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Es wurde "systematisch weggeschaut"

8. März 2017

Bundeskanzlerin Merkel wird heute als Zeugin vom Abgas-Untersuchungsausschuss befragt. Laut Fraktionsvize Oliver Krischer von den Grünen hat die Regierung "systematisch weggeschaut".

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Oliver Krischer Grüne
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Herr Krischer, Sie sind für die Grünen im Abgas-Untersuchungsausschuss. Nun wird Bundeskanzlerin Merkel als voraussichtlich letzte Zeugin am Mittwoch befragt werden. Worum geht es?

Oliver Krischer: Welche Konsequenzen zieht sie aus dem Abgasskandal? Wie kann es sein, dass immer noch Autos in Deutschland auf den Markt kommen, die die Grenzwerte um ein vielfaches überschreiten? Warum unternimmt der Verkehrsminister nichts, damit die Emissionen der neu verkauften Fahrzeuge auf der Straße reduziert werden? 

Das Ergebnis dieser Politik ist, dass jetzt Fahrverbote in den Städten drohen. Das Problem ist, dass die Innenstädte mit Stickoxiden belastet sind und es zehntausend vorzeitige Todesfällen in Deutschland gibt. Dieses Problem ist nicht gelöst. Dazu wird die Bundeskanzlerin Stellung nehmen müssen.

Deutschland Generaldebatte im Bundestag zum Haushalts-Etat 2017 Merkel
Welche Rolle hat Angela Merkel im Abgasskandal und welche Konsequenzen werden gezogen?Bild: picture-alliance/dpa

Was erwarten Sie von ihr?

Es kann nicht sein, dass die Automobilindustrie in unserem Land machen kann was sie will. Sie optimiert die Abgasreinigung bei Fahrzeugen für die Prüfung in den Testlaboren, im Realbetrieb auf der Straße wird diese Reinigung aber abgeschaltet und so werden horrende Mengen an Abgasen ausgestoßen.

Seit über zehn Jahren ist dies die Praxis. Das ist ein Staatsversagen. Ich erwarte von Frau Merkel, dass sie erklärt, wie sie diese Praxis abstellen will. Bisher sehe ich hier keine ernsthaften Korrekturen in der Politik.

Seit letztem September hat der Untersuchungsausschuss 68 Sachverständige und Zeugen befragt. Wie sieht die Zwischenbilanz aus?

Es wurde deutlich, dass die Bundesregierung seit über zehn Jahren von dem Problem wusste. Sie hat hier aber nichts unternommen und ging der Sache nicht auf den Grund.

Einer der größten Industrieskandale in Deutschland und der Welt wäre mit ein bisschen Engagement und Einsatz vermeidbar gewesen. Und damit wäre auch vermeidbar gewesen, dass tausende Menschen vorzeitig durch diese Luftverschmutzung sterben. 

All dies wurde im Untersuchungsausschuss sehr deutlich - auch die enge Verquickung zwischen Bundesregierung und Automobilindustrie. Sie führte dazu, dass hier systematisch weggeschaut wurde. Die Hersteller konnten sich darauf verlassen, dass nicht kontrolliert wurde. Unter der Regierung von Merkel wurden seit 2005 die Kontrollen systematisch abgeschafft, der Staat zog sich komplett zurück. Das Ergebnis ist das Tricksen und Betrügen von vielen Herstellern und nicht nur von VW.

Deutschland Martin Winterkorn und Angela Merkel auf der Hannover Messe
Zu enge Verbindungen? Merkel und der ehemalige VW-Vorstandsvorsitzende Winterkorn auf der Hannovermesse im April 2015Bild: AFP/Getty Images/T. Schwarz

Gab es Reue und Einsicht bei den Verantwortlichen?

Es gibt sehr wenig Selbstkritik. Die ehemaligen Verkehrsminister Tiefensee und Ramsauer konnten sich an nichts erinnern. Trotz Hinweisen in den Medien und schlechten Luftwerten haben sich die politisch Verantwortlichen in den letzten zehn Jahren nicht um das Thema gekümmert. 

