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Ein Jahr arbeiten in der Natur prägt das Leben

18. Juli 2018

Wer die Natur liebt, nach der Schule zur beruflichen Orientierung eine Pause einlegen will und zwischen 16 und 26 Jahre alt ist, kann ein Freiwilliges Ökologisches Jahr ableisten. Karin Jäger hat FÖJler begleitet.

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Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) in der Biologischen Station Bonn
Bild: DW/K.Jäger

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich leide an Ophidiophobie, habe panische Angst vor Schlangen. Als sich vor etwa 14 Jahren eine Ringelnatter, Blindschleiche, Kreuzotter oder ein Ich-weiß-nicht-was-für-ein-Getier, vor mir über den Weg schlängelte, war ich starr vor Schreck, ehe ich umkehrte und seither nie wieder dort lang gelaufen bin.

Doch ausgerechnet an dieser Stelle stoppt Wiebke Börner den Transporter der Ökologischen Station Bonn. Sie hat vor Jahren ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) gemacht, danach ökologische Landwirtschaft studiert, auf Bauernhöfen gearbeitet, sich auf Naturschutz und Landschaftspflege spezialisiert. Jetzt betreut sie hier die jungen Leute: Mit auffallend ruhiger Stimme hat sie den drei FÖJlern und den zwei Studenten den Auftrag erteilt, eine zugewucherte Wiese "Im Ennert" zu mähen. Das Gebiet ist eingezäunt, "weil es keinesfalls betreten werden soll", klärt Börner auf. Die Wiese mitsamt Teich für Amphibien gehören zum Naturpark Siebengebirge, einem der ältesten Naturschutzgebiete Deutschlands, wenn auch die Autobahn ganz nah daran gebaut wurde. "Die Stadt Bonn hat diese Fläche nach den Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes als Ausgleich zur Verfügung gestellt, weil an anderer Stelle ein ökologisch wertvolles Grundstück versiegelt und bebaut wurde", begründet Börner die Maßnahme.

Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) in der Biologischen Station Bonn
Ganz schön hoch gewachsen: Wiebke Börner (re.) gibt Studentin Verena und den FÖJlern Anweisungen für die MäharbeitenBild: DW/K.Jäger

Zwischen Abenteuerurlaub und Persönlichkeitsentwicklung

Während ich mir mein Unbehagen nicht anmerken lassen möchte und doch insgeheim nach einem Baum Ausschau halte, auf den ich im Gefahrenfall flüchten könnte, laden die jungen Leute gut gelaunt Harken, Forken und Freischneider aus. Zwei Freiwillige "haben Bock" auf den ersten Einsatz mit den elektrischen Sensen: Tim und Jake schnappen sich nicht ohne Stolz einen Schutzhelm mit integriertem Ohren- und Augenschutz und bahnen sich wie selbstverständlich einen Weg durch das Gestrüpp aus Wildpflanzen, um dann die messerscharfe Klinge in kreisrunden Bewegungen anzusetzen bis Halme und Stängel fallen.

Tim ist der jüngste in der Gruppe. Seit seinem 18.Geburtstag darf er nun auch per Gesetz diese nicht ganz ungefährlichen Arbeiten übernehmen. Alle anderen werden angehalten, den Sicherheitsabstand einzuhalten. Der Lärm übertönt sogar die Motorengeräusche der Autobahn.

Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) in der Biologischen Station Bonn
Verantwortungsvoller, weil durchaus gefährlicher Job: Jule und Tim unterstützen sich beim Umgang mit dem FreischneiderBild: DW/K. Jäger

"Die Pflanzen enthalten zu viele Nährstoffe, die über die Luft, das Grundwasser und Hundekot übertragen wurden",  begründet Jule - eine andere Freiwillige - die Aktion: "Viele Pflanzen brauchen aber nährstoffarme Böden zum Überleben." Zu viel Dünger in der Landwirtschaft hat zum Verlust vieler Arten geführt. Auf diesem Fleck Erde sollen sich nun erst seltene Pflanzen und dann gefährdete Tiere ausbreiten können.

Einen Teil des Pflanzenbestandes wurde mit heimischem Saatgut hier verteilt, dazwischen breiten sich ungewünschte Brombeeren und Gehölze, wie die aus Nordamerika eingeschleppt Robinie, aus. "Robinien wurden nach den Kriegen hier angepflanzt. Sie wachsen schnell, ihr Holz kann prima zu Möbeln verarbeitet werden, aber aus Naturschutzgründen ist diese invasive Art eher störend", beschreibt Wiebke Börner das Dilemma.

Zum Schutz von nistenden Vögeln darf das Gehölz nur zwischen Oktober und Ende Februar geschnitten werden. Jetzt ist kein gefiederter Gefährte zu sehen. Kein Wunder bei dem Radau der Mähgeräte. Der Duft von frisch gemähtem Gras breitet sich aus. Bastian greift sich eine Forke, spießt die Mahd auf und wirft sie hinter den Zaun, wo sie verrotten soll.

