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Sicherer Hafen in Damaskus

18. Juni 2010

Die Geschichte des Christentums im Irak reicht bis ins erste Jahrhundert unserer Zeitrechnung zurück. Doch seit Beginn des Irak-Krieges 2003 haben viele Christen ihre Heimat verlassen und Zuflucht in Syrien gefunden.

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Gottesdienst in einer Kirche in Bagdad (Archivfoto: AP)
Die Kirchen im Irak werden immer leererBild: AP

Das Christentum im Irak ist vom Aussterben bedroht. Bevor 2003 der Krieg ausbrach, lebten im Irak rund 880.000 chaldäische und mehr als eine halbe Million andere Christen in vergleichsweise stabilen Verhältnissen. Als Ärzte oder Ingenieure waren sie gesellschaftlich hoch angesehen, vorausgesetzt, sie äußerten keine Kritik an der Diktatur Saddam Husseins. Mittlerweile soll sich ihre Zahl halbiert haben.

Unterstützung und Hilfe in Damaskus

Doch ausgerechnet ein Mann, der Tausenden von irakischen Flüchtlingen geholfen hat, macht den Christen jetzt Mut, in der Region zu bleiben: Pater Farid Botros von der chaldäischen Kirche in Damaskus. Aus dem Irak geflohene Christen fänden in Syrien die nötige Hilfe, erklärt der Geistliche in seinem Pfarrhaus im Stadtviertel Bab Touma: "Mehr als 2000 Familien in Damaskus erhalten Hilfe von uns. Sie kommen hauptsächlich aus den am Stadtrand gelegenen Vierteln Jaramana, Saida Zeinab und Maskin Berzah."

Irakischer Soldat vor einer Kirche in Bagdad (Archivfoto: AP)
Die Kirchen im Irak müssen mittlerweile bewacht werdenBild: AP

Pater Farid, der aus al-Malikiya im Bezirk al-Hasaka im Nordosten von Syrien stammt, ist seit achtzehn Monaten im Kirchendienst in Damaskus, nachdem er zuvor in Aleppo tätig war, der Hauptstadt des gleichnamigen nordsyrischen Bezirks. "Jeden Sonntag kaufen wir bei den Apotheken Medizin und andere Versorgungsgüter ein", erzählt Pater Farid. "Wir haben auch einen Computerraum, weil bei der Flucht natürlich oft die Familien auseinandergerissen wurden und die Verwandtschaft jetzt über Europa und Nordamerika verstreut lebt. Da ist es sehr wichtig, Zugang zu Computern zu haben." Gerade hat Pater Farid in Saidnaya, einem dreißig Kilometer von Damaskus entfernten bekannten christlichen Dorf die Messe gelesen.

Die chaldäische Kirche im Irak

"Wir haben für irakische Flüchtlinge in Syrien eine Menge Hilfsprogramme organisiert. 2009 haben zwanzig Ärzte für uns gearbeitet", erklärt er. "Hier in Bab Touma gibt es ein Nachbarschaftszentrum und eine Einrichtung, die für Menschen, die aus dem Irak gekommen sind, humanitäre und ärztliche Hilfe anbietet. Auch behinderten Kindern stehen wir zur Seite." Nicht zu vergessen ein ebenfalls von Pater Farid und der chaldäischen Kirche getragenes Hilfsprojekt für irakische Kriegswitwen. "Es gibt keine Statistik darüber, wie viele Menschen den Irak verlassen, um in den Westen zu gehen. Wir wissen es einfach nicht genau", sagt Pater Farid.

Der Heilige Thomas brachte im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung das Christentum in den Irak. Als naher Ableger der katholischen Kirche entstand die Religionsgemeinschaft der Chaldäer zunächst im Gebiet Mesopotamiens, zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris, wo heute der Irak liegt. Unabhängig wurde sie, nachdem sie sich 1551 bei einem Disput über die Erbfolge im Amt des Patriarchen mit der katholischen Kirche überworfen hatte. "Die chaldäische Gemeinde ist eine der wichtigsten und ältesten christlichen Religionsgemeinschaften überhaupt", erklärt Pater Farid. "Und im Irak ist sie sehr bekannt, denn dort haben wir angefangen." Siebzig Prozent der Christen im Irak seien Chaldäer.

Religiöses Gleichgewicht gestört

Das fragile Gleichgewicht sozialer und gesellschaftlicher Gruppen im Irak geriet Anfang 2006 nachhaltig aus den Fugen, woraufhin das Land 2006 und 2007 von einer Reihe von Anschlägen erschüttert wurde, die es an den Rand des Bürgerkriegs brachten. Obwohl die irakische Regierung versprach, die christliche Minderheit im Land zu schützen, wurden weiterhin zahlreiche chaldäische Kirchenführer im Irak entführt und ermordet. Mossul, einst eine Stadt mit blühender christlicher Population, versinkt mittlerweile in Gewalt und Chaos.

