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Ein Signal an alle Diktatoren dieser Welt

Verica Spasovska14. Februar 2002

Mit dem jugoslawischen Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic steht zum ersten Mal in der Geschichte ein gewählter Präsident vor einem internationalen Gerichtshof. Ein DW-Kommentar von Verica Spasovska.

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Jetzt rückt er wieder ins Rampenlicht der internationalen Medien und macht weltweit Schlagzeilen, die er sich bei seiner Machtergreifung vor 15 Jahren wohl kaum hat träumen lassen: Mit dem jugoslawischen Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic steht zum ersten Mal in der Geschichte ein gewählter Präsident vor einem internationalen Gerichtshof. Dies ist ein historischer Prozess, der wegen seiner geplanten Dauer von drei Jahren und seinen Dimensionen an die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs anknüpft.

Der Prozess gegen Milosevic hat aber auch deshalb eine besondere Bedeutung, weil der ehemalige jugoslawische Präsident wohl lange geglaubt hat, er sei durch seine Immunität unverwundbar. Gerade die Tatsache, dass er dennoch vor Gericht steht, ist ein Signal an alle Warlords und Diktatoren dieser Welt, dass sie für ihre Taten zur Verantwortung gezogen werden können.

Wer hätte 1993 geglaubt, dass das damals personell und finanziell miserabel ausgestatte Jugoslawien-Tribunal jemals die Gelegenheit haben sollte, Milosevic persönlich vor Gericht stellen zu können? "Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen!", so lautete jahrelang der Vorwurf angesichts der mageren Fahndungserfolge des Tribunals. Lange war der von den Vereinten Nationen gegründete Gerichtshof eine umstrittene Institution, der man vorwarf, sie sei vom Westen nur deshalb ins Leben gerufen worden, um dessen gescheiterte Balkan-Politik zu kaschieren. Doch die ungeheure Hartnäckigkeit der Ermittler, Staatsanwälte und Richter hat das Haager Tribunal nach und nach in eine ernstzunehmende Institution umgewandelt. Nun also steht mit Milosevic einer der wichtigsten Akteure der postjugoslawischen Kriege vor Gericht. Viel zu lange war er vom Westen als Verhandlungspartner hofiert worden.

Die Liste der Augenzeugenberichte über die Kriegsverbrechen marodierender Banden ist lang. Doch nun muss das Gericht beweisen, dass Milosevic selbst die Kontrolle über die paramilitärischen Banden hatte, die in Kroatien, Bosnien und im Kosovo zahllose unschuldige Zivilisten gequält, vertrieben und ermordet haben. Ihm muss nachgewiesen werden, dass er zumindest davon gewusst hat, welche Grausamkeiten seine Untergebenen verübt haben. Das mit Spannung erwartetes Zeugenaufgebot des Gerichts lässt darauf hoffen, dass es ihm gelingen wird, die Befehlsstruktur der kriminellen Handlungen aufzudecken.

Und wenn dies gelänge, welche Bedeutung hätte dies für die Befriedung der postjugoslawischen Staaten? Für die Opfer des serbischen Größenwahns, - die Kroaten, bosnischen Muslime, die Albaner im Kosovo - ist Sühne zweifellos die entscheidende Vorraussetzung zur Versöhnung. Auch wenn die Bestrafung der Kriegsverbrecher die Wunden des Krieges nicht heilen kann - sie würde den Opfern der Untaten immerhin eine gewisse Genugtuung verschaffen. Der Prozess gegen Milosevic ist für sie deshalb von immenser moralischer Bedeutung.

In Serbien überwiegt hingegen die Sorge um das eigene materielle Überleben. Die breite Öffentlichkeit scheint erleichtert zu sein, dass Milosevic weit weg ist und sich andere mit dem Fall beschäftigen müssen. Selbst die Sozialisten, die noch am Wochenende zu Protestkundgebungen gegen das Haager Tribunal aufgerufen haben, dürften insgeheim froh sein, dass ihr ehemaliger Parteichef in Den Haag und nicht in Belgrad ist. Denn dort kann er als vermeintliches Opfer westlicher Jugoslawien-Politik zum Mythos hochstilisiert werden, aus dem die diskreditierte Partei politisches Kapital zu schlagen hofft.

Mit gemischten Gefühlen begleitet das ehemalige Oppositionsbündnis DOS, das nun an der Regierung ist, den Prozess. Denn obwohl Ministerpräsident Zoran Djindzic persönlich für die Auslieferung des Ex-Diktators gesorgt hat, wächst nun die Sorge, Milosevic könne Serbien noch mehr Schaden zufügen, wenn er bei seiner Strategie bleibt, sich selbst zu verteidigen. Auf diese Weise könnte Serbien zum einzig Schuldigen deklariert und für Entschädigungen, etwa wegen des Bosnien-Krieges, herangezogen werden.

Das Bestreben, möglichst schnell dieses düstere Kapitel serbischer Geschichte zu den Akten zu legen, ist - gerade aus deutscher Perspektive - durchaus nachvollziehbar. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten sich die Deutschen auch zunächst auf den Aufbau der Wirtschaft und nicht auf die Vergangenheitsbewältigung konzentriert. Doch der bewusste Umgang mit der Erblast ist eine historische Chance, die nicht vertan werden sollte. Wenn in Den Haag einzelne Personen wie Milosevic wegen ihrer persönlichen Schuld an Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden, dann wird die serbische Bevölkerung vom Vorwurf der Kollektivschuld befreit. Dann können keine neuen Mythen und nationalen Märtyrer geschaffen werden, die darauf warten, dass ihr Geist irgendwann wieder aus der Flasche gelassen wird.