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Eine Generation später

Rodion Ebbighausen8. August 2013

Der Militärputsch von 1988 beendete die Träume der Opposition - vorerst. Über 25 Jahre wurde auf das Militärregime Druck ausgeübt. Seit kurzem gibt es Reformen. Die Gründe und Motive dafür sind umstritten.

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(Foto: DW/Tun Lynn)
Bild: DW/Tun Lynn

Nachdem das Militär in Birma, dem heutigen Myanmar, am 18. September 1988 die Macht übernommen hatte, mussten sich die oppositionellen Kräfte neu formieren. Sie hatten zwei Möglichkeiten: Sie konnten sich einer der neu entstehenden Parteien anschließen, oder sie konnten in den Untergrund gehen, sei es im Kernland Birmas oder an den Grenzen des Landes.

Aung San Suu Kyi gründete gemeinsam mit Tin Oo und Aung Gyi am 27. September die Nationale Liga für Demokratie (NLD). Die Partei sog den größten Teil der oppositionellen Kräfte auf und bildete damit die stärkste politische Alternative zu dem vom Militär ins Leben gerufenen "Staatsrat für die Wiederherstellung von Recht und Ordnung" (SLORC). Insgesamt entstanden um den Jahreswechsel 1988/89 mehr als 200 Parteien. Bei den meisten handelte es sich allerdings um sogenannte "Telefon und Benzin"-Parteien, denn das neue Parteiengesetz gestattete jeder Partei vier Telefonleitungen und monatlich etwas mehr als 250 Liter ansonsten schwer zu ergatternden Benzins. Bis heute vereint die NLD den größten Teil der Opposition auf sich. Zur stärksten Partei könnte sie frühestens bei den nächsten Wahlen 2015 werden.

Wege des Widerstands

Der bekannteste Studentenführer Min Ko Naing (der nome de guerre bedeutet "Bezwinger des Königs" oder "Ich werde dich besiegen"), dessen bürgerlicher Name Baw Oo Tun lautet, wählte wie viele andere Studenten den Weg in den Untergrund. Er versteckte sich in Yangon, wurde aber im März 1989 verhaftet. 2005 gründete er gemeinsam mit anderen ehemaligen Studenten die „88-Generation“, die sich selbst als zivilgesellschaftliche Organisation versteht und den Demokratisierungsprozess zu beeinflussen sucht.

Ehemaliger Studentenführer Min Ko Naing vor Symbol der 88-Generation (Foto: DW/R. Ebbighausen) Wann wurde das Bild gemacht?: erste Woche Mai 2013 Wo wurde das Bild aufgenommen?: Yangon
Ehemaliger Studentenführer Min Ko NaingBild: DW/R.Ebbighausen

Die meiste Zeit seit 1948 herrscht in Myanmar Bürgerkrieg. Myanmar ist ein Vielvölkerstaat, in dessen Zentrum die Bevölkerungsmehrheit der Bamar leben, während in den Grenzregionen verschiedene ethnische Minderheiten zuhause sind (siehe Infografik). Seit Jahrzehnten kämpfen die ethnischen Minderheiten für politische Selbstbestimmung und verfügen oft über schlagkräftige Widerstandsarmeen wie die Shan-State Army, die Kachin Independent Army oder die Karen National Union, um nur einige zu nennen.

Karte Myanmars mit allen Staaten und Regionen (DW/Per Sander)

Die Folge davon: Die Zentralregierung kontrolliert zwar das Kernland, aber nicht die Grenzregionen. Rund 10.000 Oppositionelle schlossen sich den Widerstandsgruppen zum Teil an, gründeten aber auch eine eigene Studentenarmee, die All Burmese Students Defense Force (ABSDF). Die meisten verließen aber bald den Dschungel und gingen nach Chiang Mai in Thailand, nach Delhi oder Oslo, um von dort Aufklärungsarbeit zu leisten.

Permanenter Ausnahmezustand

Das Militär, das im September 1988 angetreten war, um Recht und Ordnung wiederherzustellen, regierte mit Hilfe des permanenten Ausnahmezustands. Nach den Wahlen von 1990, bei der die Oppositionspartei NLD 59 Prozent der Stimmen gewann, weigerte sich die Militärregierung (SLORC), die Macht zu übergeben. Die Begründung lautete, dass es vor der Machtübergabe einer neuen Verfassung bedürfe. Die Militärs haben sich selbst immer als Übergangsregierung verstanden, die freilich mehr als 20 Jahre lang den Übergang verwaltet hat. Zentral war dabei die von den Militärs entwickelte "Roadmap zu einer disziplinierten Demokratie" von 2003. Es handelt sich um einen siebenstufigen Prozess für eine Demokratieentwicklung, den das Regime mit großer Hartnäckigkeit verfolgt hat. Die Opposition und der Westen haben im Militär immer eine Clique autokratischer Machtmenschen gesehen.

