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Interview

Das Interview führte Danuta Szarek27. September 2006

Beim Frankfurter Kinderfilmfestival LUCAS ist auch Ali Benkiranes marokkanische Produktion "Amal" zu sehen. Im DW-WORLD-Interview spricht der Regisseur über Kinderfilme und Kinderträume.

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Porträtbild eines marokkanischen Mädchens, Hauptfigur des Films "Amal"
"Amal" ist die Hauptfigur des gleichnamigen Kurzfilms von Ali Benkirane

DW-WORLD: In Ihrem Film geht es um ein kleines marokkanisches Mädchen, das Ärztin werden möchte. Eines Tages darf es aber nicht mehr zur Schule gehen, weil die Eltern es im Haushalt brauchen - und die Ausbildung ihres Kindes nicht für wichtig halten. Ist das nicht ein sehr bedrückendes Ende für einen Kinderfilm?

Benkirane: Es ist ein realistisches Ende! Ich wollte damit aufzeigen, wie in manchen Gegenden von Marokko jungen Leuten die Chance genommen wird, etwas aus sich zu machen. Der Analphabetismus auf dem Land ist in Marokko sehr groß - obwohl es eine Schulpflicht gibt. Aber sie ist lange Zeit nicht konsequent durchgesetzt worden. Außerdem ist das Schulsystem voller Korruption und Lügen: Die Kinder in meinem Film müssen ihren Lehrern Brote zum Unterricht mitbringen, sonst gibt es Ärger - auch das ist realistisch. Erst, seitdem der neue marokkanische König an der Macht ist, gibt es Programme zur Verbesserung der Ausbildungssituation.

Wie sind Sie darauf gekommen, die Bildungsproblematik mit einem Kinderfilm zu thematisieren?

Ich bin für einen früheren Dokumentarfilm drei Monate lang durch Vietnam gereist und habe Waisenhäuser besucht. Auch dort ist die Ausbildung der Kinder ein gravierendes Problem. Mit "Amal" habe ich es auf mein eigenes Land übertragen. Es ist ein Kinderfilm geworden, weil ich mich der Kinderwelt sehr verbunden fühle. Sie ist ein Teil von mir - vor allem, seitdem ich selbst ein kleines Kind habe. Man sieht die Welt dann auf einmal mit ganz anderen Augen, entwickelt neue Themen - zum Beispiel die Zukunftsaussichten der jungen Menschen. Ich liebe mein Land, und ich will, dass sich die Lage dort ändert. Zum Wohl der Kinder.

Haben Sie selbst Erfahrungen mit der Chancenlosigkeit in Marokko gemacht?

Nein, ich selbst komme aus der Stadt und zum Glück aus einem anderen sozialen Milieu. Ich habe im Vorfeld des Films aber mit vielen Leuten gesprochen, die selbst nie zur Schule gegangen, sondern früh in handwerkliche Berufe eingestiegen sind. Heutzutage bemühen sich Familien oft, wenigstens jedes zweite ihrer Kinder zur Schule zu schicken. Aber immer noch werden so viele Kindern daran gehindert, ihre Hoffnungen und Träume zu verwirklichen. Das ist so, als würde man sie töten. Ich möchte deshalb mit meinem Film zeigen: Wenn du nicht in die Zukunft der Kinder investierst, werden sie scheitern, scheitern, scheitern!


Die jungen Zuschauer im Kinosaal haben sehr still und konzentriert die Geschichte von "Amal" verfolgt. Was, glauben Sie, geht in ihnen vor, wenn sie die Bilder aus Marokko sehen? Verstehen sie, um welche Probleme es in dem Film geht?

Meine Filme sind immer so ausgelegt, dass es neben einem unterhaltenden, visuellen Teil auch einen tiefgründigeren gibt. Ich glaube schon, dass die Kinder auch letzteren wahrnehmen. Das hat man ja daran gemerkt, dass sie mich nach dem Film gefragt haben, ob Amal schließlich vielleicht doch weiter zur Schule gegangen ist. Ein anderes Kind wollte wissen, warum es Länder gibt, in denen die Kinder nicht zur Schule gehen, während das in Deutschland ganz normal ist. Sie scheinen über das Thema wirklich ins Grübeln zu kommen, und das ist wichtig.

Sie sind im Rahmen des Kinderfilmfestivals das erste Mal zu Besuch in Deutschland. Wie verschieden erleben Sie die Kinder hier in Westeuropa im Vergleich zu den Kindern aus Marokko?

Grundsätzlich denke ich, Kinder sind Kinder - es sind die Erwachsenen, die unterschiedlich sind. Natürlich sind aber die Kinder hier in Deutschland viel besser durch den Staat geschützt als in Marokko, und das Bildungsniveau ist wesentlich höher. Aber dass Kinder Hoffnungen haben, träumen wollen, das ist in jedem Land gleich.

Wie ist ihr Film denn bei den Zuschauern im eigenen Land angekommen?

Er wurde in einem Theater gezeigt, und leider gab es danach keine Gelegenheit, mit den Zuschauern ins Gespräch zu kommen. Wenn es darum geht, die Lage der Kinder einzuschätzen, haben Leute in Marokko natürlich meistens keine Vergleichsmöglichkeiten - sie wissen nicht, welche Chancen Kinder in Westeuropa haben. Und sie nehmen nicht wahr, wie gravierend die Probleme in Marokko sind.

Mit welchen Themen und Inhalten kann man Kinder im Zeitalter von Computerspielen und Kino-Actionspektakeln überhaupt noch für echte Kinderfilme begeistern?

Kinder interessieren sich für emotionale, menschliche Themen. Sie wollen einerseits schöne Bilder sehen und unterhalten werden, aber gleichzeitig auch ernst genommen werden. Deshalb müssen Regisseure von Kinderfilmen auch das Filmemachen ernst nehmen. Es ist zum Beispiel wichtig, dass die Perspektive - auch in technischer Hinsicht - die der Kinder ist: Der Kameramann musste beim Drehen immer in die Knie gehen, um auf Augenhöhe mit ihnen zu sein.

"Amal" ist nun schon Ihre zweite Produktion für Kinder. Wollen Sie in Zukunft weiterhin Kinderfilme machen?

Ja, ich habe schon ein neues Projekt in Arbeit. Es ist grundsätzlich leider nicht einfach, als Kinderfilmregisseur zu arbeiten, man muss schon ein bisschen Masochist sein (lacht) - denn es fehlt einfach dauernd an Geld, und nicht immer wird man ernst genommen. Aber ich interessiere mich sehr für die Welt der Kinder, und ich bin auch einfach ein Fan von guten Filmen - deshalb werde ich weitermachen.


Ali Benkirane, Jahrgang 1975, ist in Casablanca aufgewachsen und studierte in Paris Regie. Nach seinem Studium hat er Werbefilme und Dokumentationen gedreht. Der Kurzfilm "Amal" ist sein erster fiktionaler Film.