1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Elias Canetti: Ein Multikulti schreibt Deutsch

25. Juli 2005

Er war der Prototyp des Europäers: Der Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger Elias Canetti lebte in Bulgarien, England, Österreich, der Schweiz und Deutschland. Am 25. Juli 2005 wäre er 100 Jahre alt geworden.

https://p.dw.com/p/6wrB
Lebte im Lesen und Schreiben nur auf Deutsch: Elias CanettiBild: dpa

"Ich gebe zu, dass ich kein Vaterland habe. Aber jedes Land noch, in das ich kam, begann ich bald zu lieben“, sagte Elias Canetti einst über sein multikulturelles Leben. Der Schriftsteller wurde am 25. Juli 1905 in Rustschuk (heute Russe) geboren, einem Ort, der früher zur Türkei und später zu Bulgarien gehörte. Seine Eltern waren spanisch-jüdischer Herkunft und seine ersten Worte sprach er auf "Ladino“, dem heute fast ausgestorbenen Spanisch des 15. Jahrhunderts. Später kamen – entsprechend seiner jeweiligen Aufenthaltsorte – Bulgarisch und Türkisch sowie Englisch, Französisch und Deutsch dazu: 1911 zog Canetti mit seinen Eltern und den zwei jüngeren Brüdern nach Manchester, nach dem frühen Tod des Vaters ging es mit dem Rest der Familie 1913 nach Wien, zwischendurch verbrachte er mehrere Monate in Lausanne.

Spezialformat: Elias Canetti, der deutschsprachige Schriftsteller
Elias Canetti im Oktober 1972 anlässlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises in DarmstadtBild: dpa

In Wien lernte Canetti mit Hilfe seiner Mutter Deutsch, für das er trotz des strengen Unterrichts eine Vorliebe entwickelte - er nannte es später sogar seine wahre Muttersprache, vielleicht wegen seiner innigen Beziehung zur Mutter, vielleicht aber auch, weil er all seine Werke auf Deutsch verfasste: "Im Lesen und Schreiben bin ich nur deutsch am Leben“, schrieb Canetti später im Exil in England während des Zweiten Weltkriegs.

Vom Chemiestudent zum Schriftsteller

So richtig fing er mit dem Schreiben eher spät an: Nach der Schulzeit in Wien und Zürich und dem Abitur in Frankfurt am Main schickte seine Mutter ihn erst einmal zum Chemiestudium nach Wien zurück. Dort begeisterte er sich für den Wiener Satiriker Karl Kraus und lernte auf einer Lesung 1924 seine erste Frau Venetia "Veza" Toubner-Calderón kennen, eine Schriftstellerin.

Nach einem Aufenthalt in Berlin 1928, der ihn unter anderem auch mit Bertold Brecht zusammenführte, plante Canetti eine Romanserie zum Thema "Menschlicher Irrsinn". Dieses Vorhaben brachte er zwar nicht zu Ende, veröffentlichte aber 1936 seinen großen Roman "Die Blendung". Der wurde jedoch trotz guter Kritiken von Thomas Mann und Hermann Hesse im deutschen Sprachraum nicht groß beachtet. In "Die Blendung" zieht sich der Sinologe und Bücher-Fan Peter Kien vor der Bedrängung der Außenwelt in seine Bibliothek zurück und verbrennt sich schließlich mit seinen Büchern. Heute wird das Buch in einem Atemzug mit Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften" und Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz" genannt.

Später Ruhm

Elias Canetti
Canetti bei der Literatur-Nobelpreis-Verleihung am 10. Dezember 1981 in StockholmBild: AP

Für sein 1960 erschienenes Hauptwerk "Masse und Macht" sammelte Canetti rund zwanzig Jahre lang Material. Die Begeisterung der Massen beim Kriegsausbruch hatte in ihm schon länger den Plan wachgerufen, das Phänomen von Masse und Massenwahn zu untersuchen. Das daraus resultierende philosophisch-anthropologische Werk in zwei Bänden sah Canetti als sein Lebenswerk an und schaffte es damit auch, in den Blickpunkt der literarischen Öffentlichkeit zu kommen. Richtige Bestseller und Publikumslieblinge wurden aber erst seine dreibändige Autobiografie (1971, 1980 und 1985) und sein Bericht über eine Reise nach Marrakesch (1968). Für seine Romane, Essays und auch Dramen erhielt Elias Canetti schließlich 1981 den Nobelpreis für Literatur.

Elias Canetti von Sven Hanuschek
Die erste Biographie des Nobelpreisträgers Elias Canetti. Sven Hanuschek konnte als einer der ersten den Nachlass Canettis einsehen und Freunde und Weggefährten befragen

"Der Ruhm kam für Canetti spät", schreibt Sven Hanuschek in der ersten Biografie des Schriftstellers, die nach dessen Verfügung erst zehn Jahre nach dem Tod veröffentlicht werden durfte. Auch mit dem "bürgerlichen" Leben fing der Schriftsteller später an: Zwar war er mit Veza verheiratet und lebte auch bis zu ihrem Tod 1963 mit ihr zusammen, hatte aber wechselnde Affären. 1971 heiratete er die Restauratorin Hera Buschor und wurde im Alter von 66 noch Vater einer Tochter.

Canetti hasste den Tod, der ihm früh den Vater und auch beide Frauen genommen hatte: "Das ganz konkrete und ernsthafte, das eingestandene Ziel meines Lebens ist die Erlangung der Unsterblichkeit für die Menschen", schrieb er in seinen "Aufzeichnungen" 1943. In seiner Literatur lebt Elias Canetti weiter. Die irdische Welt verließ er in Zürich am 14. August 1994 im Alter von 89 Jahren. (bur)