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Dilmas Dilemma

Marc Koch, Rio de Janeiro24. Juni 2013

Während die Welt auf Brasilien blickt, weil der Confed Cup als Vorbereitung auf die Fußball-WM 2014 ausgetragen wird, protestieren Hunderttausende gegen Korruption und für Reformen.

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Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff schaut nachdenklich (Foto: EVARISTO SA/AFP/Getty Images)
Dilma RousseffBild: E.Sa/AFP/GettyImages

Eigentlich sollten sie hier ein Fußballfest feiern: Das Volk. Die Regierung. Die Mannschaften und die vielen tausend Gäste im Land. Stattdessen muss Dilma Rousseff die Ärmel hochkrempeln und arbeiten: Während der Confed Cup, die Generalprobe für die Weltmeisterschaft im nächsten Jahr, auf die Zielgerade geht, wird sich Brasiliens Präsidentin mit den Gouverneuren und Präfekten der größten Städte zusammensetzen und die Lage analysieren.

Glitzernde Stadien und gammelige Schulen

Egal, was dabei herauskommt: Das Ergebnis wird Dilma nicht gefallen. Denn die Proteste, die Brasilien seit mehr als einer Woche erschüttern, haben die Präsidentin und die Politik des Landes eiskalt erwischt. Über dem mitreißenden Wirtschaftsboom der letzten Jahre, der Millionen aus der Armut in die Mittelschicht geführt und das Land auf der internationalen Bühne als ernstzuneh-menden Player etabliert hat, wurden andere Dinge offenbar schlicht vergessen: Niemand hatte daran gedacht, den neuen Reichtum auch in Bildung und Gesundheit zu stecken. Dafür stehen jetzt in den Großstädten glitzernde Fußballtempel in Sichtweite von runtergekommenen Grundschulen. Während in der Provinz Stadien aus dem Dschungel gestampft wurden, sterben in Brasilien Menschen, weil es keine ordentliche medizinische Versorgung gibt. Und daran ist nicht nur Nachlässigkeit schuld: Die Korruption ist das andere große Thema, das die Menschen jetzt Tag für Tag auf die Straßen treibt.

Menschen demonstrieren vor einer Kirche in Sao Paulo (Foto: REUTERS/Alex Almeida)
Brasilien kommt nicht zur Ruhe: Massenproteste in São PauloBild: Reuters

Die neue Mittelklasse

"O gigante acordou", der Riese wacht auf, ist das Motto der Proteste. Es sind Studenten und Sekretärinnen, Lehrer und leitende Angestellte, die durch Rio de Janeiro, São Paulo, Belo Horizonte und Fortaleza ziehen. Politiker, Parteien gar, sind nicht dabei: Als sich Mitglieder von Dilmas regierender Arbeiterpartei PT mit Fahnen einem Marsch anschließen wollten, wurden sie mit Pfiffen und Buhrufen verjagt. Vom Politestablishment haben die Brasilianer die Nase voll. Das Wort Politiker ist für die Demonstranten schon lange nur ein anderes Wort für Korruption und Bereicherung. Die Forderungen der Protestierer passen auch in keine Ideologie: Es sind die Ansprüche einer neuen Mittelklasse, die ihre Rechte einfordert. Die wissen will, was mit ihren Steuern geschieht, die sie regelmäßig zahlt. Die den Mund nicht mehr halten will.

Worte statt Taten

Dilma Rousseff, die ehemalige linke Guerilla-Kämpferin, verspricht, die Signale der Straße zu hören. Ganz im Stile einer verständnisvollen Mutter der Nation spricht sie gütig und verständnisvoll, signalisiert Zustimmung, macht Vorschläge und kündigt Gespräche an. Früher wäre die eigentlich überaus beliebte Präsidentin damit durchgekommen. Doch jetzt ist es zu spät, schöne Reden alleine reichen nicht mehr. Dilma muss Antworten finden - und zwar schnell. Die hastigen Versprechen, einen nationalen Plan zur Reform des öffentlichen Transportwesens zu erarbeiten, die Verwaltung zu verbessern und ausländische Ärzte ins Land zu holen, können die Demonstranten kaum zufriedenstellen. Im Gegenteil: "Was soll das?", empört sich eine Ärztin in Rio de Janeiro. "Wir brauchen niemanden aus dem Ausland. Hier gibt es genug Ärzte. Sie haben nur nicht genügend Möglichkeiten, den Menschen zu helfen."

TV-Monitor in einer Busstation, auf dem Präsidentin Dilma Rousseff bei ihrer Ansprache zu sehen ist (Foto: picture alliance/AP)
Fernsehansprache von Präsidentin Dilma Rousseff: "Wirklich etwas zu sagen hatte sie nicht."Bild: picture-alliance/AP

Warten auf den großen Wurf

Mit warmen Worten lassen sich die Demonstranten nicht mehr besänftigen: "Gut, dass sie gesprochen hat", sagt eine Studentin in São Paulo nach einer Fernsehansprache der Präsidentin. "Aber wirklich etwas zu sagen hatte sie ja nicht." Dilma Rousseff setzt trotzdem auf Dialog. Das Problem ist: Mit wem soll sie reden? Die Proteste haben kaum Organisation, und schon gar keine politischen Führer. Und die Forderungen sind so vielfältig, die Themen oft regional so begrenzt, dass sie nicht an einem Verhandlungstisch in der Hauptstadt Brasilia besprochen werden können. Die einflussreiche Tageszeitung "Folha de São Paulo" rät der Präsidentin, auf einem möglichst sensiblen Gebiet, wie der Bildung, einen ganz großen Wurf zu landen. Doch so einfach ist das nicht: Zu einem großen Wurf braucht Dilma Geld - und das wird plötzlich knapp in Brasilien: Die Wirtschaft wächst nicht mehr so rasend, die Inflation dafür umso mehr. Schon munkeln die ersten Experten, dass der ganz große Boom erstmal vorbei sei. Dazu passt, dass der brasilianische Finanzminister signalisiert, seine Kassen seien nicht wirklich gut gefüllt.

Kein Wunder also, dass Brasiliens Präsidentin nicht nach Feiern zu Mute ist. Dilma steckt in einem handfesten Dilemma.