1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Gewürgt "bis zum letzten Atemzug"

Sonja Jordans9. Oktober 2015

Im Prozess gegen ein Elternpaar wegen des Mordes an seiner Tochter hat heute der Freund der Getöteten den Vater schwer belastet. Trotzdem sei die Mutter für ihn die Haupttatverdächtige. Aus Darmstadt Sonja Jordans.

https://p.dw.com/p/1GljJ
Die Mutter der Getöteten weinend im Gericht am ersten Prozesstag (Foto: picture-alliance/dpa/B. Roessler)
Die Mutter der Getöteten weinend im Gericht am ersten Prozesstag am 25.09.2015Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Mit fester Stimme sagt der 25-Jährige damalige Freund der Ermordeten, was ihm wichtig ist: "Für mich ist die Mutter die Haupttatverdächtige." Ganz kurz hält der junge Mann inne, als gebe er den Anwesenden im Schwurgerichtssaal des Darmstädter Landgerichts Zeit, das Gehörte zu erfassen. Dann fährt er selbstbewusst fort. "Es ist nicht so, wie sie sich dargestellt hat, dass sie nur unterdrückt wurde." Am dritten Tag im Prozess gegen ein deutsches Ehepaar pakistanischer Herkunft, das sich wegen Mordes an seiner 19-Jährigen Tochter verantworten muss, ist die Mutter des Opfers erneut schwer belastet worden.

Stimmung im Gericht ist gereizt

Die Stimmung im Saal ist deutlich gereizter als zu Prozessbeginn. Immer wieder werden Fragen wiederholt, die Minuten zuvor bereits beantwortet wurden. Verteidigung und Gericht geraten sich immer wieder in die Haare, bis einem der Rechtsanwälte der Kragen platzt und ihm ein deftiges Schimpfwort entfährt. Das Publikum im vollbesetzten Zuschauerraum raunt, der Vorsitzende Richter verlangt eine Entschuldigung. Der Freund des Opfers, ein 25 Jahre alter Student, zeigt sich von all dem äußerlich unbeeindruckt. Als der Verteidiger ihm "Blabla" vorwirft, schaut ihn der Zeuge direkt an und sagt scharf: "Was soll das heißen, blabla? Sprechen Sie deutsch mit mir."

Dass die Mutter zuhause das Sagen gehabt habe, hatte zu Prozessauftakt bereits die zweite Tochter der Angeklagten vor Gericht betont. In seiner Aussage bestätigt dies der Freund des getöteten Mädchens. Seine Freundin, so heißt es in der Anklage, sei im Januar dieses Jahres vom eigenen Vater erwürgt worden, weil sie die Beziehung nicht habe abbrechen wollen und intime Kontakte zu dem jungen Mann unterhalten habe. Dies habe nicht zu den streng religiösen Wertvorstellungen der aus Pakistan eingewanderten Eltern des Mädchens gepasst. Die Mutter habe den Plan, ihre Tochter zu töten, gemeinsam mit ihrem Ehemann gefasst und ihm beim Beseitigen der Leiche geholfen, so die Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung der Frau dagegen hatte zu Prozessbeginn argumentiert, ihre Mandantin sei stets unterdrückt worden und habe sich den Anordnungen des Ehemannes fügen müssen. Mit dem Tod des Mädchens habe sie nichts zu tun, lediglich bei der Beseitigung der Leiche helfen müssen.

