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Ein Comic-Strip über die Berliner Mauer

Christoph Richter10. August 2012

Ein Comic, fast wie ein Dokumentarfilm: Zwei Berliner Autoren haben die Geschichten von Mauerflüchtlingen recherchiert. Mit ihrer Graphic Novel wollen sie vor allem Jugendliche erreichen.

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Auszug aus dem Comic "Berlin - geteilte Stadt" (Foto: Avant-Verlag)
Bild: Avant Verlag

Am 4. September 1962 - vor fast genau 50 Jahren - steht der Zimmermann Ernst Mundt mit Schiebermütze und einem schweren schwarzen, knielangen Mantel auf der Mauer, um in den Westen zu balancieren. Ein Flucht-Versuch, der tödlich endet. Denn nur wenige Meter bevor Ernst Mundt den Westen erreicht, treffen ihn zwei Schüsse. Am Berliner Sophienfriedhof in der Bernauer Straße, an der Sektorengrenze zwischen dem französischen und dem sowjetisch besetzten Sektor, fällt er auf die Ostseite der Mauer und verblutet.

Heute ist der Tatort Teil der Berliner Mauer-Gedenkstätte. Eine Anwohnerin aus dem Westen hat damals alles mitverfolgt. "Mein Gott, hab ich gedacht, das war doch so ein großer Mann gewesen. Jetzt nur noch zugedeckt, so ein kleines Bündel", sagt sie mit tränenerstickter Stimme ins Mikrofon eines Reporters des West-Berliner Radiosenders RIAS, als sie nur wenig später den nun toten Ernst Mundt auf der Bahre sieht.

Bewegende Mauer-Fluchtgeschichten als Comic-Strip

Eine Geschichte, die heute noch erschüttert und jetzt vom Berliner Autorenpaar Susanne Buddenberg und Thomas Henseler in dem Comic "Berlin - Geteilte Stadt" nachgezeichnet wurde. Eine von fünf wahren Geschichten, die einen Bogen von 28 Jahren umspannen. Von 1961, dem Zeitpunkt des Mauerbaus, bis 1989, als die Mauer als Resultat der Friedlichen Revolution eingerissen wurde.

Auszug aus dem Comic "Berlin - geteilte Stadt" - die Mauer schlug eine Schneise durch die Stadt und durch die Biografien (Foto: Avant-Verlag)
Die Mauer schlug eine Schneise durch die Stadt und durch die BiografienBild: Avant-Verlag

Comiczeichner Susanne Buddenberg und Thomas Henseler verstehen sich als Chronisten. Sie verwenden die Form des Comic-Strips, der Graphic-Novel, wie es neudeutsch heißt, um gerade jungen Menschen zu erklären, wie die Welt hinter Mauer und Stacheldraht aussah. Damit Menschen, die die Mauer nicht mehr miterlebt haben, ein Gefühl für das Leben mit der Mauer bekommen. Sie erzählen von Selbstverständlichkeiten: von Reisen in ferne Länder, Rockfestivals oder freier Meinungsäußerung - Dinge, die in Ostdeutschland nicht möglich waren. Ein Comic, sei eine gute Möglichkeit, das den Jugendlichen nahezubringen. Wie ein Trailer als Einstieg ins Thema. "Danach gibt's immer noch Möglichkeiten, die Thematik zu vertiefen. Aber es geht ja eigentlich erst mal darum, Interesse zu wecken. Wir erzählen ja spannende Geschichten", sagen die beiden.

Comic-Strips als Geschichtsbuch

Ein Jahr lang hat das Autorenpaar Thomas Henseler und Susanne Buddenberg für ihr Buch recherchiert. Sie sind in Archive gegangen, haben Zeitzeugen befragt. Der Comic ist in schwarz-weiß gehalten, um die Ernsthaftigkeit, die Bedeutsamkeit der recherchierten Geschichten zu unterstreichen. Als Leser bekommt man fast den Eindruck, das Storyboard eines Dokumentarfilms zu lesen. Denn die Bilder haben fast etwas Fotografisches, durch das man in die Geschichten eintauchen kann. Permanent wechselt die Perspektive. Die Nahaufnahmen sind fast schon detailverliebt. Wie beispielsweise der berüchtigte graue Gefangenentransporter Barkas 1000, mit dem man zu DDR-Zeiten Oppositionelle transportiert hat. Nach jedem Kapitel gibt es, wie in einem Lehrbuch, eine historische Einordnung zu den Themen Mauer und Kalter Krieg.

Ursula Malchow war Zeugin, als Ernst Mundt erschossen (Foto: Avant-Verlag)
Ursula Malchow war Zeugin, als Ernst Mundt erschossen wurdeBild: DW

Während frühere Lehrer-Generationen Comics noch mit langen Fingern angefasst haben und Schüler mit Comics in der Tasche gar die Klasse verlassen mussten, sind sie heute dagegen ein beliebtes Lehrmittel. Nach Meinung des Comicforschers René Mounajed eignen sich Graphic Novels geradezu perfekt, um den Schülern fremde Lebenswelten und ferne Geschichtsepochen nahezubringen. Sie würden viel eher zum Mitdenken anregen als andere Medien. "Es ist keine Wunderwaffe", sagt er. Aber sie seien eine gute Möglichkeit, Sachverhalte zu vertiefen. Comics förderten die sogenannte Dekonstruktionskompetenz, ergänzt Mounajed, Lehrer der Integrierten Gesamtschule in Hannover-Roderbruch. "Das heißt, sie müssen ihn mit eigenen Anschauungswelten vergleichen. Oder sie müssten mal ein Comic aus einer anderen Perspektive weiter schreiben. Mal eine Denkblase dran machen." Ein Grund, warum insbesondere für den Unterricht in Deutsch und Geschichte in Deutschland immer öfter Comics eingesetzt werden.

Der Comic "Berlin - Geteilte Stadt" ist darüber hinaus auch eine Art Berliner Reiseführer. Mit ihm kann man sich an die authentischen historischen Orte begeben, auf eine Art Zeitreise gehen. Und wird beispielsweise noch mal an die Ostberliner Pfingstunruhen von 1987 erinnert. Als tausende Jugendliche zum Brandenburger Tor strömten, um David Bowie, die Eurythmics oder Genesis zu hören, die auf der Westseite am Reichstag auftraten. Mit äußerster Brutalität ging die Stasi damals gegen die Musikfans vor und provozierte damit wütende Reaktionen. Heute wird das Ereignis als das Anfang vom Ende der DDR beschrieben.

Auszug aus dem Comic "Berlin - geteilte Stadt" - er macht Geschichte lebendig (Foto: Avant-Verlag)
Der Comic macht Geschichte lebendigBild: Avant Verlag

Susanne Buddenberg/Thomas Henseler: Berlin - Geteilte Stadt. Erschienen im avant-Verlag. 100 Seiten, 14,95 Euro, herausgegeben in deutscher und englischer Sprache, ISBN: 978-3-939080-70-1