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Naturschutz im kriegsgeschundenen Afghanistan

Jenny Peng und Tamsin Walker12. Juli 2016

Krieg zerstört nicht nur Menschenleben, sondern auch das Land und die Artenvielfalt - die Lebensgrundlage der Menschen. So wie in Afghanistan, wo eine Frau sich gegen alle Widerstände für den Schutz der Umwelt engagiert.

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Foto: Grüne Berge
Bild: RGEO

Als Farkhunda Ateel vergangenen Dezember in Paris auf die Bühne trat, war es nicht nur ihr farbenfrohes, traditionelles Kleid, das die Aufmerksamkeit auf sie zog, sondern ihre Worte, die sie an die Zuschauer richtete: "Unser Planet ist krank, unsere Gemeinschaften sind krank, wie können wir uns da entspannen, wie können wir schlafen, wie können wir so leben?"

Sie war zum Weltklimagipfel in die französische Hauptstadt gekommen, um den angesehenen Equator Prize für die #link:https://www.facebook.com/ruralgreenorg:Rural Green Environment Organization (RGEO)# in Empfang zu nehmen. Die Organisation versucht in der abgelegenen afghanischen Provinz Badachschan Ökosysteme wiederherzustellen, die Ernährungssicherheit zu verbessern und vor Ort Arbeitsplätze zu schaffen, um die illegale Holzfällerei, Fischerei und Jagd einzudämmen.

Foto: Auf der Bühne mit ihrem Vater und zwei weiteren Personen, um den Preis in Empfang zu nehmen
Überreichung des Equator Prize in ParisBild: UNDP-Afghanistan

Den Moment der Anerkennung bei der Preisverleihung hatte sich Ateel hart erarbeitet und wäre auf der Bühne fast in Tränen ausgebrochen, sagt sie. "Aber ich habe mir gesagt, du hast genug geweint in deinem Leben, jetzt ist es an der Zeit etwas zu tun."

Tatsächlich hat sie seit vielen Jahren ziemlich viel "etwas" getan - allen Widrigkeiten zum Trotz. Nachdem sie zunächst als Flüchtlingskind in Pakistan aufwuchs, lebte sie in Afghanistan in einer durch die Taliban unterjochten Gesellschaft und hatte auch noch einen Ehemann, der sie misshandelte. Trotzdem setzte sie sich dafür ein, das unwirtliche Land ihrer Heimat zu gesunden und seinen Menschen wieder Hoffnung zu geben.

Die junge Mutter sagt, sie habe früher darüber nachgedacht, Afghanistan zu verlassen, so wie es ihre Familie tat, als sie 1989 vor den Mudschahedin floh. Aber nachdem sie einen vierjährigen Kampf gewonnen hat, sich von ihrem Mann zu trennen und den Equator Prize erhielt, sieht sie jetzt jede Menge Gründe dafür, in ihrem Heimatland zu bleiben.

"Nach dem Preis hat sich alles verändert", sagt Ateel. "Ich habe gearbeitet, aber mir war nicht bewusst, welche Veränderungen ich damit den Menschen brachte. Das zu realisieren war wie ein heftiger Schock, als ob man plötzlich aus einem sehr tiefen Schlaf erwacht."

Foto: Ein Apfel am Baum
Als Gemeinde zusammen zu arbeiten kann für alle ertragreich seinBild: UNDP-Afghanistan

Familie und Freunde

Für Ateel und ihre Organisation gab es viel zu tun, denn ihr Land erholt sich noch immer von der jahrzehntelangen Besatzung durch die Sowjetunion. Während dieser Zeit wurden ganze Dörfer und Wälder systematisch dem Erdboden gleich gemacht. Entwaldung und der Verlust von Lebensräumen wurden ein weit verbreitetes Problem.

Die Arbeit von RGEO baut auf jahrzehntelanger aktiver Aufforstung und Tierschutz auf, die von Haji Awrang begonnen wurde, dem ehemaligen Gouverneur von Badachschans Tagab-Distrikt und einem engen Freund von Ateel und ihrem Vater, Ahmad Seyer, der auch der Direktor von RGEO ist.

Als Awrang nach dem Krieg in den frühen 90er Jahren nach Tagab zurückkehrte, waren große Teile der Natur in der Region zerstört. Das wäre überall dramatisch, aber in einem Land, in dem dem UN-Umweltprogramm (UNEP) zufolge 80 Prozent der Einwohner von Ackerbau, Viehzucht und Bergbau im kleinen Stil abhängen, war es eine Katastrophe. Awrang entwickelte einen Wiederaufbau-Plan, der die Belange der Menschen und der Umwelt gleichermaßen einbezog.

Er verbot die Fischerei und die Abholzung und führte Regeln für das Weiden und Jagen ein. Er rekrutierte Mitglieder der Gemeinden als freiwillige Wächter, um die Maßnahmen durchzusetzen und der Polizei illegale Aktivitäten zu melden. Weil sie die anhaltende Not fürchtete, schloss sich die Bevölkerung seiner Vision an.

