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Die Baustellen des FC Bayern

15. April 2023

Nächster Rückschlag für den erfolgsverwöhnten Rekordmeister FC Bayern München. Dem Team des neuen Trainers Thomas Tuchel drohen innerhalb kurzer Zeit die Saisonziele zu entgleiten. Es kriselt an allen Ecken und Enden.

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Bayern Münchens Trainer Thomas Tuchel beobachtet beim Spiel gegen Hoffenheim mit verschränkten Armen
Beim FC Bayern gibt es einige Probleme - kann der neue Trainer Thomas Tuchel sie lösen?Bild: Matthias Schrader/AP/picture alliance

"Wir haben die große Möglichkeit, deutscher Meister zu werden." Viel mehr fiel Oliver Kahn nach der deutlichen 0:3-Niederlage im Viertelfinalhinspiel der Champions League bei Manchester City nicht mehr ein. Wenn ein Vorstandschef des FC Bayern schon den Pflichttitel als Ziel nennen muss, wird deutlich, dass die Münchener in einer veritablen Krise stecken. Die Saisonziele scheinen dem erfolgreichsten deutschen Fußball-Klub förmlich durch die Finger zu gleiten: Nach dem überraschenden K.o. im DFB-Pokal gegen den SC Freiburg stehen die Bayern auch in der Champions League nach der Pleite in Manchester vor dem Aus. Die beiden Niederlagen innerhalb einer Woche offenbarten die großen Baustellen der Mannschaft.

Unsicherer Torwart

Es fängt im Tor an. Yann Sommer, für acht Millionen Euro als Ersatz für den langzeitverletzten Manuel Neuer von Borussia Mönchengladbach losgeeist, ist ein solider, aber kein überragender Torwart, der einer Hintermannschaft ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. "Ich hätte gedacht, als er kam, er packt das. Ich muss mich heute revidieren. Er hat es nicht geschafft", sagte der frühere Nationalspieler und heutige "Sky"-Experte Dietmar Hamann, nachdem Sommer in Manchester dreimal hatte hinter sich greifen müssen und zuvor mit einem Dribbling im eigenen Strafraum gegen City-Torjäger Erling Haaland das eigene Tor in Gefahr gebracht hatte.

Bayern Münchens Torhüter Yann Sommer streckt sich im Spiel bei Manchester City vergeblich nach dem Ball
Diskussion nach dem City-Spiel: Hätte Manuel Neuer, der zehn Zentimeter größer ist als Yann Sommer, den Ball gehalten?Bild: Tom Weller/dpa/picture alliance

"Du hast einen Torwart drin, der nach 20 Minuten sich fast schon wieder den Ball selber reinschießt. Da fängst du das Zittern an. Du denkst: Können wir den noch anspielen?" Das Bundesligaspiel gegen Hoffenheim lieferte den nächsten Grund für Diskussionen. Der Freistoßtreffer der Hoffenheimer durch Andrej Kramaric schien durchaus haltbar. Ein Torhüter mit etwas mehr Körpergröße und längeren Armen, hätte den Ball wohl gehabt. 

"Ich dachte, wir wären vorbereitet, würden mit Wut im Bauch spielen. Das war nicht der Fall, das war schlecht. Zu langsam, zu emotionslos, nicht verbissen", sagte Bayerns neuer Trainer Thomas Tuchel nach dem Spiel beim TV-Sender Sport1. "Uns fehlt der Sinn dafür, dass es brennt. Wir brauchen schnell einen anderen Spirit."

Verunsicherte Abwehr, Mittelfeld mit schwankender Form

Die Bayern-Abwehr wirkt in der Tat verunsichert, wenn sie unter Druck gerät. Der haarsträubende Fehler des französischen Nationalverteidigers Dayot Upamecano vor dem 0:2 gegen City spricht Bände. Auch das Mittelfeld der Münchener, das doch eigentlich nur so vor Fußball-Talent und Kreativität strotzt, tut sich schwer.

Die Nationalspieler Leon Goretzka, Serge Gnabry, Leroy Sané, Joshua Kimmich und Thomas Müller suchen seit der verpatzten WM in Katar nach konstant guter Form. Müller musste in Manchester zunächst sogar auf der Ersatzbank Platz nehmen und schlüpfte in die Rolle eines Co-Trainers, der von Thomas Tuchel nach seiner Meinung gefragt wurde, als Abwehrchef Matthijs de Ligt behandelt werden musste und nicht klar war, ob er weiterspielen konnte.