Der Student gehört eigentlich nicht zu den FÖJlern, er studiert Geografie und macht ein Sommer-Praktikum. "Die Nährstoffe, die in den Pflanzen enthalten sind, werden zweimal pro Sommer von der Wiese entfernt, weil gerade gefährdete Arten nährstoffarme Flora zum Überleben brauchen", erklärt mir Bastian. 

Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) in der Biologischen Station Bonn
Robinien (im Vordergrund) und Disteln wie die "Wilde Karde" - alles muss weg. Bild: DW/K.Jäger

Auf der gekürzten Grasfläche offenbart die Natur eine neue Welt. Große Heuschrecken, die wegen ihrer grünen Tarnfarbe kaum zu erkennen sind, klammern sich an Halme. Nacktschnecken und Weinbergschnecken unter Häusern liefern sich ein Wettrennen über den Klee hinweg auf dem Weg zu einem schattigen Unterschlupf.

Schmetterlinge in weiß und braun flattern umher auf der Suche nach dem Nektar von bunten und gefüllten Blüten. "Wir haben gelernt, die bedrohten Pflanzen und besonders Amphibien zu bestimmen", gibt Jule mit einem Lächeln preis und erzählt von Reusen, die sie zur Zählung bedrohter Kammmolche bauten: "Weitere Molche wurden dann zur Vermehrung an den Teichen der Biologischen Station ausgesetzt."

Frühsport im Freiwilligen Ökologischen Jahr

Vor Beginn dieser Expedition haben die FÖJler schon am Morgen Wildkräuter entfernt auf dem Gelände der früheren Bonner Stadtgärtnerei. Auch Gerrit Klosterhuis, Betreuer der FÖJler, hatte tief gebückt auf der Erde nach störenden Pflänzchen gesucht.

"Das ist mein Frühsport und meine Vorbereitung für die Arbeit im Büro", hatte der Landschaftspfleger lachend gesagt und erklärt, dass seltene Blütenpflanzen zur Förderung der Artenvielfalt ausgesät und vermehrt wurden um Insekten anzulocken. Wildkräuter, die diese Pflanzen verdrängen könnten, müssen daher regelmäßig entfernt werden. 

Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) in der Biologischen Station Bonn
Holzbretter dienen Schlangen, Eidechsen und anderen Reptilien als UnterschlupfBild: DW/K.Jäger

Obwohl es sehr warm ist, tragen alle feste Sicherheitsschuhe. "Könnte es sein, dass sich hier Schlangen aufhalten?", frage ich Wiebke Börner. "Bestimmt, aber die kommen erst bei Sonne unter Steinen oder Brettern hervor. Ich empfinde den Anblick einer Schlange immer wieder als Glücksfall." Ich verziehe das Gesicht.

Die teils morschen Bretter haben die FÖJler eigens für die Reptilien wie auch Eidechsen als Unterschlupf dort ausgelegt, erfahre ich von Jule, die eine kleine Weinbergschnecke auf ihrem Stiefel entdeckt und diese im gemähten Gras absetzt. "Es ist schön, in der Natur zu sein", sagt Jule, die mit den anderen darauf wartet, den Grasschnitt zusammenzuharken und die Haufen dann hinter dem Zaun zu entsorgen. "Es ist anstrengend, aber wir machen so viele abwechslungsreiche Arbeiten."

Das Klettern in den Bäumen bei der Apfelernte im Herbst und das anschließende Saftpressen sind der Abiturientin besonders in Erinnerung geblieben wie auch das Schlagen von Nadelbäumen in der Eifel, die als Tannenbäume vor Weihnachten gegen eine Spende Abnehmer fanden.

Orientierung und Richtungswechsel nach Schule, vor und während des Studiums

Jule sprüht vor Begeisterung, obwohl sie sich gerade an den Dornen der Brombeerhecke eine blutende Wunde zugezogen hat. Sie wirkt, als hätte sie ihre Berufung gefunden. Umso erstaunlicher, dass die 19-Jährige wenige Wochen vor dem Ende des Praxisjahres zu dem Schluss gekommen ist, doch nicht Biologie oder Landschaftsarchitektur zu studieren, wie angedacht: "Ich habe mir zwischendurch verschiedene Bereiche an der Uni angeschaut. Landschaftsarchitektur hat viel mit Technik und Planung zu tun, mehr Theorie als Praxis. Ich habe auch Interesse an Kunst und Design. Innenarchitektur hat mich am meisten überzeugt."

Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) in der Biologischen Station Bonn
FÖJler und Studenten wissen, was zu tun ist, um die nährstoffreichen Pflanzen zu entfernen und bedrohte Arten anzulockenBild: DW/K.Jäger

Verena dagegen will ihre Passion nun zum Beruf machen. Ursprünglich wollte die 20-Jährige Agrarwissenschaftlerin werden. Nach vier Semestern hat hat sie beschlossen, die Fachrichtung zu wechseln: "Ich habe schnell einen Studienplatz bekommen und bereue, kein FÖJ gemacht zu haben, weil ich nicht informiert war, sonst hätte ich ohne Umweg mit Landschaftsökologie angefangen."

