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Eine historische Entscheidung

22. März 2010

Der Abstimmungserfolg zur Gesundheitsreform im US-Repräsentantenhaus war innen- und außenpolitisch einer der wichtigsten Meilensteine für US-Präsident Obama, meint DW-Korrespondentin Christina Bergmann.

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Bild: DW

Es war eine historische Entscheidung. Die USA waren seit Jahrzehnten die einzige demokratische Industrienation, die ihren Bürgern das Recht auf eine Krankenversicherung vorenthalten hatte. Dieser beschämende Zustand ist nun beendet. Mit der Abstimmung im US-Repräsentantenhaus am späten Sonntagabend (21.03.2004) werden 32 Millionen bislang unversicherter Amerikaner eine Krankenversicherung erhalten. Mehr noch: Die unerträgliche Praxis der Versicherungen, Menschen den Vertrag zu kündigen, wenn sie ernsthaft erkranken, wird ebenso abgeschafft wie die Möglichkeit, Amerikanern den Versicherungsschutz zu verweigern, weil sie eine Vorerkrankung haben.

Viele Zugeständnisse an Kritiker

Dabei ist das jetzt verabschiedete Gesetz nicht der ganz große Wurf, als der es ursprünglich gedacht war. Der mehr als einjährige Kampf, der um die Reform geführt wurde, hat seine Spuren hinterlassen. Auf der Strecke geblieben ist zum Beispiel die Einrichtung einer staatlichen Krankenversicherung, die viele Demokraten zu Beginn der Diskussion als zwingend notwendig bezeichnet hatten. Jetzt muss es auch ohne gehen. Auch die Finanzierung steht auf wackligeren Füßen als ursprünglich gedacht. Dennoch soll das Gesetz langfristig Geld sparen und das gigantische Haushalsdefizit reduzieren, hat das für solche Berechnungen zuständige Kongressbüro erklärt.

Christina Bergmann, Studio Washington
Christina Bergmann, Studio Washington

Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, hat darauf hingewiesen, dass das Gesetz zwar keine Stimmen der Republikaner bekommen hat, aber mehr als 200 ihrer Gesetzesergänzungen übernommen wurden. Das hinderte die Konservativen nicht daran, in der Debatte am Sonntag noch einmal ihre üblichen Schreckensbilder von Totalitarismus, Sozialismus und dem drohenden Ende der persönlichen Freiheit zu zeichnen, zu denen die Reform angeblich führt. Sie versuchten bis zuletzt, das Gesetz zu Fall zu bringen. Dabei wurde klar, dass es ihnen nicht um Inhalte geht, sondern dass sie um jeden Preis einen Erfolg Obamas verhindern wollten.

Überzeugungsarbeit in den eigenen Reihen

Der ganze unappetitliche Prozess hat seine Spuren hinterlassen. Für den Präsidenten wurde die Reform schließlich zu einer existentiellen Frage. Die Versäumnisse im vergangenen Sommer, die den Republikanern ermöglichten, die öffentliche Debatte über die Gesundheitsreform zu bestimmen, machten es notwendig, dass Barack Obama zum Schluss mehr Zeit in die Gesetzesinitiative investieren musste, als ihm lieb sein konnte. Die Entscheidung, eine Auslandsreise nach Guam, Indonesien und Australien zu verschieben, war das öffentliche Eingeständnis, dass es der ganzen Kraft des Präsidenten bedurfte, die notwendigen Stimmen in der eigenen Partei zusammen zu bringen. Nur mit Hilfe eines präsidialen Erlasses, der die Abtreibungsgegner bei den Demokraten zufriedenstellte, konnte das Gesetz letztlich verabschiedet werden. Und der Präsident erklärte nach der Abstimmung selbst: Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber noch nicht das Ende der Debatte.

Für Barack Obama ist diese historische Abstimmung innen- und außenpolitisch in der Bedeutung nicht zu unterschätzen. In der Innenpolitik kann er sich jetzt der Wirtschaft und der Schaffung von Arbeitsplätzen widmen – dem Thema, das die Amerikaner letztlich noch mehr interessiert als die Krankenversicherung. In den anstehenden Kongresswahlen werden die Demokraten hier Erfolge vorweisen müssen, wenn sie dramatische Stimmenverluste verhindern wollen. Und außenpolitisch verschafft sie ihm nicht nur Luft für die Lösung der internationalen Krisen, bei denen der US-Präsident bisher wenig erfolgreich agierte. Er kann nun zum ersten Mal vorweisen, dass er nicht nur gute Reden halten, sondern einen Politikwechsel, für den er gewählt worden ist, auch in die Tat umsetzen kann.

Kommentar: Christina Bergmann
Redaktion: Gerd M. Friese