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Die Wurzeln ethnischer Konflikte

Philipp Sandner6. Juli 2014

Kenias Opposition ruft zu Protesten gegen die Regierung auf. Der Streit um politische Inhalte wird überschattet von ethnischen Hetzkampagnen. Die Konflikte zwischen verschiedenen Volksgruppen reichen weit zurück.

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Kenianer drohen vor einer Straßensperre 2008 mit Macheten (Foto: picture-alliance/AP-Photo).
Ethnisch motivierte Gewalt in Kisumu in Kenia 2008Bild: picture-alliance/AP Photo

Der "Saba Saba Day" - der 7. Juli - ist ein symbolischer Tag in Kenia. Am 07.07.1990 organisierten Regimekritiker einen Massenprotest gegen den damaligen Präsidenten Daniel arap Moi - und ebneten damit den Weg zu den ersten demokratischen Wahlen zwei Jahre später.

Just diesen geschichtsträchtigen Tag hat nun Kenias Opposition - angeführt von Ex-Premierminister Raila Odinga - in diesem Jahr als Ultimatum für die Regierung von Präsident Uhuru Kenyatta gesetzt. Odinga fordert einen "nationalen Dialog" über die brennenden Probleme des Landes - etwa die schlechte Sicherheitslage. Andernfalls droht er mit Konsequenzen, angefangen mit einer Großdemonstration in der Hauptstadt Nairobi.

"Jede Partei hat das Recht, zu einer öffentlichen Versammlung aufzurufen", sagt Koigi wa Wamwere. Der langgediente Politiker und heutige Journalist ist dafür bekannt, dass er Kenias erste Präsidenten offen kritisiert hatte und dafür mehrmals im Gefängnis landete. Nun ist er besorgt über die Wortwahl von Odingas Oppositionsbündnis. "Es ist erstaunlich und befremdlich, wenn sie sagen, der Präsident solle damit rechnen, ohne Wasser rasiert zu werden; es werde einen Tsunami und die direkte Erlösung für alle Kenianer geben", sagt Koigi. Keiner wisse jedoch, wie diese Warnungen zu verstehen seien.

Angst vor neuer Gewalt

Der politische Machtkampf weckt in Kenia böse Erinnerungen. Nachdem Raila Odinga 2007 in umstrittenen Präsidentschaftswahlen gegen Amtsinhaber Mwai Kibaki verlor, gingen die Anhänger beider Kontrahenten aufeinander los, es kam zu ethnischer Gewalt, die mehr als 1200 Menschen das Leben kostete. Viele Kenianer würden damit rechnen, dass es am 7. Juli erneut zu Unruhen komme und entsprechende Vorbereitungen treffen, so Koigi im Gespräch mit der DW. In verschiedenen Orten der westkenianischen Rift Valley Provinz sitzen Anwohner bereits auf gepackten Koffern, nachdem Unbekannte mit Flugblättern ethnischen Hass geschürt hatten. Die Ermittlungen laufen.

Odingas Kampagne stößt bei manchem Kenianer auf Unverständnis. "Diese Großdemonstration hat nichts mit den Interessen der Bürger zu tun", kommentiert Simon Kanyora Kanyos aus Kenias Hauptstadt Nairobi auf der Facebookseite des DW-Kisuaheli-Programms: "Es geht nur um das Machtstreben einiger Anführer." Dabei stellten sich die Fragen, die Odinga aufwerfe, gleichermaßen für Regierung und Opposition, sagt der politische Beobachter Brian Singoro Wanyama von der kenianischen Masinde Muliro Universität. Etwa auch die Frage der nationalen Sicherheit. "Um ein Problem wie dieses auf den Tisch zu bringen, hätte es nicht die Drohkulisse der Saba-Saba-Proteste gebraucht." Allerdings habe die Regierung mit ihrer fehlenden Dialogbereitschaft ebenfalls dazu beigetragen, die Stimmung aufzuheizen.

