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Digitaler Graben breiter als erwartet

28. Februar 2012

Erstmals haben Wissenschaftler untersucht, wie stark das Internet bereits zur Alltagsrealität der Bevölkerung in Deutschland gehört. Die Ergebnisse überraschen und zeigen die Herausforderungen für die Politik.

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Eine Gruppe älterer Frauen (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Rein statistisch betrachtet verfügen vier von fünf Haushalten in Deutschland über einen Internetanschluss. Andersherum gesagt: 20 Prozent sind offline. Doch diese Zahlen sagen wenig darüber aus, wie häufig im Netz gesurft wird oder wie souverän Angebote wie E-Commerce oder Online-Banking genutzt werden. Wissenschafttler haben nun erstmals deutschlandweit und repräsentativ untersucht, welchen tatsächlichen Stellenwert das Internet im Alltag der Befragten hat. Die Ergebnisse der gemeinsamen Studie des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) und des Sinus-Instituts wurden am Dienstag (28.02.2012) in Berlin der Öffentlichkeit präsentiert.

Doppelt so viele Outsider

"Die digitale Spaltung der Gesellschaft ist größer als die bisher bekannten Zahlen vermuten ließen", sagt DIVSI-Direktor Matthias Kammer. Danach zählen in Deutschland nicht 20 Prozent, sondern fast 40 Prozent der Menschen zu den sogenannten Digital Outsiders. Sie sind nie oder höchstens ein, zwei Mal im Monat im Internet. Ihnen gegenüber steht die fast gleichgroße Gruppe der mit dem Internet Aufgewachsenen, der sogenannten Digital Natives.

Direktor des Deutschen Instituts fuer Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI), Michael Kammer (Foto: dapd)
Michael Kammer vom DIVSI warnt vor einer EntsolidarisierungBild: dapd

Die rund 2000 Interviews hätten außerdem eine neue Komponente des Problems zutage gefördert. "Die digitale Spaltung führt auch zu einem solidarischen Bruch", sagt Kammer. Denn das Verständnis dafür, dass die Outsider - das sind insbesondere ältere Bevölkerungsgruppen - mit dem Internet wenig anfangen können, sei bei den Jüngeren Internetprofis äußerst gering ausgeprägt. "Sie können sich ein Leben ohne Internet nicht mehr vorstellen und sich deshalb schwer in die Lebensrealität der anderen hineindenken."

Ein zweiter Graben

Neu hinzugekommen, so sagen die Verfasser der Studie, sei ein zweiter digitaler Graben in der deutschen Internetgesellschaft. Besonders die mittleren Altersgruppen - also die über 40-Jährigen - gehören demnach zu einer dritten Gruppe, den Digital Immigrants. Zwar gingen diese regelmäßig ins Internet, stünden dem Medium aber recht skeptisch gegenüber und würden den Themen Sicherheit und Datenschutz im Internet demzufolge eine höhere Bedeutung beimessen, als es unter den Digital Natives üblich sei.

Bei den Internetprofis macht die Studie drei Untergruppen aus: die Souveränen, die Hedonisten und die Effizienz-orientierten Performer. Für sie alle gehört das Internet zum alltäglichen Leben dazu - nur die Hauptmotive der Nutzung unterscheiden sich. Die Hedonisten wollen Unterhaltung, die Performer Arbeitserleichterung und die Souveränen wollen Avantgarde sein.

Freiheit versus Sicherheit

Über alle Milieus hinweg konnte die Studie zwei verschiedene Verantwortungskonzepte im Umgang mit dem Internet festmachen. 74 Prozent der Befragten sehen den Staat in der Verantwortung, für ein sicheres Internet zu sorgen. 26 Prozent dagegen propagieren das Selbstverschuldungsprinzip. Sicherheit werde von den Digital Natives als eine persönliche Einstellung beschrieben, berichtet Silke Borgstedt, Direktorin der Abteilung für Sozialforschung des Sinus-Instituts.

Berlin/ Die Direktorin der Abteilung fuer Sozialforschung des SINUS-Instituts, Silke Borgstedt, stellt am Dienstag (28.02.12) in Berlin bei einer Pressekonferenz des Deutschen Instituts fuer Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) die "Millieu-Studie zu Vertrauen und Sicherheit im Internet" vor. Eine deutliche Mehrheit der Internetnutzer in Deutschland sieht bei der Sicherheit im Internet den Staat in der Verantwortung. Knapp drei Viertel aller User betrachten es unter anderem als Aufgabe der Regierung, Computerschaedlingen, Online-Kriminalitaet und Cyber-Attacken entgegenzuwirken, wie aus der Erhebung des DIVSI hervorgeht. 26 Prozent der Befragten sind hingegen der Meinung, dass jeder User im Wesentlichen selbst fuer seinen Schutz sorgen muss. (zu dapd-Text) Foto: Axel Schmidt/dapd
Silke Borgstedt vom Sinus-Institut in HeidelbergBild: dapd

"Wer sich nicht auskennt im Internet, der will Schutz und wer sich auskennt, der will Freiheit", fasst DIVSI-Direktor Kammer zusammen. Für die Politik ergebe sich daraus das Dilemma, auf sehr verschiedene Bedürfnisse reagieren zu müssen.

Auch sollten die Entscheidungsträger von allzu euphorischen Vorstellungen über die Internetgesellschaft Abschied nehmen, betont Silke Borgstedt. Die Forderung "WLAN für alle" zum Beispiel reiche nicht aus, um soziale Teilhabe in der Gesellschaft zu garantieren. Denn der Zugang zum Netz sage noch nichts darüber aus, wie das Internet genutzt werde.

Prominenter Schirmherr

Das DIVSI ist eine im Jahr 2011 gegründete gemeinnützige Gesellschaft der Deutschen Post AG. Ihr erklärtes Ziel ist es, vertrauliche und sichere Kommunikation im Internet zu fördern. Die nun vorgestellte Milieu-Studie ist das erste strategische Forschungsprojekt des Instituts.

DIVSI-Schirmherr ist der jetzige Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, Joachim Gauck, der seine Rolle seit seiner Ernennung allerdings ruhen lässt. In seinem Statement auf der Website des Instituts heißt es: "Die Frage ist, ob und wie sich die Rechte aller in der globalen Infrastruktur des Netzes so schützen lassen, dass die Freiheit nicht auf der Strecke bleibt." Diese Aussage passt zu aktuellen Fragen der Internetkommunikation, lässt sich aber auch auf generelle Werte der Gesellschaft übertragen - und entspricht auch dem Lebensmotto des Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck.

Autor: Kay-Alexander Scholz
Redaktion: Peter Stützle