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El-Kaida ist keine Organisation, sondern eine Idee

Das Interview führte Constantin Schreiber5. September 2005

Nur wenig dringt über Struktur und Organisation El-Kaidas nach außen, das Netzwerk arbeitet im Geheimen. Der Terrorismus-Experte Rolf Tophoven gibt Einblicke in die Interna des Terrors.

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Der Terrorismusforscher Rolf TophovenBild: dpa

DW-WORLD: Wie ist el-Kaida heute organisiert?

Rolf Tophoven: Die Zerstörungen der Trainingscamps von El-Kaida in Afghanistan haben eine völlig neue Struktur bedingt. Das führte zu zweierlei: einmal wurden die früheren hierarchischen Strukturen der El-Kaida zerstört, es gibt heute allenfalls noch sehr flache Strukturen, aber die alte El-Kaida existiert so heute nicht mehr. Es ist heute weitestgehend Konsens, dass wir über El-Kaida nicht mehr von einer Organisation sprechen, sondern von einer Idee. Diese Idee ist getragen von einer politischen Ideologie, vorgegeben einmal von Osama bin Laden, aber noch mehr von seinem ideologischen Ziehvater Ayman el-Zawahiri.

Haben bin Laden und Zawahiri noch entscheidenden Einfluss?

Das ist die "große Leistung" Osama bin Ladens, dass es ihm gelungen ist, nach wie vor als Impulsgeber auf der Bühne des Terrors zu stehen. Er wird zwar operativ eigentlich nicht mehr gebraucht, es ist wohl so, dass er auch operativ in die Planungen gar nicht mehr eingreifen kann. Er ist mit der Eigensicherung und mit seiner Flucht beschäftigt. Aber bin Laden und Zawahiri haben es geschafft, weltweit militante Islamisten zu inspirieren. Und diese Inspiration zeigt, dass es nicht mehr um eine Organisation mit einer straffen Struktur geht, sondern dass sich das Ganze sehr flexibel als im Fluss befindlich darstellt. So ist heute Propagenda für den Dschihad das Ziel.

Wie muss man sich die Vernetzung vorstellen?

Es gibt weltweit ein Netzwerk von Netzwerken. Man muss sich das so vorstellen: Der von bin Laden ausgerufene Dschihad ist das vorgegebene Credo. Dieses Credo wurde von militanten Islamisten verinnerlicht. Das schlägt schließlich in Aktionen um. Dies betrifft noch die erste Generation von Terroristen, die Veteranen des Afghanistan-Krieges, die dort als Mudschahedin gekämpft haben. Die zweite Generation war die, die in den 1990er Jahren am Hindukusch in Afghanistan in den Trainingscamps waren. Das waren 25.000 bis 30.000 Männer. Die neue Generation ist weder das eine noch das andere, sondern viele kommen aus Europa, aus den arabisch-muslimischen Communities hier bei uns. Das war bei den Madrider Anschlägen der Fall und auch bei der Ermordung des niederländischen Regisseurs Theo van Gogh und in London. Die Attentäter lebten in einer bürgerlichen Scheinlegalität, waren nicht straffällig, geraten dann aber in ein radikales islamistisches Umfeld und begehen diese Taten.

Und wie kommunizieren die Gruppen miteinander?

Man sucht ja häufig nach den Drahtziehern, den master-minds. Es kann sein, dass es da noch eine mittlere Führungsebene der El-Kaida gibt, die die Gruppen aufsucht sie instruiert, ihnen Geld gibt und vielleicht sogar das logistische Know-how. Und dann ziehen sie sich wieder zurück. Aber die Terror-Zelle selbst entscheidet, wer, wann, wo und wie anzugreifen ist. Das kommt aus dieser Zelle heraus, ohne dass das von außen geplant oder vorbereitet wäre. Und das macht es so schwierig, diese Gruppen zu bekämpfen. Diese Gruppen untereinander sind, wenn überhaupt, dann nur sehr lose vernetzt. Das sind häufig nur etwa drei bis vier Leute, es kann sein, dass sie nur für einen bestimmten Anschlag zusammen kommen.

Was ist denn die Motivation der Attentäter aus Europa?

Da gibt es die unterschiedlichsten Motive. Da ist einmal der Hass auf den Westen, auf unsere Werte. Das kann aber auch sozialer Frust sein, das Gefühl des Ausgegrenzt-seins. Es kann die gefühlt Machtlosigkeit sein. All dieses kulminiert dann plötzlich und manifestiert sich, indem diese Leute Bomben bauen. Die Kommunikation ist sehr schwer zu kappen, weil es ja zum großen Teil über das Internet läuft. Das Internet ist so etwas wie ein virtueller Selbstbedienungsladen für den Dschihadisten. Im Internet wird rekrutiert, da werden Finanzströme aufgebaut, da wird die Bombenanleitung gegeben. Das ist das Kommunikationsmittel schlechthin. Und das Internet ist natürlich auch ein Ort der Propaganda und des terroristischen Marketings. Parallel dazu gibt es noch die unregelmäßig ausgestoßenen Propaganda-Videos Osama bin Ladens und Zwahiris.

Aber wie kann man diesen Zellen dann überhaupt auf die Spur kommen? Gibt es so etwas wie ein Täterprofil?

Es gibt sicherlich ein neues islamistisches Täterprofil. Dieses Täterprofil ist anonym, es ist ein Terror ohne Gesicht. Zwar konnte man etwa in London die Täter durch die Videoüberwachung individualisieren. Aber das hilft nicht, Anschläge zu verhindern, weil es ja ansonsten unauffällige Menschen sind. Häufig sind die Täter junge Leute zum Beispiel aus Nordafrika, perpektivlos, arbeitslos, mit dem Gefühl der Ausgrenzung. Es kann aber auch sein, dass es sich um gut ausgebildete Menschen handelt, well educated people, studierte Leute mit Abschluss. Und bei diesen Menschen ist es häufig so, dass sie ein religiöses Erweckungserlebnis haben, dann zur Bombe greifen. Solche Erweckungserlebnisse können diese Menschen plötzlich umkehren. Sie werden dann zum Selbstmörder, zum Schahid. Aber ein Schahid versteht sich eben nicht als Selbstmörder, sondern als Märtyrer. Es gibt also ein sehr schillerndes, facettenreiches Profil.

Rolf Tophoven leitet das Institu für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik in Essen