Ein Ozeanriese vom Land
Zweimal im Jahr öffnet sich das Tor der größten überdachten Schiffsbauhalle der Welt und ein nagelneues riesiges Kreuzfahrtschiff erblickt das Licht der Welt – in einer kleinen Stadt im Norden Deutschlands.
Der Himmel ist bewölkt, es sind ein paar Grad über Null. Eigentlich ein typischer Februartag im Norden Deutschlands. Plattes Land so weit das Auge reicht – und viele Wasserkanäle entlang des Flusses Ems. Zur Nordsee fährt man mit dem Auto eine knappe Stunde. Die Landschaft ist malerisch, ein wenig verträumt, keine Spur von Hektik in der beschaulichen niedersächsischen Stadt Papenburg. Papenburg an der Ems – diese Kleinstadt, 40 km im Landesinneren gelegen, besitzt zwei Besonderheiten: Sie ist die südlichste Seehafenstadt Deutschlands und eine weltweit bekannte Werft ist hier zu Hause – die Meyer Werft. Das traditionsreiche Familienunternehmen gilt als Weltmarktführer im Bau von großen Kreuzfahrtschiffen. Mehr als 40 Luxusschiffe hat die Meyer Werft bereits für Reedereien in aller Welt gebaut, in einem wirtschaftlich nicht immer leichten Umfeld, sagt Pressesprecher Peter Heckmann:
„Die Auftragsbücher sind ganz ordentlich. Insofern kann man sagen, Schiffbau ist sicher eine schwierigere Branche gewesen in Europa seit 20, 25 Jahren. Wir haben bisher uns da ganz gut behaupten können und absetzen können. Natürlich auch mit Schiffen, die technologisch so anspruchsvoll sind wie diese Schiffe, die wir hier machen. Einfache Schiffe, die sehr ‚stahlorientiert‘ sind, wo sie wenig Technologie haben und sehr viel Lohnkosten, sind natürlich an einem Standort wie Deutschland auch schwer wirklich zu halten. Das können andere Länder besser und billiger als wir.“
Das Familienunternehmen wurde 1795 gegründet. Heute ist es einer der wichtigsten Arbeitgeber der Region: Mehr als 3000 direkte Mitarbeiter und rund 2000 Lieferanten arbeiten für die Werft. Alles in allem sind bisweilen mehr als 16.000 Menschen am Bau eines einzigen dieser Schiffe im sogenannten XXL-Übergrößenformat beschäftigt. Eine extreme Herausforderung für den Hauptprojektleiter, der für die termingerechte Auslieferung verantwortlich ist. Weil das Unternehmen einen sehr guten Ruf hat, gibt es genug Aufträge zum Bau neuer Schiffe. Die Auftragsbücher sind ganz ordentlich. Und weil man innovativ ist, konnte man sich gegen Konkurrenzunternehmen gut behaupten und von ihnen absetzen, ihnen standhalten und sich von ihnen unterscheiden. Die „Ozeanriesen“ werden in nur drei Jahren komplett fertiggestellt. Wie bei einem ein „Lego für Erwachsene“ werden sie in ausgeklügelter Blockbauweise mit vielen parallelen Arbeitsschritten in der größten, überdachten Schiffsbauhalle der Welt gefertigt, erklärt Werner Wegner vom Besucherzentrum der Meyer Werft:
„Sie sehen hier unterschiedliche Blöcke, unterschiedlich groß, unterschiedliche
Arbeitsstadien. Und durch diese Blockbauweise geht das natürlich auch immer schnell. Und dann ist man – schwupp, schon 16 Etagen! – wieder mit diesem Abschnitt fertig. Und sobald immer ein Teil von unten nach oben fertig ist, beginnt genau in dem Teil von innen bereits der Ausbau, also parallel.“
Das Schiff besteht aus einem Spezialstahl, der größtenteils aus dem Ruhrgebiet in vorgefertigten zehn-mal-zehn Meter großen Platten angeliefert wird. Aus diesen entstehen Teilbereiche, aus diesen Teilbereichen Blöcke, die bis zu 800 Tonnen schwer sind. Jeder Arbeitsschritt ist präzise durchdacht und zeitlich genau eingeteilt. So dauert der Einbau einer Kabine in das Stahlgerüst exakt 22 Minuten. Große Elemente – wie beispielsweise ein Kleiderschrank – sind schon bei Lieferung fest an der Kabinenwand verschraubt. Alle anderen Einrichtungsgegenstände hängen vorbereitet an einem Schlaufensystem, also an speziellen Haken, an der Decke, erklärt Werner Wegner:
„Wenn die Kabine durch diese seitlichen Öffnungen in das Schiffsdeck hineingerollt wird, über den Befestigungsrahmen wird die Kabine fest mit dem Schiffskörper verbunden, dann gibt’s drei Klicks: Wasser, Abwasser und Strom. Anschließend den Teppichboden – hängt fertig zugeschnitten am Schlaufensystem an der Decke der Kabine – herausnehmen, ausrollen, verkleben. Und dann kann man die Möbel aus dem Schlaufensystem hinstellen und fertig.“
