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Die Straßennamen von Aksar

7. Juli 2010

Auch ohne Ruhm und Prominenz kann man zu seiner eigenen Straße kommen: Das Projekt "Dein Straßenname in Nablus" verkauft übers Internet Straßenschilder im Flüchtlingslager Aksar. Der Erlös kommt den Jugendlichen zugute.

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Ein Straßenschild als Heiratsantrag (Foto:DW/Viktoria Kleber)
Ein Straßenschild als HeiratsantragBild: Viktoria Kleber
Straßenansicht in Aksar(Foto:DW/Viktoria Kleber)
Die Hälfte der Bevölkerung in Aksar ist unter 18 Jahre altBild: Viktoria Kleber

"Nathalie-willst-du-mich-heiraten-Straße" heißt eine kleine Gasse im Flüchtlingslager in Aksar, östlich von Nablus im Westjordanland. Es sind ungewöhnliche Straßennamen: Twitteraccounts, Firmennamen oder eben ein Heiratsantrag. Der kommt von Erik aus Holland, er wollte seiner Freundin Nathalie einen außergewöhnlichen Heiratsantrag machen, nicht einfach auf die Knie gehen. "Ich dachte, ich mache es ein bisschen respektvoller", sagt er.

Auf der Homepage www.jouwstraatnaam.nl kauft Erik ein Straßenschild in Aksar. Sobald es hängt, ist es auch online zu sehen, er zeigt Nathalie die Homepage. Eigentlich schauen sie nach der Straße für seine Eltern, denn auch für die hat Erik ein Schild gekauft. "Was ist denn das auf der linken Seite?" fragt er sie. Noch bevor Nathalie das Schild zu Ende liest, schaut sie Erik an und sagt "Ja!".

Die Straßennamen werden weltweit verkauft

Im August wird geheiratet, dann stehen Erik und Nathalie vor dem Altar. 100 Euro kostet ein Straßennamen im Flüchtlingslager Aksar. Wie die Gasse heißen soll, das darf der Käufer selbst entscheiden: Alles ist erlaubt: Twitternamen, Websites oder Grüße an den Nachbarn - nur extrem darf’s nicht sein. Die Kunden - verstreut auf der Welt, kommen aus Europa, den USA, Japan oder China. Bestellt wird im Internet, per Mausklick eine Straße im Westjordanland. 127 Straßennamen gibt es in Askar bereits, 73 stehen noch zum Verkauf.

Die Idee kommt aus den Niederlanden, aus Amsterdam. Job van Oel und Basthios Vloeman haben auf einer Reise das Flüchtlingslager besucht, sie wollen helfen, doch nicht nur Geld sammeln. "Uns geht es auch um Sympathie für die Leute und unser Projekt in Aksar", meint Bashtios Vloeman.

Ein Dach für die Kinderhilfsgesellschaft

Amjad Asmar in seinem palästinensischen Kinderhilfswerk mit zwei Kindern (Foto:DW/Viktoria Kleber)
Amjad Asmar in seinem palästinensischen KinderhilfswerkBild: Viktoria Kleber

Das Geld fließt nach Aksar, zur palästinensischen Kinderhilfsgesellschaft PCCS. Hilfe ist nötig. Die Hälfte der 16.000 Menschen in Aksar ist unter 18Jahre alt. Aksar ist von Armut gezeichnet. Rund 85% der Bevölkerung arbeitet nicht, früher war das anders. Viele aus dem Flüchtlingslager reisten Tag ein, Tag aus nach Israel, um dort auf dem Bau Geld zu verdienen, um die Familie zu ernähren. Seit dem Bau des Sperrwalls 2003 hat sich ihre Situation deutlich verschlechtert, die Einreise nach Israel bleibt verwehrt. Keine Arbeit, keine Beschäftigung. Die UNRWA, das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge, hilft heute Aksar zur ernähren, teilt Getreide, teilt Reis aus.

Die Jugendlichen leiden sehr unter der Situation, sagt Amjad Asmar. Vor fünf Jahren hat er die palästinensische Kinderhilfsgesellschaft gegründet. "Die Jugendlichen haben viel Freizeit, aber nichts zu tun, keinen Rückzugsort, keine Rechte und keine Verantwortung." Das wollen Amjad und die palästinensische Kinderhilfsgesellschaft in Aksar ändern. Sie bietet den Jugendlichen Räumlichkeiten, Unterricht und Lernmaterial, veranstaltet Workshops. Für Waisenkinder stellt sie Essen, Schulranzen und Kleider zur Verfügung. Die Großen passen auf die Kleinen auf, sie sollen Verantwortung übernehmen. Im Sommer gibt’s ein spezielles Programm, drei Monate Unterricht non-stop, die Kinder und Jugendlichen sollen beschäftigt werden.

Freiwillige arbeiten als Lehrer, als Therapeuten. Es sind Mütter und Studenten. Professionelles Personal wird gebraucht, doch zuerst soll mit dem Geld das Haus der palästinensischen Kindergesellschaft wetterresistent gemacht werden. Es ist heiß im Sommer, eisig im Winter, ein neues Dach soll her.

Palästinensisches Kind in einem Flüchtlingslager in Amman (Foto:ap)
Die Kinder leiden besonders unter der Situation in den palästinensischen FlüchtlingslagernBild: AP

Jugendliche ohne Aufgabe sind gefährlich

Jugendeinrichtungen im Westjordanland zu unterstützen, sei auch eine politisch kluge Investition, sagt Meir Litvak. Er ist Professor für Geschichte des Nahen Ostens an der Universität Tel Aviv und weiß: Jugendliche ohne Aufgabe können gefährlich werden. "Sie sind ein leichtes Ziel für terroristische Organisationen wie die Hamas." Der beste Weg palästinensischen Gesellschaft zu helfen, sei den Jugendlichen eine Beschäftigung zu geben.

Nicht alle Bewohner in Aksar wissen mit den Straßennamen etwas anzufangen, oft können sie nicht einmal die lateinischen Buchstaben lesen. Ibrahim kann lesen. Er war einer der ersten, die in Aksar ankamen, 1948 ist er aus Holon geflüchtet, südlich von Tel Aviv. Seit der Gründung ist er hier, Ibrahim kennt Aksar wie seine Westentasche, Straßenschilder braucht er nicht. "Aber die Schilder sind schön und haben fröhliche Namen" sagt er, dass sei gut für die Kinder.

32 Enkelkinder hat Ibrahim, es sei eine wilde Horde. Eine von ihnen ist Ahlam, sie geht im Haus der Kinderhilfsgesellschaft ein und aus und sie freut sich auf ein neues Dach. Auch auf Buntstifte und noch mehr Hullahuppreifen. Ihr großer Traum ist eine Barbie. Da müssen wohl noch einige Straßenschilder verkauft werden. Straßenschilder, die die Kindern im Flüchtlingslager Aksar auf den richtigen Weg bringen. Und für manch einen, wie Erik und Nathalie, das traute Glück besiegeln.

Autorin: Viktoria Kleber
Redaktion: Thomas Latschan