1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Die Herweghs sind ein Vorbild"

Jochen Kürten
31. Mai 2017

In seinem Roman "Die Freiheit der Emma Herwegh" erzählt Kurbjuweit die Geschichte eines Paares, das im 19. Jahrhundert für Freiheit und Emanzipation kämpfte. Der DW verrät er, was das mit Merkel und Schulz zu tun hat.

https://p.dw.com/p/2dpXg
Dirk Kurbjuweit-Portät
Bild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

DW: Vor kurzem haben Sie gesagt: "Einen solchen Sänger könnten SPD-Chef Martin Schulz oder CDU-Chefin Angela Merkel gut gebrauchen." Sie haben damit den Dichter und Freiheitskämpfer Georg Herwegh (1817-1875) gemeint, der vor 200 Jahren am 31. Mai geboren wurde. Können Sie das näher erläutern?

Dirk Kurbjuweit: Georg Herwegh war ein hochpolitischer Mensch. Er war ein Sozialist und gehörte zu den ganz frühen Anhängern des "Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins" von Ferdinand Lassalle. Er hat für ihn auch das sogenannte "Bundeslied" geschrieben. Er konnte Begeisterung wecken für das Politische - und auch für das Parteipolitische. Der Dichter Ferdinand Freiligrath hatte geschrieben:

Der Dichter steht auf einer höhern Warte,
Als auf den Zinnen der Partei.

Herwegh hat ihm dann entgegengerufen:

Partei! Partei! Wer sollte sie nicht nehmen,
Die doch die Mutter aller Siege war!
Wie mag ein Dichter solch ein Wort verfemen,
Ein Wort, das alles Herrliche gebar?

…insofern würde Georg Herwegh heute auch Schulz und Merkel helfen können.

Porträt Georg Herwegh Schwarz-Weiß-Zeichnung
Georg HerweghBild: picture-alliance/dpa

Trotzdem ist Georg Herwegh heute weitgehend vergessen. Woran liegt das?

Er ist vergessen als Dichter, er war kein guter Dichter. Mit unseren heutigen Ohren und Augen, wenn wir das heute hören und lesen, klingt das doch sehr dröhnend. Das ist doch sehr überladen und hoch pathetisch. Wir leben ja nicht mehr in einer pathetischen Zeit. Wir hören so etwas nicht mehr so gerne. Es ist ja doch eher eine Zeit der Reduktion, eher der Ironie denn des Pathos. Und deshalb ist er als Dichter in gewisser Weise auch zu Recht vergessen. Er passt nicht mehr in die Zeit.

Als politischer Mensch gehörte er - und das ist ein bisschen tragisch - zu den großen Figuren des Vormärz (Anmerkung: die Jahre vor der März-Revolution von 1848/1849). Er ist einer der ganz wenigen Dichter, die den Weg zur Tat gegangen sind, der in die Revolution eingegriffen hat. Mit seiner "Deutschen Demokratischen Legion" ist er von Paris aus losgezogen, um den Großherzog von Baden zu stürzen - gemeinsam mit Friedrich Hecker und Gustav Struve. Er ist dann gescheitert, wie die Revolution von 1848 ja insgesamt gescheitert ist. Deshalb ist er fast vergessen. Da teilt er das Schicksal mit den Heckers und Struves.

Nun ist Ihr Roman mit dem Titel "Die Freiheit der Emma Herwegh" ja ein Buch über die Frau des Dichters, die von 1817 bis 1904 gelebt hat. Hat Sie da die besondere frühe Rolle in Sachen Emanzipation bei Emma Herwegh interessiert?

Ja. Es ist ja gerade so, dass im frühen 19. Jahrhundert das Schicksal von Frauen interessanter ist als das von Männern, weil sie es so unendlich schwer hatten. Weil die Welt außerhalb des Hauses und der Wohnung fast eine reine Männerwelt war. Gerade die politische Welt wurde von Männern bestimmt und dominiert - es sei denn, man war Prinzessin und wurde irgendwann Königin und so in die politische Rolle hineingeboren.