Flüchtlinge in der Nähe Mossul (Foto: AP)
Immer mehr Christen verlassen ihre Heimat im IrakBild: AP
Erzbischof Paulos Faraj Rahho (Archivfoto: AP)
Opfer der Gewalt: Erzbischof Paulos Faraj RahhoBild: AP

Am 29. Februar 2008 wurde Erzbischof Paulos Faraj Rahho entführt, nachdem er in Mossul die Messe gelesen hatte. Zwei Wochen später, am 13. März, wurde seine Leiche in einem flachen Grab am Stadtrand gefunden. Im Juni des Vorjahres waren bereits sein Sekretär Pater Ragheed und drei Subdiakone ermordet worden: Anschläge, die sich eindeutig gegen die christliche Gemeinde richteten. Die Zerstörung der ethnischen Vielfalt gehört vielleicht zu den schlimmsten Auswirkungen, die der Krieg auf den Irak gehabt hat. 1987, bei der letzten offiziellen Erhebung, lebten 1,4 Millionen Christen im Land. Einem Bericht des US-Außenministeriums zur weltweiten Religionsfreiheit zufolge gab es bereits 2008 nur noch zwischen 550.000 und 800.000 Christen dort. Seither ist die Zahl vermutlich weiter gesunken.

Gleichbehandlung von Christen und Muslimen

Nach den Anschlägen hätten viele islamische Führer im Irak ihre Solidarität mit der christlichen Gemeinde zum Ausdruck gebracht und Hilfe zugesagt, erklärt Pater Farid in Damaskus. "Muslimen helfen wir ebenfalls. Wir machen in dieser Hinsicht keinen Unterschied. Es sind natürlich eher Christen, die bei unserem Zentrum Hilfe suchen, aber es waren auch schon Muslime hier. Ich betrachte das als meinen persönlichen Auftrag. Ich mache keine Unterschiede zwischen den Bedürftigen. Sie alle brauchen Unterstützung, und es ist unsere Aufgabe, für alle gleichermaßen da zu sein. Das entspricht meiner festen Überzeugung", sagt Pater Farid.

Die chaldäische Kirche in Damaskus bietet für rund fünfhundert Kinder und Jugendliche sonntäglichen Religionsunterricht an, der bei den Christen in Syrien sehr beliebt ist. "Wir möchten den chaldäischen Glauben und unsere Art der Predigt am Leben erhalten. Deshalb organisiere ich den Unterricht für diese Kinder. Dreißig Lehrer haben wir dafür", so Pater Farid.

Wie ist Pater Farid überhaupt dazu gekommen, sich um die irakischen Flüchtlinge zu bemühen, die zu Hunderttausenden über die Grenze kommen? Die Antwort kann nicht deutlicher sein: "Ich bin doch der Gemeindepriester. Es gehört zu meinen Aufgaben. Aber es ist mir auch ein spirituelles Anliegen. Ehrlich gesagt, habe ich das Gefühl, dass die Leute sich um Flüchtlinge nicht viel scheren, und erst recht nicht um christliche Flüchtlinge."

Christlicher Exodus

Dann spricht Pater Farid etwas an, was ihn sehr beschäftigt: Dass die Zahl der Christen im Irak, in Syrien und im Nahen Osten überhaupt immer mehr abnimmt. "Ich glaube, wir müssen hier in diesen Ländern bleiben, in Syrien, im Irak, im Libanon, im Heiligen Land. Diese Länder sind die Wiege des Christentums, und wir müssen das bezeugen, wir müssen den Fortbestand unserer Religion möglich machen."

Paulstor in der Altstadt von Damaskus (Foto: ARD)
Damaskus: Hier finden immer mehr irakische Flüchtlinge eine HeimatBild: Stefanie Markert
Irakische Christen feiern in einer irakischen Kirche (Archivfoto: AP)
Ende einer Ära? Irakische Christen feiern in einer irakischen KircheBild: AP

Doch viele wollen fort. Sich in einem westlichen Land niederlassen und dem Nahen Osten den Rücken kehren – das wünschen sich die meisten, die aus dem Irak fliehen – nicht nur die Christen. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen in Damaskus berichtete im vergangenen Jahr, nur 1179 Personen hätten sich für das im Oktober 2008 initiierte, freiwillige Heimkehrerprogramm gemeldet. Offensichtlich erscheint der Irak den Menschen nicht so sicher, dass sie dorthin zurückkehren wollten. Nach Angaben der Vereinten Nationen in Damaskus ist der Anteil der Christen unter den Flüchtlingen in Syrien besonders hoch.

Die politischen Konflikte werden für die Sicherheit und Stabilität des Iraks wohl weiterhin eine große Herausforderung darstellen. Wenn überhaupt, werden nur wenige von denen zurückkehren, die das Land wegen der anhaltenden Gewalt verlassen haben, glaubt Pater Farid: "Irakische Priester gibt es hier nicht. Im Laufe des letzten Jahres sind ein paar angekommen und dann weitergezogen. Sie warten auf ihre Visa und reisen aus, sobald sie können. Es ist wirklich traurig."

Autor: Stephen Starr, aus dem Englischen von Ilja Braun (Qantara.de)
Redaktion: Ina Rottscheidt