte gegangen und er habe zuwenig Reformen umgesetzt.

Vor Abtritt unerwartet selbstkritisch

Wenn Chiracs zweite Amtszeit am 17. Mai endet, wird er als dienstältestes gewähltes Staatsoberhaupt Europas von der politischen Bühne abtreten. Das Rennen um seine Nachfolge ist noch völlig offen. In Umfragen hat Sarkozy einen knappen Vorsprung vor der Sozialistin Royal und dem Zentrumspolitiker Bayrou (UDF). Sollte in der ersten Runde am 22. April niemand die absolute Mehrheit erhalten, entscheidet am 6. Mai eine Stichwahl.

Chirac vor Rednerpult (Quelle: AP)
Ende Januar sprach Chirac in Paris auf der Geberkonferenz für den Wiederaufbau des LibanonBild: AP

Seit Wochen mehrten sich die Hinweise, dass Chirac seinen Abschied vorbereitet. Auf drei internationalen Konferenzen widmete er sich noch ein Mal den ihm besonders wichtigen Themen Libanon, Umwelt und Afrika. Ende Februar löste er noch sein Versprechen ein, die Abschaffung der Todesstrafe in die Verfassung aufnehmen zu lassen. Letzter Höhepunkt war der EU-Gipfel am Freitag in Brüssel, auf dem er eine unerwartet selbstkritische Bilanz zog. Das Scheitern des EU-Referendums sei eine "persönliche Niederlage" gewesen, gegen die er selbst vielleicht mehr hätte unternehmen müssen.

Dass sich Chirac nach dem Auszug aus dem Élysée-Palast aufs Altenteil zurückzieht, glauben die wenigsten. Eher sehen ihn seine Vertrauten in einigen Monaten an der Spitze einer internationalen Organisation oder Umweltstiftung. (rri)