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Die Wall Street lässt Donald Trump fallen

Sabrina Kessler New York
29. Oktober 2020

Die Gunst der Investoren galt lange den Republikanern. US-Präsident Donald Trump hat diesen Bonus verspielt - zu Gunsten Joe Bidens. Das spiegelt sich auch in den finanziellen Zuwendungen wider.

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USA New York Börse NYSE
Bild: Getty Images/AFP/J. Eisele

Lange kannte die Wall Street nur zwei Sorgen im Hinblick auf die anstehende Präsidentschaftswahl in den USA. Die einen fürchteten eine chaotische Machtübergabe, sollte US-Präsident Donald Trump die anstehende Wahl verlieren und das Ergebnis anfechten. Den anderen graute es vor einem Sieg der Demokraten, die mit ihrer strengen Wirtschaftspolitik die Kursgewinne amerikanischer Aktien in Gefahr bringen könnten.

Das einzig wünschenswerte Szenario der Wall Street, so schien es lange, sei eine Wiederwahl Trumps. Seine Erfolgsbilanz an den Märkten kann sich schließlich durchaus sehen lassen. So stieg der S&P500, Amerikas größter und wichtigster Leitindex, seit seinem Amtsantritt um 50 Prozent - und das trotz Pandemie. Auch Dow Jones und Nasdaq feierten stetig neue Rekorde.

Die amerikanische Wirtschaft hingegen ächzt noch immer unter den Folgen der Krise. Weder hat Trump das Corona-Virus im Griff, noch ist ein zweites Konjunkturpaket in Aussicht. Nicht nur die Wähler scheinen sich deshalb immer stärker abzuwenden, das zeigen Umfragen. Auch Amerikas Investoren geben Trump längst keine Rückendeckung mehr.

Symbolbild -USA- Wirtschaft - Anstieg Dow Jones
Lange ging es an der Wall Street aufwärts - auch in Corona-ZeitenBild: Getty Images/AFP/B. Smith

Sinneswandel bei den Anlegern

"Die Märkte wetten aktuell nicht nur auf Biden, sie hoffen sogar auf einen Sieg der Demokraten", sagt Nigel Green, Gründer und Chef der Finanzberatung deVere Group. Für die ansonsten eher konservative Wall Street ein durchaus ungewöhnlicher Sinneswandel. Biden verspreche zwar milliardenschwere Investitionen in die amerikanische Wirtschaft, poche aber gleichzeitig auf höhere Steuern und mehr Regulierung. "Normalerweise bedeutet ein Sieg der Demokraten negative Folgen für die Märkte, aber normal ist in diesen Tagen sowieso nichts ", sagt Green.

Stabilität und Sicherheit sei das, was die Investoren jetzt bräuchten, sagt Chris Myers, Vorsitzender der Finanzberatung Signum Global Advisors. "Die Leute sind einfach ausgelaugt", sagt der Finanzmann dem Radiosender NPR. Die Aktienmärkte mögen zwar neue Rekordhöhen erreicht haben, aber der Wall Street sei Trumps Führungsstil sauer aufgestoßen. "Es ist hart, mittel- bis langfristige Entscheidungen zu Kapitalallokationen zu treffen, wenn man nicht weiß, was das Weiße Haus als nächstes entscheiden wird."

Es ist vor allem die 'Blue Wave', die blaue Welle, die sich Investoren herbeisehnen. Bei diesem Szenario würden die Demokraten nicht nur den neuen Präsidenten stellen, sondern auch den Senat zurück erobern. Damit wäre der gesamte Kongress und auch das Weiße Haus in demokratischer Hand. Wirtschaftspolitische Entscheidungen, etwa die Absegnung eines milliardenschweren zweiten Konjunkturprogramms, würden so beschleunigt.

Weniger Streit mit China

Für eine nachhaltige Erholung der Wirtschaft, so Green, seien Investoren inzwischen sogar bereit, Steuererhöhungen und deutlich stärkere Regulierung in Kauf zu nehmen. Eine zuverlässigere Politik und eine Abkühlung des Handelsstreits mit China könnten die Belastungen sogar ausgleichen. Zudem dürfte Bidens Infrastrukturpaket und insgesamt höhere Staatsausgaben dafür sorgen, dass die Wirtschaft und damit die Unternehmensergebnisse vieler Firmen wieder anziehen. Das allein könnte sich langfristig in höheren Aktienkursen niederschlagen.

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Trump oder Biden: Für die Börsianer bleiben die Zeiten anspruchsvollBild: picture-alliance/dpa/newscom/UPI Photo/J. Angelillo

Tatsächlich halten Experten der Deutschen Bank den Sieg der Demokraten für den wahrscheinlichsten Wahlausgang. Investments in zyklische Aktien, also Werte, die von einem wirtschaftlichen Aufschwung profitieren, legen deshalb an der Wall Street aktuell zu. Während Technologie-Titel und Anleihen weiter an Fahrt verlieren, steigt das Interesse an Branchen wie Erneuerbare Energien, an Baustoffen und Industriewerten deutlich. All jene Sektoren dürften unter einem Präsidenten Biden profitieren, der höhere Umweltstandards und massive Investitionen in die amerikanische Infrastruktur verspricht.

Finanz-Elite spendet für Biden

Um Biden dabei zu unterstützen, ist die Wall Street um keinen Cent verlegen. Selten waren die Wahlkampfspenden der Finanz-Elite so hoch wie in diesem Jahr. Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt griffen Banken, Investmentfirmen und Co. für die Demokraten tiefer in die Tasche als für die republikanische Konkurrenz. Das ist allein deshalb schon beachtlich, weil die Finanzbranche unter allen Sekotren als größter Finanzier politischer Kampagnen gilt. 

265 Millionen Dollar spendeten die Finanzunternehmen nach Angaben des Center for Responsive Politics (CRP) seit Jahresbeginn an die Demokraten - und damit fast 100 Millionen mehr als an die Republikaner. "Normalerweise gilt der Finanzsektor als zuverlässige Geldquelle der Republikanischen Partei", sagt Sarah Bryner, Direktorin für Forschung und Strategie am Center for Responsive Politics. "In diesem Zyklus aber hat sich der Trend umgekehrt." 

Es mag auch an Joe Biden persönlich liegen, dass die Demokraten aktuell so viel Zuspruch aus dem Finanzsektor erfahren. Von den Anfängen seiner politischen Karrieren bis ins Jahr 2009 vertrat der heute 77-Jährige die Interessen des Bundesstaates Delaware - bekannt für eine unternehmensfreundliche Steuerpolitik - im Senat. Als Lobbyist für Finanzhäuser und Kreditkartenfirmen macht er sich damals einen Namen. "In Delaware sind viele große Wall Street-Unternehmen ansässig, zu denen Biden Beziehungen pflegt und die ihm vertrauen", sagt Forschungsdirektorin Bryner. Ausgerechnet Trump verpasste seinem demokratischen Herausforderer deshalb den Spitznamen "Quid pro Joe". Biden sei eben ein Meister im Geben und Nehmen ("quid pro quo"). Die Banken werden sich angesichts ihrer millionenschweren Wahlkampfspenden in Zukunft Gegenleistungen von Biden erhoffen, sollte er es am Ende ins Weiße Haus schaffen.