Wandmalerei im Vorhof der 88-Generation (Foto: DW/R. Ebbighausen)
Wandmalerei im Vorhof des Hauses der 88-GenerationBild: DW/R.Ebbighausen

Seit 1988 hielten die Opposition und vor allem der Westen den Druck auf das Militär aufrecht. Das zeigen andauernde militärische Auseinandersetzungen in den Grenzgebieten, diverse Proteste und die Sanktionspolitik, mit der das Land belegt wurde.

Erst 2011 kam Bewegung in die verhärteten Fronten. Die Militärs entließen Suu Kyi aus dem Hausarrest, ihre Partei, die NLD, nahm im April 2012 an den Nachwahlen für das Parlament teil, politische Gefangene wurden freigelassen, die rigide Pressezensur wurde gelockert und die Zentralregierung bemüht sich um Frieden mit den Widerstandsbewegungen der ethnischen Minderheiten.

Die Gründe für den Wandel seit 2011

Auch wenn sich die meisten Menschen in Myanmar einig sind, dass 1988 den Ursprung der aktuellen Öffnung markiert, gehen die Erklärungen für die Öffnung des Landes seit 2011 weit auseinander. Die Schriftstellerin Ma Thida sieht eine Reihe von äußeren Faktoren. "Alles, die NLD, die 88-Generation, die Sanktionen des Westens, hatte einen kumulativen Effekt, dem wir die Öffnung des Landes verdanken."

Der Journalist Thiha Saw nennt vor allem innenpolitische Gründe. Die Militärs hätten nach dem Wahlerfolg der NLD 1990 die Änderung der Verfassung vorgeschoben, um vor der Machtübergabe eine Verfassung nach ihren Vorstellungen zu schreiben. Das dauerte bis 2008. Als dann die autokratischen Systeme in Tunesien, Ägypten und Libyen ins Wanken kamen, zögerten die Militärs nicht länger: "Der Grund für den Wandel ist, dass sie einen gewaltsamen Übergang wie den Arabischen Frühling verhindern wollten", so Thiha Saw.

Einen weiteren Grund sehen Thiha Saw und sein Kollege Zeyar Thu in der nach wie vor schwachen Wirtschaft, vor allem im Vergleich zu den Nachbarn. "Die Militärs haben das Gefühl, dass wir zu unseren Nachbarn aufholen müssen." Die Wirtschaftskraft Myanmars ist gegenüber der in den Nachbarländern wie Malaysia, Thailand und Vietnam geradezu winzig. Die Militärs, die auch in der Wirtschaft an den Schalthebeln sitzen, wollen ein Stück vom globalen Kuchen abhaben. Sie werden vom Ende der Sanktionen und den Investitionen aus dem Ausland ganz besonders profitieren, so die beiden Journalisten.

Demokratiekurs halten

Die Konzentration auf die Wirtschaft macht allerdings der Opposition Sorgen, wie Nyan Win von der NLD erklärt: "Die Regierung sagt, dass die Entwicklung oberste Priorität hat. Aber wir von der NLD denken anders. Wir denken, dass Demokratisierung und Entwicklung gleich wichtig sind." Auch Min Ko Naing drängt auf politische Reformen: "Wir brauchen ein parlamentarisches System, und genauso wichtig ist die Entwicklung einer Zivilgesellschaft, um das Bewusstsein für die Demokratie zu schärfen."

Wandmalerei im Vorhof der 88-Generation (Foto: DW/R. Ebbighausen)
Nyan Win vor der Flagge der NLD und einem Bild von Aung San Suu KyiBild: DW/R.Ebbighausen

Khin Maung Gyi, der heute beigeordneter Generalsekretär der National Unity Party (NUP) ist, fürchtet, dass eine Partei, nämlich die NLD, die politische Landschaft dominieren könnte. " Um ein politisch stabiles System zu entwickeln, benötigen wir eine Regierung der nationalen Einheit. Wir brauchen nicht eine Partei, die die gesamte politische Szene dominiert. Das wäre nicht gut." Dabei war er selbst früher Mitglied der 1988 gestürzten Einheitspartei BSPP

Entscheidend für das Gelingen der Öffnung des Landes wird auch der Umgang mit den ethnischen und religiösen Minderheiten sein. The Oo, ein Muslim und ehemaliger politischer Gefangener, sieht große Defizite: "Muslime und andere religiöse bzw. ethnische Minderheiten sind nicht sicher in Myanmar. Die Bedingungen verschlechtern sich zusehends. Das liegt daran, dass es weder Gleichheit noch einen Rechtsstaat gibt."

Wohin geht die Reise?

Aber es fehlt nicht nur an einem Rechtsstaat, sondern oft auch an konkreten Vorstellungen darüber, wie das Land demokratisch regiert werden soll. Alle Gesprächspartner, die ich im Mai 2013 getroffen habe, hatten nur mehr oder weniger vage Ideen zur Ausgestaltung der Demokratie. Auch der Journalist Thiha Saw sieht große Defizite und bei vielen Menschen falsche Hoffnungen: "Demokratie ist nicht wie der Himmel. Sie bedeutet harte Arbeit. Es geht um Regeln sowie Verantwortung und es gibt viele Herausforderungen."