Schulpausen nur unter Aufsicht der Mutter

"Sie hat sie geschlagen", sagt dagegen der Freund des Opfers vor Gericht aus. Er berichtet davon, dass die 19-Jährige von ihrer Mutter bewacht und kontrolliert worden sei. "Wenn sie Pause in der Schule hatte, musste sie die halbe Stunde mit ihrer Mutter in der Stadt verbringen", so der Student. Die Mutter sei deswegen aus dem Viertel, in dem die Familie bis zu der Tat lebte, mit dem Bus in die Innenstadt Darmstadts gefahren. Dort habe auch die Tochter während der Pausen auftauchen müssen. "Wenn sie um 16 Uhr Schule aus hatte, musste sie spätestens um 16.15 Uhr zu Hause sein", berichtet der Freund weiter. Die Mutter habe das verlangt. Auch habe die Mutter ihr Kind seelisch und körperlich gequält. Von körperlichen Züchtigungen hatte bereits die Schwester des Opfers berichtet. "Sie bekam auch nichts zu essen", sagt am Freitagmittag der Freund aus. Als Strafe, weil die Mutter von der Beziehung der Tochter erfahren habe. Auch habe die Angeklagte der 19-Jährigen "alle Kleider und Schuhe weggenommen", als sie gerade beim Duschen gewesen sei. "Sie hatte dann nur noch zwei, drei Sachen, die sie sich von Hand waschen musste", sagt der Freund.

Die Mutter der Getöteten hält sich ihre Hände vors Gesicht (Foto: picture-alliance/dpa/B. Roessler)
Der Freund der getöteten belastet ihre Mutter schwer (Foto vom ersten Prozesstag am 25.09.2015)Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Das alles habe er von dem späteren Opfer erfahren. "Der Vater hatte anfangs immer versucht, den Kontakt zu ihr wieder herzustellen, aber die Mutter hat alles getan, um das zu verhindern", ergänzt der Zeuge noch. Allerdings hat dies den Mann laut Aussage des Studenten nicht davon abgehalten, ebenfalls Hand an sein Kind anzulegen: "Einmal, da wollte sie gerade aus der Wohnung gehen, standen ihre Eltern an der Tür", berichtet der 25-Jährige, was ihm seine Freundin erzählt hatte. Der Vater habe das Mädchen am Hals gepackt und gewürgt "bis zum letzten Atemzug". So habe es ihm seine Freundin berichtet. Die Mutter habe tatenlos dabeigestanden.

DNA-Spuren passen zum vermuteten Tathergang

Der Vater allerdings soll es laut Anklage auch gewesen sein, der in einer Januarnacht 2015 schließlich in das Zimmer seiner Tochter ging, seine Hände um ihren Hals legte und zudrückte. Dies hatte der Mann zu Prozessbeginn eingeräumt, und auch am Körper und unter den Fingernägeln des Mädchens sichergestellte DNA-Spuren weisen darauf hin. Sie stammten laut der Aussagen eines Molekularbiologen von einem Mann sowie einer weiteren weiblichen Person. Die Schwester des Opfers hatte sich zur Tatzeit außer Haus befunden. Ob die Spuren an der Leiche nun von der Mutter stammten und wie sie auf den Körper des Mädchens gelangt sein können, darauf will sich der Molekularbiologe jedoch nicht eindeutig festlegen lassen. "Solche Spuren können im familiären Umfeld auch anders an das Opfer gelangt sein", betont der Experte. Aber genauso gut könnten diese Spuren bei einem Tatgeschehen wie dem im vorliegenden Fall übertragen werden.

Der Vater der Getöteten spricht mit seinem Anwalt (Foto: picture-alliance/dpa/B. Roessler)
Der Vater der Getöteten spricht mit seinem Anwalt (Foto vom ersten Prozesstag am 25.09.2015)Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Für den Freund des Mädchens kam diese Tat völlig überraschend. Niemals habe er damit gerechnet, bestätigt er auf Nachfrage. Das Paar habe heiraten wollen, "für uns war das klar". Nach Querelen habe schließlich sogar die Gemeinde, der die jungen Leute angehörten, zugestimmt. Der Vater des Bräutigams hatte am Vormittag ebenfalls bestätigt, dass sein Sohn und die später Getötete haben heiraten wollen und er im Grunde nichts dagegen gehabt hätte. "Allerdings habe ich noch zwei ältere Kinder, die sollten zuerst heiraten", hatte der Taxifahrer ausgesagt. Ferner habe ihn die Gemeinde zu einer großen Zeremonie drängen wollen, für die er aber schlichtweg kein Geld gehabt habe. Der Prozess wird fortgesetzt.