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Tage von Occupy sind gezählt

Arne Lichtenberg7. August 2012

Ratten, Alkohol und Schulden: Das Occupy-Camp in Frankfurt ist Geschichte. Hygienische Probleme überlagerten seit Wochen den Kapitalismusprotest. Jetzt wurde das Camp geräumt. Ist Occupy damit am Ende?

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Mitarbeiter der FES räumen am Mittwoch (16.05.2012) nach der Räumung des Occupy-Camps vor der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main einen Weg frei. Ein Teil der Campbewohner hatte sich der Räumung widersetzt und die anrückende Polizei mit Farbe attackiert. Das Camp liegt in der Sicherheitszone um die EZB und musste wegen befürchteter Ausschreitungen bei den "Blockupy-Aktionstagen" vorübergehend geräumt werden. Foto: Arne Dedert dpa/lhe +++(c) dpa - Bildfunk
Blockupy Protest Frankfurt am Main Occupy BewegungBild: picture-alliance/dpa

Zuerst kamen die Ratten, dann kamen die Obdachlosen. Die Occupy-Zeltstadt von Frankfurt am Main war sicher nicht dafür gedacht, gesellschaftlich Gestrandeten ohne politische Ambitionen eine Heimat zu geben. Doch das ist dem Camp im Bankenviertel jetzt zum Verhängnis geworden. Die Stadtverwaltung hielt die hygienischen Verhältnisse nicht mehr für akzeptabel. Müll und Ratten sowie soziale und Suchtprobleme hatten den kapitalismuskritischen Protest im Camp längst in den Hintergrund gedrängt. Dazu kommen Schulden der Bewegung für Strom, Wasser und Müllentsorgung in Höhe von mehr als 10.000 Euro, wie es bei der Stadt Frankfurt heißt.

"Es gibt Ratten in Frankfurt und es gab auch Ratten im Frankfurter Occupy-Camp", bestätigt Occupy-Aktivist Erik Buhn im Gespräch mit der Deutschen Welle die Aussagen der Medien und Behörden. "Es waren aber nicht sonderlich viele. Und ja, nach und nach haben auch ein paar Obdachlose ihre Zelte bei uns aufgeschlagen", sagt der Aktivist. Dies liege aber auch darin begründet, dass Frankfurt ein verdrängtes Obdachlosenproblem habe.

Erik Buhn, Occupy-Aktivist in Frankfurt am Main (Foto: privat)
Erik Buhn: "Ja, wir haben Fehler gemacht"Bild: privat

Keine Präsenz mehr in den Medien

Nach gut neun Monaten sind die Tage des Occupy-Camps vor der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt also endgültig gezählt. Groß war das Aufsehen im Herbst 2011 gewesen, als sich die Protestler in ihren Zelten vor der EZB niederließen. Zeitungen, Fernsehen und Radio berichteten ausführlich über die Aktivisten aus der Zeltstadt in der Bankenmetropole. Heute spielt das Thema in der Presse hingegen nur noch eine untergeordnete Rolle. So seien die Mechanismen der Medien halt, sagt der Soziologe Michael Hartmann. Die würden sich auf alles Neue stürzen, später werde es nur noch wenig beachtet. Aber Hartmann gibt zu bedenken, dass "der Anteil der Aktiven der Bewegung auch zurückgegangen ist."

Ein Demonstrant mit einer Guy Fawkes-Maske steht Frankfurt am Main bei einer Kundgebung der Occupy Frankfurt-Bewegung (Foto: dpa)
Die Guy Fawkes-Maske wurde zum weltweiten Symbol der BewegungBild: picture-alliance/dpa

Viele der Aktivisten seien mittlerweile zu den Piraten abgewandert, vermutet Dieter Rucht, Protestforscher und Soziologe aus Berlin. Rucht prophezeit der Occupy-Bewegung ein baldiges Ende. "Die Aktivisten waren sehr mit sich selbst beschäftigt, haben sich keine Struktur gegeben und wollten erst einmal kommunizieren lernen". Das seien keine guten Vorraussetzungen, um eine längerfristige Kampagne durchzuhalten. Auch wenn es jetzt ein paar Proteste gegen die Räumung geben wird, sagt Rucht, werde das den Niedergang dieser Bewegung kaum aufhalten. Es sei aber nicht so, dass die Bewegung umsonst gewesen sein. "Denn es gibt da natürlich Leute, die durch Occupy politisch sozialisiert wurden und durchaus in anderen Organisationen politisch aktiv werden."

