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PolitikEuropa

Macron - ungeliebt, aber wiedergewählt

Barbara Wesel
24. April 2022

Macron gewann 2017 die Präsidentschaftswahl triumphal als Seiteneinsteiger und zerschlug das französische Parteiensystem. Nun wurde er wiedergewählt - und muss weiter gegen die Abneigung vieler Franzosen kämpfen.

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Frankreich Präsidentschaftswahl Macrons Siegesfeier in Paris
Emmanuel Macron bei der Siegesfeier in Paris: Die Anhänger jubelnBild: Christophe Ena/AP Photo/picture alliance

Er stand da wie ein jugendlicher Triumphator, der knapp vierzigjährige Emmanuel Macron, als er am Abend des 7. Mai 2017 in den Hof des Louvre in Paris einzog, um mit seinen Anhängern den sensationellen Wahlsieg zu feiern. Ein Hauch von Aufbruch lag über der nächtlichen Szene: Hier stand ein junger Reformer, unberührt vom langen Marsch durch die politischen Institutionen, der auf eigene Faust Frankreich modernisieren und ins 21. Jahrhundert befördern wollte. Jetzt ist er fünf Jahre älter und reifer - und hat es wieder geschafft. Er hat auch jetzt die Wahl gewonnen und darf damit fünf weitere Jahre im Amt bleiben.   

Der klassische Überflieger

Nach seinem Amtsvorgänger, dem oft etwas unbeholfen wirkenden Francois Hollande, war Macron wie eine Lichtgestalt auf die Bühne gestürmt. Elegant, eloquent und mit reichlich Sendungsbewusstsein wurde er zum jungen Hoffnungsträger unter den europäischen Regierungschefs. Dabei waren sein Profil und sein Aufstieg typisch französisch: Als Sohn einer angesehenen Arztfamilie aus dem Norden schaffte er nach dem Studium an der Pariser Sorbonne den Sprung an die berühmte Eliteschule ENA, wo seit Jahrzehnten die Spitzen von Politik und Wirtschaft ausgebildet werden.

Französische Präsidentschaftswahl | Emmanuel Macron vor dem Wahllokal in Le Touquet
Emmanuel und Brigitte Macron in Le Touquet, nahe ihrer Heimatregion im Norden Bild: Ludovic Marin/AFP/Getty Images

Seine ersten Jahre diente er in der Finanzverwaltung ab, übernahm zum Geldverdienen 2008 vorübergehend einen Job als Investmentbanker und kehrte danach in die öffentliche Verwaltung zurück. Es begann sein Aufstieg unter dem Sozialisten Francois Hollande, der ihn 2014 zum Wirtschaftsminister ernannte. Schon ein Jahr später aber verließ er die Sozialisten, um seine eigene Partei zu gründen und dem Präsidenten das Ministeramt vor die Füße zu werfen. 

An der Wurzel von Emmanuel Macrons Erfolg lagen gleichzeitig ein klassischer Königsmord, nämlich der Verrat an seinem politischen Mentor Hollande und ein politischer Zufall, nämlich die Betrugsaffäre des konservativen Präsidentschaftskandidaten Francois Fillon, die dessen Wahlchancen vernichtete. Macron erkannte den glücklichen Moment und ergriff seine Chance.

Was den jungen Aufsteiger aus der Provinz darüber hinaus noch außergewöhnlich machte, war die Ehe mit seiner früheren Lehrerin Brigitte, der er seit seiner Jugend verbunden ist. Ein Vierteljahrhundert älter als der Präsident gilt sie als Macrons stille Ratgeberin und persönlicher Leitstern. Nie jedoch gaben Liebesbeziehung und Ehe eines Präsidentenpaares so viel Anlass zu Spekulation und Klatsch. Manche Beobachter glauben, die ungewöhnliche Konstellation habe zu Macrons Aura des Andersartigen beigetragen. 

Der Mann aus dem politischen Nichts

Als Macron ins Amt kam, lagen zu seinen Füßen die Trümmer der traditionellen französischen Parteien. Die Sozialisten zerstörten sich nach dem unrühmlichen Ende von Francois Hollande durch interne Kämpfe selbst und die Konservativen zerfielen in einen extrem rechten und einen gemäßigten Flügel, aus dem Macron eine Menge seiner Minister und Mitarbeiter rekrutierte.

