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„Die zusammengekrümmte Frau“

17. März 2012

Von Pfarrerin Marianne Ludwig, Berlin

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Pfarrerin Marianne Ludwig, Berlin Eingestellt am 10.12.2010. Das Bild wurde von dritter Seite zur Verfügung gestellt: Rundfunkarbeit im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) für den Medienbeauftragten des Rates der EKD
Bild: EDK

Meinen Kopf trage ich oben – wo sonst? Das scheint selbstverständlich. Aber unsere deutsche Sprache weiß auch anderes: Da lässt einer den Kopf hängen, trägt seinen Kopf unterm Arm oder zieht ihn ein. Die Bilder signalisieren: da hat einer den Mut verloren, ist total erschöpft oder hat etwas zu befürchten.
Man braucht nur einmal selbst in den Spiegel zu schauen: Wenn sich die Wirbelsäule vollständig aufrichtet, sitzt der Kopf wie eine Krone auf den filigranen Halswirbeln. Unsere Körperhaltung spiegelt Lebenserfahrungen wider: Wer sich duckt und kleinmacht, zieht den Kopf ein und die Schultern nach vorn. Geradezu wie Igel können sich Menschen zusammenrollen und so ihr weiches Herz vor Verletzungen schützen. Wer dann noch seine Stacheln aufrichtet, nimmt innere Vereinsamung in Kauf, weil andere auf Abstand gehen. Unsere deutsche Sprache hat dafür ebenfalls ein Bild: Der Mensch igelt sich ein.
Von solch einer Frau erzählt die Bibel, das große Buch der Menschenkunde. Gebückt und gebeugt lebt sie unter den Menschen in ihrem Dorf und das seit 18 Jahren. Kann man sich vorstellen, dass sie ihren Kopf jemals wieder heben kann?
Am allerwenigsten sie selbst. So schwach und klein, wie sie nach außen erscheint, wird sie auch von sich gedacht haben. Gelten doch Menschen mit einem solchen handicap in biblischen Zeiten als unrein. Und das heißt: diese Frau ist weitgehend ausgeschlossen vom sozialen Leben. Trotzdem muss sie sich einen Rest Hoffnung bewahrt haben. Oder hat sie sich nur aus Neugier in die Synagoge getraut, an jenem Sabbat, als man den Wanderrabbi Jesus dort erwartet?

Vielleicht hat sie geahnt, dass ihr Leben doch noch eine Wende nehmen könnte. In diesen 18 Jahren hat sie gelernt zu warten. Wann ist er endlich da, der eine Augenblick, wo das Leben ruft? Der Augenblick, wo Menschen sich aufrichten und groß werden. Wo Menschen ungeahnte Energien entfalten und der Seele Flügel wachsen. Vorausgesetzt, sie stellen sich nicht blind und taub. Denn in solch einem Augenblick stehen gewohnte Sicherheiten auf dem Spiel und manche hören man gern weg. Diese Frau nicht. Sie lässt sich herausrufen aus ihrem Gefängnis, denn 18 Jahre zusammengekrümmtes Leben sind genug. Was sie hört, heilt ihren Körper und ihre Seele: „Tochter Abrahams“ nennt sie Jesus und der Name Abraham ist in der Bibel Programm. Abraham selbst wagt noch im Greisenalter den entscheidenden Aufbruch in seinem Leben. Großes wird auch den Kindern Abrahams versprochen, denn Gott selbst wird die Niedergebeugten aufrichten (vgl. Lk. 1, 52).

So wunderbar es ist, dass diese Frau Kraft findet und sich aufrichtet: das Wunder wird noch größer. Denn die Geheilte geht nicht einfach glücklich und hoch erhobenen Hauptes nach Hause. Mit ihrem lauter Jubel steckt sie die Umstehenden an. Der Jubel wird immer lauter, bis der Synagogenvorsteher bangt, ob die damalige römische Besatzungsmacht dies als Aufruhr missverstehen könnte. Denn Niedergedrücktheit und Schwäche klingen anders. Leider überliefert die Bibel nicht, welche Worte die Menschen für ihren Jubel gefunden haben. Vielleicht Worte wie die einer jungen Frau namens Maria: „Mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter, denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Grosses hat der Mächtige an mir getan. Mächtige hat er vom Thron gestürzt und Niedrige erhöht. Er hat an uns mit Barmherzigkeit gedacht, wie er es Abraham und seinen Nachkommen versprochen hat.“ (Lk 1, 47)