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Wächterin des Erbes

Linda Vierecke30. November 2007

Gräfin Marion Dönhoff lebte 35 Jahre in Ostpreußen, bevor sie vor der Roten Armee fliehen musste. Nun hat ihr eine deutsche Journalistin in ihrer alten Heimat ein lebendiges Denkmal gesetzt.

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Schild in Winterlandschaft mit der Aufschrift "Salon Marion Dönhoff 100m". (Foto: DW/ L.Vierecke)
Im kleinen Ort Galkowo in Masuren liegt der Salon Marion DönhoffBild: DW

Es gibt viele Gründe, warum Renate Marsch-Potocka die Gräfin Marion Dönhoff bewundert. "Ich mochte vor allem, dass sie in ihren Texten nicht so viel geschwafelt hat, sondern es schaffte, auf den Punkt zu kommen." Da spricht die Nachrichtenjournalistin aus ihr. Renate Marsch-Potocka war über 30 Jahre als Korrespondentin der Deutschen Presseagentur in Warschau tätig. Sie schrieb über Polen, als 1968 Unruhen gegen den kommunistischen Staat ausbrachen, sie hat 1981 die Verhängung des Kriegsrechts miterlebt, und sie hat 1989 über den Zusammenbruch des Kommunismus in Polen berichtet. Sie hat sich aktiv für die deutsch-polnischen Beziehungen eingesetzt. Das ist nur eine Parallele zwischen ihr und der Gräfin Dönhoff.

Auf den Spuren der Gräfin Dönhoff

Renate Marsch-Potocka auf der Couch im Salon Marion Dönhoff. (Foto: DW/L.Vierecke)
Renate Marsch-Potocka auf der Couch im Salon Marion DönhoffBild: DW

Als sie pensioniert wurde, wollte Renate Marsch-Potocka weg vom Trubel der Großstadt und ließ sich in Masuren nieder. Hier traf die Journalistin immer wieder auf die Spuren der Gräfin - 35 Jahre hatte Marion Dönhoff im früheren Ostpreußen gelebt, bevor sie 1945 vor der Roten Armee fliehen musste. "Ich habe sie immer bewundert - als Journalistin und als Mensch. Und ich wollte gern hier, in dieser Landschaft, die sie so geliebt hat, an sie erinnern."

Als ihr Sohn Alexander Potocki ein altes Gutshaus in dem kleinen Ort Galkowo wieder aufbaute, wusste sie sofort: Das ist der richtige Ort. Auf dem dunklen Parkett stehen schwere Holztische, an den Seiten Holzbalken, die als Bücherregale dienen. "Wir haben alle Bücher der Gräfin hier, auf Deutsch und auf Polnisch, wenn es eine Übersetzung gibt." Einen alten Schreibtisch hat sie aus dem Haus ihres Cousins geholt. Wo sie in ihren alten Tagen schrieb, liegt heute das Gästebuch, das sich langsam füllt. Mit Einträgen von Gästen aus Deutschland und Polen.

Ein lebendiges Denkmal

Schreibtisch mit Gästebuch darauf. (Foto: DW/L.Vierecke)
Das Gästebuch füllt sich mit Einträgen von Deutschen und PolenBild: DW

Kein Denkmal aus Stahl hat Gräfin Marion Dönhoff bekommen und auch kein Museum. "Diese Frau war einfach viel zu lebendig, zu ihr hätte ein Museum einfach nicht gepasst", sagt auch Alexander Potocki, Renate Marsch-Potockas Sohn. Der junge Mann kennt die Gräfin noch von seiner Abiturfeier, auf der sie, wie jedes Jahr, eine Rede für die Abiturienten hielt. Das Lizeum in Mikołajki ist seit 1991 nach ihr benannt.

Ein schummriger Raum, an den Wänden Bilder der Gräfin Dönhoff. (Foto: DW/L.Vierecke)
Bilder aus Dönhoffs erstem lebenBild: DW

Der Salon soll mit Büchern und Bildern an sie erinnern. Er soll Lesestube sein für interessierte Gäste - und Begegnungsstätte. Marion Dönhoffs Redaktionsbüro bei der "Zeit" war einst bezeichnet worden als "Salon des deutschen-polnischen und ostpolitischen Dialogs". Etwas Vergleichbares will Renate Marsch-Potocka auch in Galkowo schaffen.

Ihr "erstes Leben"

"Wir haben uns hier auf ihr erstes Leben konzentriert“, wiederholt Marsch-Potocka eine Beschreibung, die die Gräfin einst selbst nutzte, wenn sie über ihre Lebensjahre in Ostpreußen redete. 35 Jahre lang lebte Marion Dönhoff auf Schloss Friedrichstein in Ostpreußen, das heute ein Teil Russlands ist, verbracht. Renate Marsch-Potocka spricht oft von ihrem "zweiten Leben in Polen". Sie war 29, als sie Korrespondentin in Warschau wurde.

Marion Dönhoffs Familie gehörte zu den großen Adelsfamilien in Ostpreußen. Eine Familie zwischen Preußen und Polen, die über 700 Jahre in Ostpreußen verwurzelt war.

Marion Gräfin Dönhoff
Marion Gräfin Dönhoff mit 90 JahrenBild: AP

In ihrem zweiten Leben wurde Marion Dönhoff Journalistin bei der Wochenzeitung "Die Zeit". Sie leitete die Politikredaktion und wurde später Mit-Herausgeberin. Gemeinsam mit Willy Brandt hat sie sich für eine aktive Ostpolitik eingesetzt, auch wenn die Unterzeichnung des Warschauer Vertrages über die Anerkennung der Oder-Neiße Grenze 1970 den endgültigen Verlust ihrer geliebten Heimat bedeutete. Die Polen kennen und verehren Marion Dönhoff. Als sie im Jahr 2002 starb, titelte eine polnische Tageszeitung "Marion Dönhoff nie żyje - Marion Dönhoff lebt nicht mehr".

"Zu lieben ohne zu besitzen"

Sie konnte das Thema Vertreibung aussprechen, ohne revisionistisch zu wirken. Sie hat ihre Heimat Ostpreußen immer geliebt, bis zu ihrem Tode. Aber sie hat nie zurück gefordert und damit wahrscheinlich den einzigen Weg gezeigt, wie die Deutschen vernünftig mit dem Thema Vertreibung umgehen können. Einst schrieb sie: "Vielleicht ist dies der höchste Grad der Liebe: zu lieben, ohne zu besitzen." Renate Marsch-Potocka liebt dieses Zitat. Ein bisschen sei das ja auch wie bei ihr. "Ich lebe hier und ich liebe dieses Land, aber eben ohne es zu besitzen."