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Eltern zwischen Ehrgeiz und Überforderung

13. Oktober 2011

Wie viel Bildung braucht mein Kind? Welche Rolle spielt dabei die Erziehung zur Bildung? Diese Fragen haben zwei Studien untersucht, die neue Impulse für die Bildungsdebatte in Deutschland geben.

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Kind steht auf Buchstapel (Foto: Fotolia)
Bild: Fotolia/Naty Strawberry
Prof. Dr. Klaus Hurrelmann von der Hertie School of Governance (Foto: Vodafone-Stiftung)
Klaus Hurrelmann: "Wir stecken in einer historischen wohlfahrtspolitischen Falle"Bild: Vodafone Stiftung Deutschland/Stefan Lucks

Eine gute Bildung ist entscheidende Voraussetzung für den beruflichen Erfolg eines Menschen. Das sehen 94 Prozent der Eltern in Deutschland so. Zu diesem Ergebnis kommt das renommierte Institut für Demoskopie Allensbach in seiner Studie zu Bildungsambitionen und Erziehungszielen von Eltern. Bundesweit wurden dazu rund 1200 repräsentativ ausgewählte Eltern befragt. "Das wichtigste Ergebnis der Studie ist, dass sie deutlich zeigt, wie ehrgeizig die Eltern in Deutschland sind", sagte Klaus Hurrelmann, wissenschaftlicher Begleiter der Studie und einer der führenden Bildungsforscher in Deutschland, bei der Präsentation der Ergebnisse am 11. Oktober 2011 in Berlin. Aus Jugendstudien der letzten Jahre wie der Shell-Jugendstudie wisse man, dass die Kinder und Jugendlichen äußerst ehrgeizig seien.

Bildung ist schichtenabhängig

Links im Bild: Professorin Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach (Foto: Vodafone-Stiftung)
Renate Köcher vom Institut für Demoskopie Allensbach (links)Bild: Vodafone Stiftung Deutschland/Stefan Lucks

Soweit die vermeintlich gute Nachricht. Doch es gibt auch eine schlechte Nachricht. Die Studie trägt den Titel "Zwischen Ehrgeiz und Überforderung". Viele Eltern seien überfordert, erläuterte die Allensbach-Geschäftsführerin Renate Köcher, weil sie meinten, dass nicht alle Kinder die gleichen Chancen hätten und sie selber nicht genug dagegen tun könnten. "Bildung ist in Deutschland schichtenabhängig", fasste Köcher zusammen. "Es gibt eine ganz enge Korrelation zwischen Bildungshintergrund, Elternhaus und Bildungskarriere der Kinder. Das ist unbefriedigend, weil es zeigt, dass Unterschichtkinder schlechtere Chancen haben und dies durch das Schulsystem unzureichend ausgeglichen wird."

Weil viele Eltern, besonders aus den unteren sozialen Schichten, ihren Kindern weniger helfen könnten als sie wollten, wünschten sie sich mehr staatliche Unterstützung und stärkere Erziehung in den Schulen. Doch hier stecke Deutschland in einer historischen wohlfahrtspolitischen Falle, sagte Klaus Hurrelmann: "Es ist unsere Tradition, dass die Entwicklung der Kinder, auch ihre Bildung, auf Gedeih und Verderb von den Eltern abhängig ist. Deshalb fällt es uns jetzt so schwer zu sehen, dass das keine kluge Politik ist."

Im internationalen Vergleich gibt es in Deutschland sehr hohe direkte Subventionen für die Familien, wie das Kindergeld. Öffentliche Einrichtungen wie Kindergärten und Kinderkrippen haben in Teilen der Gesellschaft ein familienfeindliches Image und werden weniger gefördert. Erziehung ist Privatsache, so lautet eine gängige Überzeugung, die sogar im Grundgesetz festgeschrieben ist. Dort heißt es in Artikel 6: "Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern."

Wunsch nach mehr Erziehung

Die durch die Studie verdeutlichten Schwachstellen im Bildungssystem zeigten, dass gesamtgesellschaftlich umgedacht werden müsse, hieß es nun in Berlin, und daraus wurden konkrete Forderungen abgeleitet: Es müsse mehr Geld für öffentliche Bildungseinrichtungen geben. Zudem solle eine bessere Kooperation zwischen Eltern und Schulen auf den Weg gebracht werden. Und Familienpolitik solle mit Bildungspolitik stärker verschränkt werden.

Zu denjenigen Eltern, die sich mehr Erziehung in der Schule wünschen, zählen viele türkische Eltern. Das hat das Institut für Allensbach in einer speziellen Stichprobe herausgefunden. Türken sind die größte Migrantengruppe in Deutschland und stehen derzeit besonders im Fokus vieler Medien, auch weil es teilweise große Integrationsprobleme gibt. Türkische Eltern können ihren Kindern, das ergab die Studie, oftmals nicht so helfen, wie sie wollten. Denn es mangele an entsprechenden Deutschkenntnissen. So entstünden besonders hohe Erwartungen an die Schulen.

Ahmet Toprak Professor für Erziehungswissenschaften an der Fachhochschule Dortmund (Foto: FH Dortmund)
Ahmet Toprak, Professor für Erziehungswissenschaften an der Fachhochschule DortmundBild: FH Dortmund

Doch hier wird ein anderes Problem berührt, das die Konrad-Adenauer-Stiftung in der jüngst veröffentlichten Studie "Muslimische Kinder und Jugendliche in Deutschland" beschrieben hat. Viele türkische Eltern hätten demnach eine falsche Vorstellung von Schule und damit auch ein schwieriges Verhältnis zu Lehrern. "Das Problem besteht darin, dass beide Seiten, also Eltern und Lehrer, Wünsche haben, aber niemand von diesen Wünschen direkt weiß", sagt Ahmet Toprak, Erziehungswissenschaftler und Mitautor der Studie. "Die Schule erwartet von den Eltern, dass sie ihre Kinder vorerziehen und fertig in der Schule abgeben. Nur davon wissen die Eltern nichts und schicken ihre Kinder mit der Hoffnung in die Schule, dass die Schule sie anständig erzieht."

Wie gegensteuern?

Ungefähr ein Drittel der türkischen Eltern seien überfordert, schätzt Toprak. Gleichzeitig aber hätten sie hohe Anforderungen und wollten, dass ihre Kinder Abitur machen. Einen Lösungsweg sieht Toprak in mehr Ganztagsschulen und längerem gemeinsamen Lernen über die vierjährige Grundschule hinaus. "Wir selektieren sehr früh, und da scheiden vor allem Kinder aus ärmeren Verhältnissen und aus Migrantenfamilien aus, weil sie die Unterschiede in vier Jahre nicht kompensieren können." Deshalb müsse ernsthaft umgedacht werden, so Toprak: "Ob wir wollen oder nicht, Schule wird erziehen müssen. Das sagt unsere praktische Erfahrung."

Bildungspolitik wird in Deutschland seit zehn Jahren wieder groß geschrieben - auch weil in einer schrumpfenden Gesellschaft jeder kluge Kopf gebraucht wird. Die beiden vorgestellten Studien geben interessante Impulse für die laufende Debatte, wie Schulen in Deutschland effektiver werden könnten.

Autor: Kay-Alexander Scholz
Redaktion: Svenja Üing