Verena will nicht Nahrungsmittel nach Profitorientierung um jeden Preis produzieren, sondern eher zum Schutz der Natur beitragen. Die Ferien nutzt sie, um die nächsten drei Monate praktische Erfahrungen zu sammeln und körperlich zu arbeiten: "Das ist eine tolle Erfahrung, man ist in Kontakt mit Menschen, die wissen, was Sinn macht, und die Atmosphäre ist sehr familiär."

"Man lernt Pflichtbewusstsein und Selbstbewusstsein"

Jeder werde behandelt als sei er ein wichtiger Teil des Systems, das animiere, seine Arbeit gut zu machen, fügt Verena hinzu und Tim nickt zustimmend. Nach der Mittleren Reife wollte er Fachabi machen, doch die Bewerbungsfristen für die Schulen waren abgelaufen. Ein Freund hatte ihm vomFreiwilligendienst in der Natur als Alternative zum Freiwilligen Sozialen Jahr FSJ und als Möglichkeit zur Überbrückung erzählt: "Ich habe viel über Pflichtbewusstsein gelernt, Dinge gut und richtig auszuführen. Das habe ich während der Schule nie so mitbekommen", gesteht der 18-Jährige. Er sei enorm gereift, habe sich persönlich weiterentwickelt.

Auch Jake hat an Selbstbewusstsein gewonnen. Seine Motivation war es, herauszufinden, ob er sich für eine handwerkliche Tätigkeit eigne: "Ich gehe erstmal wieder zur Schule, habe aber gemerkt, dass ich durchaus körperlich belastbar bin, um eine Ausbildung im Landschaftsbau zu machen."

Bastian studiert Geografie und engagiert sich sehr für den Umweltschutz: "Man lernt an der Uni sehr viel Theoretisches, aber hier bekommt man einen Einblick über die spätere Arbeit in den Jobs." Am Schreibtisch zu sitzen, dass kann sich Bastian nicht vorstellen: "Die Arbeit hier ist anstrengend, Aber weiß man, was man getan hat, am Ende des Tages", sagt er durchaus zufrieden.

Tim erzählt, dass die FÖJler mit nur 300 Euro Taschengeld pro Monat auskommen müssen. "Da ist es von Vorteil, noch bei den Eltern zu wohnen. Andere FÖJ-Anbieter stellen bei Einsatzstellen auf Tierpflegestationen, Schulbauernhöfen, Naturparkzentren eine Unterkunft bereit." Besonders gut haben Tim die fünf Seminare mit Exkursionen gefallen, die übers Jahr verteilt stattfanden. "Wir haben viel über Wasser, Energie, Klima, Landwirtschaft, Globalisierung und Konsum erfahren. Das war sehr lehrreich und ganz toll, jeweils immer 30 anderen FÖJler zu begegnen."  

Die Arbeit in der Natur wirkt beruhigend, bringt Energie und schweißt zusammen  

"Middach" [Mittagessen] ruft plötzlich jemand aus dem Dickicht heraus. Wiebke Börner achtet auf regelmäßige Pausen. "Es kommt so gut wie nie vor, dass jemand schwänzt oder das FÖJ abbricht", sagt die FÖJ-Betreuerin, die es sich neben ihren Schützlingen auf der Ladefläche des Transporters bequem macht, um Müsli, Brote und Äpfel auszupacken. Bastian hat sich für ein Nickerchen ins Gras gelegt.

Was auffällt: Die jungen Leuten wirken sehr ausgeglichen, entspannt und reflektiert. Der ständige gemeinsame Aufenthalt in der Natur und die sinnvollen Einsätze für den Umweltschutz haben ihre wohltuenden Spuren hinterlassen. "Am Anfang des Jahres war ich immer ziemlich platt am Abend. Jetzt hat man sich an die Arbeit gewöhnt. Ich habe mehr Power, und am Wochenende verspüre ich den Drang, mich zu bewegen", freut sich Jule. 

Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) in der Biologischen Station Bonn
Macht ausgeglichen und wirkt schlaffördernd - das Arbeiten in der Natur Bild: DW/K.Jäger

In vier Wochen allerdings ist das Freiwillige Ökologische Jahr bei der Biologischen Station Geschichte. Mit Wehmut sehen die jungen Leute dem Ende entgegen. "Ich freue mich, einerseits, etwas Neues anzufangen", gibt Jule zu: "Aber ich habe auch alle ins Herz geschlossen und bin traurig, wenn ich die Anderen nicht mehr täglich sehe." 

Nach einer Weile raffen sich alle ohne Murren auf, um ihre Arbeit fortzusetzen. "Genug Wasser trinken und die Haut eincremen ist besonders wichtig bei der Arbeit im Freien", sagt Jule noch und greift zum Sonnenschutz, weil die Sonne die Wolken inzwischen durchdrungen hat. Vielleicht lockt die Wärme am Nachmittag sogar das eine oder andere Reptil aus dem Versteck. Die Naturschützer würden begeistert sein. Und ich muss sowieso zurück ins Büro.