Kaum politische Ergebnisse

Auch wenn der Zulauf in anderen Ländern wie den USA oder Spanien größer war, hätten auch in diesen Ländern die Camps nicht ewig überdauert, so der Protestforscher Rucht. Vor allem von der Bewegung in Spanien hätte Soziologe Michael Hartmann mehr erwartet. "Auch in Spanien hat die Bewegung keine politischen Erfolge erzielt". Das würde sich ja auch in den Ergebnissen der letzten Wahlen dort zeigen.

Die Zeltstadt der Occupy-Bewegung vor der Europäischen Zentralbank (Foto: Xinghua)
Die Zeltstadt der Occupy-Bewegung vor der Europäischen ZentralbankBild: picture alliance / landov

Für Aktivist Buhn gibt es einen entscheidenden Grund für das schwindende Interesse an der Occupy-Bewegung: Deutschland gehe es wirtschaftlich "zu gut". "Wir leben hier schon irgendwie auf der Insel der Glückseligen." Er begründet den fehlenden durchschlagenden Erfolg der Bewegung aber auch mit der im Vergleich zu Spanien oder Frankreich nicht so ausgeprägten Protestkultur in Deutschland.

Zeit für Selbstkritik

Erik Buhn zeigt sich aber auch selbstkritisch. "Größtenteils sind wir Amateure in diesem politischen Geschäft und müssen uns da erst zurechtfinden." Bei vielen tollen Ideen hätten am Ende die nötigen Teilnehmer gefehlt, um die Sachen ordentlich umzusetzen. Besonders über die Gesprächskultur bei Occupy ärgert sich Buhn. "Sobald sich eine kleine Gruppe gebildet hat, ist sie nicht mehr so offen für neue Mitglieder." Hier sei man zu sehr und schnell ins deutsche Vereinswesen abgeglitten.

Nach unbestätigten Angaben zufolge lebten zuletzt nur noch bis zu 15 politische Aktivisten in dem Camp. Andere übernachteten dort zwar nicht, nahmen aber an vielen Versammlungen und den Verhandlungen mit der Stadt teil. Außerdem wohnten laut der Stadt Frankfurt etwa 60 Obdachlose aus Rumänien in den Zelten.

Was bleibt?

Die Frage ist, was von Occupy in Deutschland bestehen bleibt, jetzt, wo das Camp in Frankfurt geräumt wurde. Die Meinungen darüber gehen auseinander. Viel wird es wohl nicht sein, meinen die Experten. Während es für Protestforscher Dieter Rucht die politische Sozialisierung von bisher komplett unpolitischen Menschen ist, ist es für Soziologe Michael Hartmann der Satz: "Wir sind die 99 Prozent". Dieser Satz habe den Blick der Öffentlichkeit auf etwas gelenkt, was vorher so nicht gesehen wurde: "Denn im Kern hat im letzten Jahrzehnt nur das letzte Prozent der Bevölkerung an Einkommen und Vermögen zugelegt", so Hartmann im DW-Interview. Auch wenn Aktivist Buhn Selbstkritik übt und Occupy an einigen Punkten gescheitert sein mag, die Aufgabe der Bewegung sei noch nicht erfüllt, so der 28-Jährige. "Wir wollen die Leute aufmerksam machen, dass das Bankensystem massive Defizite hat. Dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht allzu weit auseinander geht und wir in einer lebenswerten Gesellschaft leben wollen." Sicher könnten sich auch die Deutschen nicht sein, sagt Buhn. "Denn es kann jederzeit passieren, dass die Krise auch in Deutschland Einzug erhält."

Michael Hartmann, Soziologieprofessor an der Technischen Universität Darmstadt. (Foto: Galuschka)
Michael Hartmann: "Dieses Camp wird kaum noch wahrgenommen"Bild: picture-alliance/dpa