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Alterskriminalität in Deutschland

Christian Ignatzi13. November 2013

In Deutschland leben immer mehr Senioren. Gleichzeitig steigt die Zahl der Straftaten, die sie begehen. Die Polizei will sich in Zukunft besser darauf einstellen. Aber ist das Problem wirklich so groß?

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Senioren diskutieren mit einem Polizeibeamten (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Ein verschämter Blick über die Schulter, eine flüchtige Handbewegung - schon ist die kleine Dose in der Manteltasche verschwunden. Den Kick des Ladendiebstahls suchten früher eher Heranwachsende, oft als Mutproben und aus Langeweile. Doch die Gesellschaft ändert sich und mit ihr auch das Kriminalverhalten der Bevölkerung. Dass die Zahl der Senioren in Deutschland immer weiter wächst, bedeutet auch, dass Probleme in dieser Altersgruppe häufiger werden. "Wir werden in den kommenden Jahren immer mehr ältere Straftäter haben", prophezeit Oliver Malchow, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei.

Die Polizei müsse nun neue Konzepte entwickeln, wie sie mit Straftätern umgeht. "Zunächst einmal müssen wir die Beamten darin schulen, wie sie Senioren gegenübertreten", sagt Malchow. Probleme könne es etwa geben, wenn Demenzkranke gar nicht wissen, dass sie etwas falsch gemacht haben. "Wir brauchen für solche Fälle Sozialarbeiter, die sich um die Probleme kümmern, ähnlich wie im Jugendbereich." Das könne Situationen vermeiden, in denen alte Menschen Straftaten begehen, weil sie überfordert sind. Etwa dann, wenn sie jahrelang ihren Partner gepflegt haben, und am Ende ihrer Kräfte sind. Ein zweiter Schritt sei, Netzwerke aufzubauen, um Ansprechpartner zu finden, die sich um Senioren mit Problemen kümmern. "Viele von ihnen sind einfach nur vereinsamt und wollen durch Diebstähle Aufmerksamkeit erlangen", glaubt der GdP-Vorsitzende.

Jede vierte Straftat fahrlässige Brandstiftung

Die Zahl der über 60 Jahre alten Straftäter steigt bundesweit weiter an. Im vergangenen Jahr registrierte das Bundeskriminalamt mehr als 150.000 Tatverdächtige in dieser Altersgruppe. Zum Teil hänge das mit der demografischen Entwicklung zusammen. "Wenn es mehr alte Menschen gibt, gibt es auch mehr Straftaten in dieser Altersgruppe", erläutert Malchow. Viele seien Ersttäter. Rund jeder zehnte Tatverdächtige über 60 wurde beim Stehlen erwischt. "In Zeiten knapper werdender Renten fragen sich viele Senioren, wie sie finanziell über den Monat kommen. Deshalb stecken sie schneller mal etwas ein", sagt Malchow. Weitaus höher ist aber die Zahl der fahrlässigen Brandstiftungen, rund jede vierte Straftat von Rentnern hat damit zu tun. "Das schließt aber auch die Fälle mit ein, in denen alte Menschen den Herd anlassen oder Heizdecken Feuer fangen", erklärt Malchow.

Eine alte Frau sucht im Müll nach Pfandflaschen (Foto: dpa)
In Deutschland sind immer mehr Menschen von Altersarmut betroffenBild: picture-alliance/dpa

Unabhängig von der Art der Straftat und dem Antrieb, braucht Deutschland inzwischen ein Seniorenstrafrecht, fordert der Vorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter, André Schulz: "Wir müssen die Gesetze an die gesellschaftlichen Veränderungen anpassen", sagt er. Wie das genau aussehen könnte, müsse noch ausgearbeitet werden. Das Strafrecht solle aber nicht nur Senioren bestrafen, sondern auch schützen. "Es müsste Trickbetrüger härter bestrafen, wegen denen sich Senioren, die sich geschämt haben, auch schon umgebracht haben." Zum heutigen Zeitpunkt sei so etwas zwar noch nicht zwingend nötig, "in 20 Jahren werden wir aber viele Probleme bekommen, wenn wir nicht handeln".

Schwere Delikte sind Einzelfälle

So weit will es Frieder Dünkel nicht kommen lassen. Der Kriminologe von der Universität Greifswald hält ein Seniorenstrafrecht derzeit für ebenso unnötig wie eine Debatte über das Thema Alterskriminalität zum jetzigen Zeitpunkt: "Die Kriminalität bei Senioren hat immer noch die bundesweit niedrigste Rate im Vergleich der Altersgruppen", sagt er. Auch Altersarmut sieht er, im Gegensatz zur Gewerkschaft der Polizei, nicht als einen der Faktoren für steigende Alterskriminalität: "Das sind Einzelfälle, das belegen Untersuchungen."

Zwei Rentner bei einem "Spazierstock-Verteidigungskurs" (Foto: dpa)
Zwei Rentner bei einem "Spazierstock-Verteidigungskurs"Bild: picture-alliance/dpa

Ohnehin habe man es bei Senioren meist mit Bagatelldelikten zu tun und weniger mit Fällen schwerer Gewalt. Auch das seien Einzelfälle. Etwa die Diebstahlserie, in der Senioren im Alter zwischen 63 und 74 Jahren seit 1999 mehrere Banken überfallen und dabei über eine Million Euro erbeutet hatten. Schwarze Schafe gebe es überall, besondere Fortbildungen für Seniorenfälle hält Dünkel deswegen für unnötig. "Ich denke nicht, dass Polizisten eine besondere Schulung brauchen", sagt er, "aber sie müssen lernen, die sozialen Probleme anzugehen und alte Leute nicht bloßzustellen". Das komme aber auf die einzelnen Beamten selbst an. Spezielle Kommunikationstechniken lehre die Polizei schon heute während der Ausbildung.