Kenias Oppositionsführer Raila Odinga (Foto: AFP/Getty Images).
Kenias Ex-Premierminister Raila OdingaBild: Getty Images/AFP

Islamismus oder ethnischer Hass in Mpeketoni?

Die Sicherheitsdebatte war Mitte Juni nach einer Anschlagsserie auf die Küstenstadt Mpeketoni neu hochgekocht: Obwohl die islamistische Al-Shabaab-Miliz sich zu den Anschlägen bekannte, sagte Präsident Kenyatta Tage später, lokale Politiker hätten zu gezielten Angriffen auf seine Volksgruppe der Kikuyu aufgerufen. Dass Kenyatta derart offensichtlich die ethnische Karte spielt, hält Margit Hellwig-Bötte von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) für gefährlich; er könne dadurch historisch bedingte Konflikte neu schüren. "Uhuru Kenyatta hat mit seinen Vorwürfen den Eindruck erweckt, dass nur Kikuyu Opfer von Gewalt sind. Ob sie nun mehrheitlich Opfer dieser Anschläge geworden sind, ist dabei eigentlich völlig unerheblich."

In der Küstenregion reichen die ethnischen Rivalitäten bis in die Zeit nach Kenias Unabhängigkeit in den 1960er Jahren zurück. Damals wies Präsident Jomo Kenyatta - der Vater des heutigen Präsidenten - Kikuyu-Siedlern Land zu, auch in der Gegend um Mpeketoni. "In der Folge kam es zu Konflikten mit den dort ansässigen Volksgruppen, die den Eindruck hatten, man nehme ihnen das Land weg", so Hellwig-Bötte. Auch heute noch fühlten sich diese Volksgruppen systematisch benachteiligt.

Menschenansammlung in Mpeketoni hinter qualmendem Schutthaufen (Foto: Reuters).
Mpeketoni nach einem Anschlag vom 15.06.2014Bild: REUTERS

Nicht Ethnizität, sondern ungleich verteilter Reichtum

Die Landverteilung war auch Thema einer Wahrheitskommission, die den Auftrag hatte, die Gewalt nach den Wahlen vom Dezember 2007 aufzuarbeiten. Laut Hellwig-Bötte kritisierte die Kommission das Siedlungsprogramm von Mpeketoni in ihrem Abschlussbericht von 2013 scharf. Maßnahmen habe die Regierung bislang nicht ergriffen: "Der Bericht schläft tief und fest in den Schubladen von Regierung und Parlament."

Margit Hellwig-Bötte (Foto: picture-alliance/dpa).
Margit Hellwig-BötteBild: picture-alliance/dpa

Der kenianische Historiker Tom Odhiambo hingegen sieht Bemühungen seitens der Regierung, historisches Unrecht aufzuarbeiten. So habe Präsident Kenyatta in den vergangenen Monaten guten Willen gezeigt, indem er Menschen, die seit Generationen in der Gegend ansässig sind, unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft Urkunden über ihren Landbesitz aushändigte. Keine Gewissheit zu haben, dass einem das eigene Land sicher sei - das ist für Odhiambo "die größte Ungerechtigkeit auf Erden". Es gehe in dieser Frage grundsätzlich nicht um Ethnizität, sondern um ungerechte Verteilung von Reichtum. "Menschen werden nicht als Tribalisten geboren", so Odhiambo. "Tribalismus ist etwas, das man sich aneignet, wenn man erwachsen ist."

Nun hoffen Menschen in der Region, dass die ethnischen Spannungen am "Saba Saba Day" nicht ausufern. Friedenswünsche sendeten auf der DW-Facebook-Seite auch Menschen aus Tansania und der Demokratischen Republik Kongo. Unter mehr als 200 Kommentaren gibt es auch hoffnungsvolle Stimmen wie die von George Opiyo Otieno aus Nairobi: "Kein einziger Kenianer ist bereit, Gewalt zu schüren", schreibt er. "Es wird am Montag friedlich zugehen."