Sie sahen zwar, dass die Grenzwerte für Luftverschmutzung in den Städten überschritten wurden und deswegen ein Vertragsverletzungsverfahren der EU droht, es wurde aber nicht nach den Ursachen gefragt und gesucht. Das ist eine erschütternde Mentalität die wir leider bei vielen Zeugen erlebt haben.

Es gab aber auch Ingenieure in den Behörden, die kritische Fragen stellten. Diese Ingenieure wurden allerdings ausgebremst oder hatten keine Ressourcen für Nachprüfungen. Das alles zeigt, wie bewusst die Probleme ignoriert wurden.

Welche Konsequenzen folgen jetzt nach der Aufdeckung des Skandals?

Nun ist das Problembewusstsein da. Konsequenzen werden jedoch nicht gezogen. Es fehlt bisher der Mut für klare Kontrollstrukturen. Wie in den USA bräuchte man eine unabhängige Behörde, die auch wirklich kontrolliert.

Die Bundeskanzlerin muss hierauf antworten. Sie muss auch klären, warum die Aufarbeitung des Skandals von den Leuten gemacht wird, die jahrelang wegschauten und mitmachten.

Wie optimistisch sind Sie, dass wir wieder saubere Luft in den Städten bekommen, eine saubere Mobilität?

Ich glaube, dass es eher insofern Konsequenz geben wird, weil der Verbrennungsmotor und vor allem der Diesel keine Zukunft mehr hat. Die ganze Technologie ist in einer Sackgasse und eigentlich außerhalb von Europa nicht mehr verkäuflich.

Die Zukunft des Automobils und der Weltmärkte werden stark von der Elektromobilität geprägt sein. Emissionsfreie Autos sind der Fortschritt und auch entscheidend für die Zukunft der deutschen Automobilindustrie. Schafft sie diesen Sprung zur Elektromobilität oder wird dieses Feld von Asien und den USA dominiert und Europa hat das Nachsehen?

Die Konsequenz muss sein, dass die Politik den Rahmen zu einer emissionsfreien Mobilität stellt und zum Ende des Verbrennungsmotors.

Dieser Rahmen ist derzeit aber nicht in Sicht.

Die Bundesregierung handelt nach wie vor mit den alten Rezepten. Man schützt die kurzfristigen Interessen der Automobilindustrie und schadet ihr aber langfristig. Da brauchen wir eine neue Politik.

Eine neue Politik - nach den Bundestagswahlen?

Früher wäre besser. Es kommen jeden Tag neue Fahrzeuge auf die Straßen, die die Grenzwerte überschreiten. Jeden Tag gibt es neue Krankheitsfälle. Das müssen wir uns klarmachen. Durch Untätigkeit werden die Probleme nur noch größer. Die Probleme werden jeden Tag durch Untätigkeit vergrößert.

Die Automobilhersteller und die Bundesregierung müssten jetzt dafür sorgen, dass die vorhandenen Fahrzeuge nachgerüstet werden. Das wäre die nötige Konsequenz. In den USA passiert das auch. Da können die Verbraucher entscheiden ob sie ihr Fahrzeug zurückgeben, es nachrüsten und sich entschädigen lassen. Dort  wird dafür gesorgt, dass die Fahrzeuge in Zukunft die Grenzwerte einhalten. In Deutschland fahren aber 20 Millionen Dieselfahrzeuge weiter und die Grenzwerte werden teilweise um ein vielfaches überschritten.

Oliver Krischer ist Energie- und Verkehrsexperte, Mitglied im Abgas-Untersuchungsausschuss und stellvertretender Fraktionsvorsitzende der Grünen Bundestagsfraktion.

Das Interview führte Gero Rueter.

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Gero Rueter Redakteur in der Umweltredaktion