Sturm ohne Top-Torjäger

Auch im Sturm hat der FC Bayern nach dem Abgang des zweimaligen Weltfußballers Robert Lewandowski zum FC Barcelona deutlich an Durchschlagskraft verloren. Der vom FC Liverpool verpflichtete Senegalese Sadio Mané konnte die Lücke bislang nicht füllen, ist aber auch kein typischer Torjäger.

Jamal Musiala schießt im Spiel gegen Union Berlin den Ball Richtung Tor.
Jamal Musiala (l.) ist bislang der erfolgreichste Bundesliga-Torschütze der Bayern in dieser SaisonBild: Alexander Hassenstein/Getty Images

Dieses Attribut trifft eher auf Eric Maxim Choupo-Moting zu. Doch der 34 Jahre alte Kameruner ist verletzungsanfällig - und mit Weltklassestürmern wie Haaland oder Karim Benzema von Real Madrid kann er nicht verglichen werden.

In der aktuellen Torjägerliste der Bundesliga, die Lewandowski bis zu seinem Abschied aus München fünfmal in Serie dominierte hatte, taucht der erste Bayern-Profi auf Position sechs auf: Jamal Musiala mit elf Treffern. Doch auch der Jungstar der Bayern muss in dieser Saison mit seinen erst 20 Jahren Lehrgeld zahlen. So verschuldete Musiala im DFB-Pokal-Viertelfinale mit einem eher plumpen Handspiel in der Nachspielzeit den Elfmeter, der Freiburg den Sieg bescherte.

Nicht aufgearbeiteter Trainerwechsel

Möglicherweise braucht die Mannschaft auch einfach noch Zeit, um sich auf Thomas Tuchel einzustellen. Der neue Trainer, der 2021 mit dem FC Chelsea die Champions League gewann, war für Julian Nagelsmann geholt worden - als der Klub noch auf allen drei Hochzeiten tanzte: Platz zwei knapp hinter Borussia Dortmund in der Bundesliga, im Viertelfinale von DFB-Pokal und europäischer Eliteklasse.

Vorstandschef Kahn und Sportvorstand Salihamidzic mit Trainer Tuchel bei dessen Präsentation als neuer Bayern-Coach.
Vorstandschef Kahn (l.) und Sportvorstand Salihamidzic (r.) feuerten Nagelsmann und holten Tuchel (2.v.r.)Bild: Marcel Engelbrecht/picture alliance/dpa

"Die Idee war klar, die neue Bayern-Führung wollte das Triple. Sie waren nicht zufrieden mit der Entwicklung der Mannschaft unter Nagelsmann, und auf einmal war mit Tuchel ein erfahrener Trainer auf dem Markt", sagte die frühere Bayern-Ikone Bastian Schweinsteiger im WDR. "Der Tausch war mutig. Und manchmal wird Mut auch nicht belohnt, zumindest noch nicht." Der Trainerwechsel scheint innerhalb der Mannschaft noch nicht aufgearbeitet zu sein. "Die Geschichte war für uns Spieler natürlich besonders", sagte Thomas Müller. "Der Verein hat entschieden."

Teamgeist mit Schrammen

Der Eklat zwischen den Offensivspielern Mané und Sané offenbart, dass es auch um den Teamgeist der Bayern aktuell nicht zum Besten bestellt ist. Nachdem sie sich in Manchester auf dem Platz gegenseitig angegiftet hatten, soll es in der Kabine zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung gekommen sein. Wie so oft in letzter Zeit, dauerte es nicht lange, bis der Vorfall auch in der Öffentlichkeit bekannt wurde. Mané habe Sané ins Gesicht geschlagen, berichteten deutsche Medien.

"Es wäre schön, wenn etwas, das in der Kabine passiert, auch mal in der Kabine bleibt", sagte Tuchel bei der Pressekonferenz vor dem Bundesligaspiel gegen die TSG Hoffenheim. Schon sein Vorgänger Nagelsmann hatte sich vehement darüber beschwert, dass Interna aus Teambesprechungen an die Öffentlichkeit gelangt waren. Im Fall Mané reagierte der Verein und suspendierte den Senegalesen für das Hoffenheim-Spiel. Außerdem muss Mané eine Geldstrafe zahlen, über deren Höhe sich der FC Bayern ausschwieg.

Um alle Baustellen zu bearbeiten, benötigt Trainer Tuchel Zeit. Zeit, die er eigentlich nicht hat, weil die Saison auf die Zielgerade einbiegt.

Der Text wurde nach dem Bundesligaspiel des FC Bayern gegen die TSG Hoffenheim aktualisiert.

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter