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Egorkin: "Eine komplett neue Welt"

Anastassia Boutsko10. Mai 2015

Die Berliner Philharmoniker wählen an diesem Montag einen neuen Chefdirigenten. Wahlberechtigt sind 124 Musiker aus 27 Nationen. Im DW-Interview spricht einer von ihnen - der russische Piccoloflötist Egor Egorkin.

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Deutschland Egor Egorkin Flötist der Berliner Philharmoniker
Bild: Privat

DW: Herr Egorkin, von Ihrer Entscheidung hängt nicht unwesentlich ab, wohin sich das Orchesters entwickelt. Wie bereiten Sie sich auf die Wahlen vor? Hören sie Aufnahmen, sprechen Sie mit Kollegen?

Egor Egorkin: Das Wichtigste ist die persönliche Erfahrung der Zusammenarbeit mit dem Dirigenten. Da ich dem Ensemble noch nicht so lange angehöre, lege ich großen Wert auf die Meinung meiner Kollegen. Ich höre auch Aufnahmen, natürlich. Was ich auf jeden Fall weiß: am 11. Mai werden wir alle einen sehr langen Tag haben.

Meinen Sie, dass die Berliner Philharmoniker für das so genannte "große russische Repertoire" stehen? Oder sollte mehr neue Musik gespielt werden?

Da sehe ich keinen Widerspruch: ein breites, internationales Repertoire ist urdeutsche Tradition. Was mich persönlich betrifft, so möchte ich natürlich möglichst viel Musik für mein Instrument spielen. Es ist natürlich nicht möglich, immer Rossini und die Sechste von Schostakowitsch zu spielen. Bleibt die Hoffnung auf die neue Musik, da ist die Piccola ziemlich gefragt.

Deutschland Berliner Philharmoniker Wahl
Dirigent Herbert von Karajan ist längst Geschichte. Jetzt wählen die Berliner Philharmoniker einen Nachfolger für Sir Simon RattleBild: DW/G. Reucher

Apropos: warum haben Sie sich für Piccolo-Flöte entschieden?

Als Kind hatte ich schwache Lungen, und meine Mutter dachte, die Flöte werde mich körperlich stärken. Ehrlich gesagt, Skifahren hätte mich eher gestärkt. Ich übte aber fleißig, bis zu acht Stunden pro Tag. 2006 bekam ich ein Stipendium und ging nach Weimar. Da habe ich meine Leidenschaft für die Piccolo-Flöte entdeckt.

Sie sind derzeit der einzige Russe in dem Orchester. Wie kam es dazu?

Das war ein langer Weg: 2011 habe ich mich um die Stelle beworben und kam mit zwei weiteren Kandidaten ins Finale. Keiner von uns wurde genommen. Die Stelle blieb unbesetzt. Mir hat man dann aber vorgeschlagen, mein Können an der Akademie der Berliner Philharmoniker zu perfektionieren. Diese Akademie ist einmalig: Junge Musiker werden von großartigen, erfahrenen Orchestermitgliedern unterrichtet. So durfte ich mit Emmanuel Pahud, Michael Hasel, Andreas Blau und Jelka Weber üben! Ich tat alles, um fit für das Orchester zu werden.

Wie ist Ihnen das gelungen?

Ein Berliner Philharmoniker muss nicht nur technisch perfekt sein, sondern eine rundum entwickelte Musikerpersönlichkeit. Das war mit viel Arbeit verbunden. Da entscheiden feine Nuancen. Dieses Orchester funktioniert wie ein riesiges Kammerensemble.

Sir Simon Rattle Kinder
Der scheidende Chef Simon Rattle stand für die Vermittlungsprogramme mit KindernBild: picture-alliance/dpa/S. Stache

Die Berliner Philharmoniker sind wohl das demokratischste Orchester der Welt. Wie lebt man so eine "Orchesterdemokratie"?

Das war für mich eine komplett neue Welt: Die Ensemblemitglieder dürfen tatsächlich bei allen wichtigen Fragen mitentscheiden - ob beim Repertoire, bei der Tournee-Planung oder der Besetzung der Stellen. Auch über meine Kandidatur wurde abgestimmt. Nur eine Stimme war dagegen. Das hat mich sehr gefreut.

Eine wichtiges Erbe der Ära von Simon Rattle ist die so genannte "Digital Concert Hall" – fast alle Konzerte der Berliner sind via Internet weltweit in bester Qualität zu sehen und zu hören. Ist das die Zukunft der klassischen Musik?

Das Projekt ist schon toll, besonders in Verbindung mit einer 3D-Brille. Wenn das Konzert in ein Kino übertragen wird, man hat das Gefühl, direkt vor dem Dirigenten zu stehen. Eine einmalige Erfahrung! Ich meine aber, dass die Überflutung durch diverse digitale Musikformate, die immer, überall und oft kostenlos zu haben sind, zu einer Inflation der Musik als solchen führt. Ich persönlich habe neulich die alte gute Schallplatte für mich wiederentdeckt.

Was sichert dann das Überleben der klassischen Musik? Worauf sollte man setzen?

Auf die kleinen Kinder kommt es an. Ich halte viel von den Education-Programmen unseres Orchesters. Wir gehen in die Kitas. Wir zeigen den Kindern, wie die Instrumente funktionieren und wie die Musik gemacht wird. Wir haben für die Kinder sogar eine Kiste mit kleinen Musikinstrumenten dabei. Das begeistert sie. Ich versuche immer, wenn ich kann, bei solchen Konzerten mitzumachen.

Mit Egor Egorkin sprach DW-Reporterin Anastassia Boutsko. Der Flötist Egor Egorkin, Jahrgang 1986, ist seit September 2013 Mitglied der Berliner Philharmoniker.