Frankreich | Präsidentschaftswahlen | Wahlplakat
Eine Mehrzahl der Franzosen hält Macron für kompetent - aber auch für arrogant und abgehoben Bild: Yves Herman/REUTERS

Er besetzte die politische Mitte quasi parteiübergreifend, ohne daraus jedoch eine neue ideologische Richtung zu definieren. Je nach der Stimmung im Land wandte sich der Präsident mehr rechten oder mehr linken Anliegen zu und erweckte zuweilen den Eindruck der Richtungslosigkeit.

Dabei hatte der junge Amtsinhaber durchaus Visionen. In seiner berühmt gewordenen Sorbonne-Rede zeigte er nicht nur sein ausuferndes rhetorisches Talent, sondern auch außergewöhnliche Weitsicht: Europa müsse autonom werden, wirtschaftlich, politisch und militärisch, hatte Macron damals gefordert. In Berlin stieß die Botschaft auf taube Ohren. In Brüssel gilt sie inzwischen, spätestens aber seit dem Krieg in der Ukraine, als herrschende Meinung.

Der Krisenmanager

In der französischen Politik blies der Wind Macron schnell ins Gesicht: Schon im Winter 2018 stoppten die Proteste der Gelbwesten seine Pläne. Die Demonstrationen hatten sich an einer Umweltumlage auf Dieseltreibstoff entzündet, uferten aber schnell zu einem breiten Kampf gegen den Präsidenten aus. Macron wollte die erstarrte Verwaltung Frankreichs modernisieren, das Land wirtschaftsfreundlicher machen, das teure Pensionssystem reformieren und vieles mehr. Aber viele dieser Anliegen wurden nach französischem Brauch weitgehend totgestreikt.

Kaum war der soziale Friede wieder hergestellt, kam Corona. Macron musste sich als Krisenmanager bewähren, was anfangs weniger gut lief, später aber ziemlich erfolgreich gelang. Die Impfquote in Frankreich ist hoch, die Krankenhäuser wurden nicht überwältigt, die wirtschaftlichen Folgen durch staatliche Hilfsprogramme aufgefangen. Die ökonomische Erholung in Frankreich verlief besser als bei den Nachbarn.

Frankreich Paris | Präsident Emmanuel macron bei einer Rede im Élysée-Palast
Macron bei einer Rede im Élyséepalast - er gewann schnell den Spitznamen "Jupiter"Bild: Ludovic Marin/AP Photo/picture alliance

Die Freude war jedoch kurz, denn der Krieg in der Ukraine brachte zunächst politische Verunsicherung und dann Preissteigerungen. Inzwischen werden die französischen Wähler in der Mehrheit von der Angst vor explodierenden Lebenshaltungskosten umgetrieben. Die Zuwanderung und die Rolle des Islam in der Gesellschaft, die explosiven und spaltenden Themen der letzten Jahre, sind demgegenüber vorerst zurückgetreten.

Der ungeliebte oder gar verhasste Präsident

Bei allem Hohn und Spott gegen andere Präsidenten wie Francois Hollande oder Nicolas Sarkozy: Kein französischer Präsident wurde von so blankem Hass verfolgt, wie Emmanuel Macron. Sein Spitzname ist Jupiter, er gilt als arrogant und abgehoben, einer der von oben herab regiert. Dabei hat er weder den Sozialstaat demontiert noch Frankreich sonst wie zur Unkenntlichkeit verändert. Es scheint ein quasi außerpersönlicher Hass, der seine jetzige Wiederwahl zwar nicht verhindern konnte, den Kampf aber härter werden ließ als ursprünglich gedacht.

Die Ursache sei nicht Macrons Politik, erklärte der Historiker Pierre Rosanvallon im Sender France Inter, sondern habe mit seiner Person, seinem Charakter zu tun. "Er stellt etwas dar, das tiefe Ablehnung verursacht. Ihm haftet ein Bild von Distanz und Verachtung an". Darüber hinaus aber sei es das Fehlen von politischer Bodenhaftung und dass er nicht wie andere Präsidenten in einer Region groß wurde, in der er die Menschen und ihren Alltag kennt.

Macron fehlt schlichtweg der politische Stallgeruch, er gilt als kalter Technokrat, der nicht genug Landwirtschaftsmessen und Feuerwehrbälle besucht hat. Demgegenüber zeigt der große Erfolg der populistischen Rechtsextremen ein weithin gespaltenes Land und einen Bodensatz von reaktionärem Nationalismus, Fremdenhass und antidemokratischen Tendenzen. Deswegen und angesichts der weltpolitischen Lage könnte für Emmanuel Macron in punkto zweite Amtszeit durchaus die Mahnung gelten: Sei vorsichtig, was du dir wünscht.