Bis 2014 hatten die gemeinsamen Bemühungen der Gemeinden zur Schaffung einer grünen Oase geführt, und als Aimal Khan, der nationale Koordinator des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) in Afghanistan, die Region besuchte, fand er Reservoirs vor, die Wasser aus den Tälern in die Berge pumpten, um dort Obstplantagen mit Apfel-, Aprikosen- und Nussbäumen zu bewässern. Das schlüssige Konzept, das Awrang entwickelt hatte, trug buchstäblich Früchte.

Foto: Eine kahle braune Landschaft mit verstreuten grünen Bäumen
Kleine grüne Oasen in einer unwirtlichen LandschaftBild: UNDP-Afghanistan

"Das erste was mir wirklich gefiel, war das Interesse der Gemeinden", sagte Khan und fügte hinzu, dass sie durch die Zusammenarbeit verstanden, was die Vorteile waren. "Das macht die ganze Sache nachhaltig."

Inzwischen hat es RGEO geschafft, etwa 6000 Arbeitsplätze zu schaffen, hat fünf Kilometer an Bewässerungskanälen gebaut, zwei Kilometer Flusslauf geschützt, 125 Geröllsperren und 120 Kilometer Terrassen angelegt und mehr als 200.000 Bäume gepflanzt.

Herausforderungen und Fortschritte

Es ist eine ermutigende Liste, insbesondere wenn man bedenkt, dass das Erreichen eines Umweltgleichgewichts in der Gesamtbevölkerung kaum als ein wichtiges Ziel wahrgenommen wird. "In einem Land wie Afghanistan würde ich sagen, dass Sicherheit oberste Priorität hat", sagt Khan. "Der Umwelt wird weniger Beachtung geschenkt."

Foto: Ein Mann arbeitet auf dem Feld
In Afghanistan ist es leichter als Mann zu arbeiten. Frauen haben es schwer.Bild: UNDP-Afghanistan

Im Moment eskaliert die Gewalt, Gruppen von aufständischen Taliban im Norden und Regeln, die Frauen und Mädchen diskriminieren, machen es schwer für Ateel nach Badachschan zu reisen, daher arbeitet sie von Kabul aus. Seyer und Awrang betreuen und setzen die meisten Projekte von RGEO vor Ort um, bei denen Bauern darin geschult werden, Baumschulen zu schützen und zu verwalten. Sie haben auch Kontakt zu den Taliban aufgenommen und überraschenderweise scheinen die Kämpfer, die Umweltmission der Organisation zu akzeptieren.

"Das ist sehr hilfreich", sagte Ateel gegenüber DW. "Die Umwelt hat nichts mit islamischen Glaubensvorstellungen zu tun. In erster Linie sind sie sehr empfindlich, wenn es darum geht, dass Frauen arbeiten."

Diese Diskriminierung beeinflusst offensichtlich ihre eigenen Aktivitäten, aber auch die von RGEO, die beim Pflanzen und Pflegen der jungen Setzlinge auf Frauen gebaut hat. Willige Helfer nur aufgrund ihres Geschlechts zu entfernen, schwächt die Gemeinschaft und ihre Fähigkeit, die Umweltkrisen zu meistern, die aufgrund des Klimawandels entstehen.

Die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen von 2015 geht davon aus, dass in Afghanistan "die Zunahme von extremen Wetterphänomenen zu erwarten ist, unter anderem Hitzewellen, Überflutungen und Dürren, ebenso wie Katastrophen, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen, wie das Überlaufen von Gletscherseen."

Ateel kann das bestätigen und befürchtet, dass die plötzlich später einsetzenden Winter ein Zeichen für das sind, was noch kommen wird. "Wir hatten früher jede Menge Schnee im Winter in Kabul, aber letztes Jahr hatten wir überhaupt keinen", sagt sie und fügt hinzu, dass es jetzt nicht genug Regen gibt, aber dass er, wenn er kommt, in solchen Mengen niedergeht, dass das Land überschwemmt wird. Auf der anderen Seite liegen die Sommertemperaturen nun weit über dem langjährigen Durchschnitt.

Diese Realität und auch die Unsicherheit in ihrem Land motiviert sie, statt sie abzuschrecken. Als sie in Paris sprach, bezog sie sich auch auf die Terroristen und Selbstmordattentäter, die Tausende im Namen von Religion oder Glaube töten.

"Aber ich", sagte sie, als sie in die Menge blickte, "bin stark genug, um zu leben und gebe mein Leben, um Tausende von Menschen zu retten."

Es lag kein Pathos in ihrer Botschaft, nur die Klarheit, die ihre Entschlossenheit unterstreicht, auf die Probleme aufmerksam zu machen und aufzuzeigen, wie man sie lösen kann. "Ich möchte nicht vergessen werden, wenn ich von der Bühne trete", sagte sie. Irgendwie scheint das unwahrscheinlich.