Emma Herwegh Gemälde
Emma HerweghBild: gemeinfrei

Emma Siegmund (die spätere Frau Georg Herweghs) war eine bürgerliche Frau, und sie hatte eigentlich keine Chance, politisch zu wirken. Dann hat sie es aber über ihren Mann getan. Sie hat einen politischen Mann geheiratet und deshalb politisch wirken können und ist dann auch deshalb in die politische Revolution gezogen. Sie war sicherlich eine der ersten Frauen in Deutschland, die in einen Krieg gezogen ist. Das macht sie so ganz besonders. Sie hat sich immer in diesen Männerwelten bewegt, in der Politik und eben auch im Krieg. Deshalb ist sie für mich auch die interessantere Person gewesen.

Und Ihr Interesse bezog sich vor allem auf das Zusammenspiel zwischen Politik und Privatem. Der Roman kreist um die Beziehungen der beiden…

Ja, das fand ich tatsächlich besonders spannend, weil es am Ende auch so traurig war. Es ist ja oft so, dass der Gedanke der politischen Freiheit mit dem Gedanken der sexuellen Befreiung einhergeht. Das wissen wir ja von unseren '68ern, der "Kommune 1". Das weiß man aber auch von vielen Freiheitsbewegungen, auch in der früher sogenannten "Dritten Welt". So war es auch in den Jahren des Vormärz. Die Sozialisten haben sich um 1830 Gesellschaften vorgestellt und ausgemalt, in denen politische, aber auch sexuelle Freiheiten herrschten.

Badische Revolution - Schlacht von Kandern - Schlachtszene auf Gemälde
Die Herweghs mischten 1848 bei der Badischen Revolution im Schwarzwald mit Bild: picture-alliance/akg-images

Das war ein Gedanke, den die Leute des Vormärz aufgenommen haben, gerade Georg Herwegh. Und er hat seine Frau auch auf eine ganz fürchterliche Art und Weise betrogen. Er hat sie wirklich schwer erniedrigt. Er hat sie über Jahre zur Gehilfin für seine Affären gemacht. Insofern hatte die politische Befreiungsbewegung für Emma Herwegh auch einen ganz, ganz üblen Beigeschmack. Da war auf der einen Seite der schöne Gedanke an die politische Freiheit des Menschen, andererseits war die sexuelle Freiheit für sie einfach eine Tortur.

Eine Journalistin hat mal geschrieben, man könne sich Emma Herwegh "ohne Mühe als Studentin im Minirock vorstellen, die 1970 an der Frankfurter Uni ihr Herz an einen linken Pseudo-Charismatiker verliert". Sind Sie damit einverstanden?

Ja, ohne weiteres. Und ich finde auch, dass man noch 50 Jahre weitergehen kann, sie auch noch in unsere Zeit holen kann. Der Gedanke an Freiheit und Demokratie, der wird ja stärker, eben weil Freiheit und Demokratie ihre Selbstverständlichkeit verloren haben. Wir alle haben ja in den letzten Jahren wieder das Gefühl bekommen, wir müssten um Demokratie und Freiheit kämpfen. Sie ist uns in den Schoss gefallen, das heißt aber nicht, dass wir die Hände still halten können, sondern wir müssen uns für sie engagieren.

Buchcover Die Freiheit der Emma Herwegh von Dirk Kurbjuweit
Bild: Hanser Verlag

Die Herweghs haben das getan. Denen ist es noch nicht einmal in den Schoss gefallen. Sie mussten darum kämpfen, und sie hatten den Mut und die Tatkraft, das zu tun. Und darum denke ich oft an die beiden in diesen Tagen. Ich denke, wenn es mal soweit wäre, dass es auch hier kritisch würde mit unserer Demokratie, dass sie auch Vorbilder sein könnten, dass sie einen leiten könnten und das man sagt: Ok, die haben es gemacht, und dazu sollten wir auch in der Lage sein.

Das Gespräch führte Jochen Kürten.

 

Der Roman von Dirk Kurbjuweit, der auch stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitschrift "Der Spiegel" ist, ist im Hanser Verlag erschienen: "Die Freiheit der Emma Herwegh", 336 Seiten, ISBN 978-3-446-25464-0.