Diese Megaschiffe, umgangssprachlich auch schwimmende Hotels genannt, bieten heutzutage die verrücktesten Attraktionen an Bord: zum Beispiel einen Fallschirmsprung-Simulator, Autoscooter, Wellenbäder, eine Eislauffläche oder virtuelle Balkone in den Innenkabinen – der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Und so erklärt sich auch der Preis:um die 800 Millionen Euro kostet ein solcher XXL-Luxusliner. Die Kreuzfahrtbranche boomt. Die Deutschen zählen neben den Amerikanern zu den Kreuzfahrtweltmeistern. Mehr als 1,5 Millionen Deutsche verbringen jährlich laut Statistik ihren Urlaub auf einer Hochsee-Kreuzfahrt. Doch es gibt auch eine Schattenseite: die Schiffe werden vorwiegend mit hochgiftigen Schweröl angetrieben. Schweröl ist ein Abfallprodukt der Ölindustrie beim Raffinieren, also der Verarbeitung von Rohöl zu Treibstoff, und dementsprechend billig. An Land ist Schweröl längst verboten. Auf See müssen Schiffe spätestens bis 2020 umgerüstet sein. Bei der Meyer Werft wurden die letzten beiden Schiffe als sogenannte „grüne Schiffe“ in Auftrag gegeben. Sie nutzen die Common-Rail-Technik, einfach gesagt, einen umweltfreundlicheren Diesel-Verbrennungsmotor, erklärt Werner Wegner:
„Das heißt, die werden nicht mehr mit Schweröl angetrieben, sondern es gibt den Diesel-Elektrischen-Antrieb. An Bord sind in der Regel Motoren eingebaut, die verbrennen Common Rail-Marinediesel und treiben damit die Elektrogeneratoren an. Und der Strom auf dem Schiff wird natürlich gebraucht einmal für den Antrieb und einmal um das schwimmende Hotelmit Strom zu versorgen. Bei diesen riesengroßen Schiffen, die jetzt hier im Bau sind – wir reden dort über Maschinenleistung von etwa 100.000 Pferdestärken – Zweidrittel dieser Zahl braucht allein der Antrieb des Schiffes und ein Drittel dieser Menge braucht das schwimmende Hotel.“
Viele deutsche Kreuzfahrer wollen „saubere“ Schiffe. Sie sagen, sie wären auch bereit, mehr zu zahlen. Allerdings sieht es in der Praxis oft anders aus:
„Selbstverständlich bin ich entsetzt, dass die Kreuzfahrtschiffe die Umwelt so verpesten. Aber na ja, wer will schon wirklich freiwillig mehr zahlen.“
Der Tourist weiß zwar schon darum, dass Kreuzfahrtschiffe die Umwelt verpesten, also extrem verschmutzen. Allerdings weiß er auch, dass seine Reise deutlich teurer würde, wenn mehr Geld in umweltfreundliche Motorenantriebe investiert würde. – In Papenburg bricht langsam der Abend an, es wird kühl und feucht. Bald wird der Ozeanriese die schwierige Überführung ins offene Meer antreten. Noch ist aber in dem kleinen Fluss Ems zu wenig Wasser für das gewaltige Schiff. Nur zweimal im Jahr –im Herbst und im Frühjahr – bei Vollmond wird eine zweieinhalb Meter höhere Flutwelle von der Nordsee in die Ems gedrückt. Nur während dieses Zeitfensters hat der Fluss einen Wasserstand von achteinhalb Metern. Nur dann können die riesigen „Pötte“ über die kleine Ems hinauf zum offenen Meer geschleppt werden. Es ist eine Überfahrt mit vielen zu bewältigenden Hindernissen, die absolute Präzisionsarbeit und Konzentration verlangt. Viele Passagen müssen deshalb vorher sehr genau an einem Simulator einstudiert werden. Unterwegs werden Brückenteile angehoben, der Bahnverkehr muss angehalten werden. Ein wahres Spektakel – nicht nur für Schifffans. Und wenn es geschafft ist, ist ein weiterer Ozeanriese der Meyer Werft auf den Weltmeeren unterwegs.
Arbeitsauftrag
Spielt den Kapitän und lotst ein Kreuzfahrtschiff sicher ins offene Meer. Die 40 Kilometer lange Überführung erfordert Geschick und geographische Kenntnisse. Auf der Website der Werft findet ihr ein lustiges Onlinespiel. Recherchiert im Internet alle Hindernisse bis nach Eemshaven in Holland und stellt einen konkreten Ablaufplan zusammen. Schaut euch die Strecke anschließend auf einer Karte an. Diese Links helfen euch dabei: http://bit.ly/1iompDo (das Onlinespiel) und http://bit.ly/1pxqfPs (eine Überführung).
Mehr über den Bau eines Kreuzfahrtschiffes erfahrt ihr in unserer Bildergalerie: http://www.dw.com/a-19118079
Autorin: Zuzana Leetz
Redaktion: Beatrice Warken