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E pluribus unum

Insa Wrede / mas2. September 2002

Aus vielem eine Einheit zu formen, ist nicht nur das Ziel von Malern, die ein Landschaftsgemälde entwerfen. Auch in der Politik gilt dies als hohe Kunst. Einige Experten behaupten: Föderalismus ist ihr Pinsel.

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Die Schweiz: viele Berge, viele Sprachen, ein Staat - dem Föderalismus sei DankBild: AP

Einerseits werden viele Grenzen zwischen Staaten immer durchlässiger oder sogar ganz abgebaut, zahlreiche Länder schließen sich zu internationalen Gemeinschaften zusammen und große Unternehmen arbeiten immer globaler. Andererseits wollen die Bürger weder ihre lokale Autonomie noch ihre kulturellen Besonderheiten verlieren. Und in vielen Ländern kämpfen ethnische Minderheiten um ihre Unabhängigkeit. Aber wie ist mehr "lokale Selbstbestimmung" in einer zusammenwachsenden und immer vernetzteren Welt möglich?

Eine Antwort auf diese Frage könnte nach Ansicht des ehemaligen Bundespräsidenten der Schweiz, Arnold Koller, der Föderalismus geben. Der Föderalismus bietet nach seinen Worten zwar keine Patentlösungen. Genau dieser Mangel sei jedoch eine große Stärke dieser Staatsphilosophie. "Diese Flexibilität und die relative inhaltliche Unbestimmtheit ist eine große Chance, weil man sich ständig neuen Bedingungen anpassen kann", sagt Koller im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Inspiration

Weil Patentlösungen fehlen, lud Koller vorige Woche rund 600 Politiker, Wissenschaftler und Studenten aus allen Kontinenten ins schweizerischen St. Gallen zu einer Föderalismuskonferenz ein. Da die politische Struktur föderaler Staaten sehr unterschiedliche Gesichter annehmen kann, sollten sich die Teilnehmer der Konferenz gegenseitig inspirieren. "Das Ziel der Konferenz ist", so Koller, "dass die föderalistischen Länder durch einen intensiven Gedanken-, Ideen- und Erfahrungsaustausch voneinander lernen, um überall anstehende Probleme in den Bundesstaaten möglichst sachgerecht und auf den eigenen Staat bezogen zu lösen."

Föderalismus - das bedeutet beispielsweise, dass ein Staat seinen Bundesstaaten zugesteht, über die lokale Struktur selbst zu entscheiden. Aber nicht nur Staaten haben föderalistische Strukturen. Auch internationale Zusammenschlüsse wie die EU geben den einzelnen Mitgliedstaaten Mitbestimmungsrechte und räumen ihnen in bestimmten Bereichen Selbstverwaltung ein. Das ist wichtig für die Legitimität. Schließlich sollen alle Bürger solche internationalen Gemeinschaften unterstützen. Keiner soll sich entmündigt und von einer zentralen, weit entfernten Macht gesteuert fühlen.

Einheit in der Vielfalt

Insbesondere in Ländern mit vielen verschieden Ethnien, Sprachen, Religionen oder Kulturen sind nach Kollers Meinung föderalistische Strukturen sinnvoll. Dies zeigten die Beispiele USA und Schweiz. Die USA haben ihren Anspruch, aus der Vielfalt ihres Landes eine Einheit zu formen, sogar mit den lateinischen Worten "E pluribus Unum" (aus vielem eins) auf ihren Dollar-Noten verewigt, so wichtig ist ihnen das Prinzip ihres Miteinanders. Die Schweiz steht vor der Herausforderung, Menschen, die an unterschiedlichen Sprachen festhalten wollen, zu vereinen. Das kleine Land meistert diese nicht zuletzt aufgrund ihrer Staatsform, meint Koller und sagt: "Ich kann mir schlecht vorstellen, wie die französisch, italienisch, romanisch und die deutsch sprechenden Schweizer ohne Föderalismus vor allem im kulturellen Bereich in einem zentralistischen Staat überlebt hätten."

In vielen Ländern leben nicht nur zahlreiche sehr verschiedene Ethnien zusammen. Die Gesellschaften befinden sich zudem in einem permanenten Wandel. Neue Technologien eröffnen neue Horizonte, und die Anforderungen an Staaten und die internationale Gemeinschaft verändern sich ständig. Dieser stetige Wandel braucht eine lernfähige politische Ordnung, die flexibel auf die Umgebung reagieren kann. Arnold Koller ist überzeugt, dass Föderalismus eine politische Antwort auf die zunehmende Globalisierung der Wirtschaft ist. "Föderalismus", sagt er ,"bürgt für eine bürgernahe Politik. Föderalismus ermöglicht auch das Leben der Einheit in der Vielfalt, ermöglicht die Realisierung der eigenen kulturellen Identität gerade in einem Vier-Sprachen-Land wie der Schweiz."

Politischer Klebstoff

Weil mehr als 90 Prozent aller Menschen in multikulturellen Staaten leben, erwartet der Schweizer eine große Zukunft für den Föderalismus. Diese Staatsform biete multi-ethnischen Gesellschaften am ehesten die Chance im gleichen Staat auf eine vernünftige und erfolgreiche Weise fertig zu werden.

Wie gut Föderalismus funktionieren kann, beweist die Schweiz seit ihrer Gründung. Für Arnold Koller ist dieser Zusammenhalt jedoch keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Folge ihres politischen Systems. Ohne den Föderalismus, so der ehemalige Präsident des Alpenlandes, hätte die Schweiz wahrscheinlich nicht überlebt.