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Politik

"Die Sprache ist der Schlüssel für alles hier!"

14. Dezember 2018

Fast 400.000 Flüchtlinge, die seit 2015 nach Deutschland kamen, haben mittlerweile einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz. Wer es bis dahin geschafft hat, weiß schon, wie Deutschland tickt.

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Deutschland Bonn Bad Godesberg Ausbildung syrischer Flüchtlinge
Bild: DW/O. Pieper

Eigentlich hatte Mahmoud Al Homsi ganz andere Pläne für sein Leben. Lehrer wollte der 29-jährige Syrer werden, schließlich hatte er in Damaskus französischsprachige Literatur studiert. Doch dann kam der Krieg. Der Sunnit Al Homsi sollte für die Assad-Truppen kämpfen - und floh. Über die Türkei und die Balkanroute, Mazedonien, Serbien, Ungarn, Österreich nach Deutschland. Ende 2015 landete der Syrer in Bonn. Al Homsi bekam zwar eine Aufenthaltserlaubnis und holte seine Frau nach, merkte aber sehr schnell, dass sein Traum geplatzt war: "Ich hätte noch mal von null an Lehramt studieren müssen. Dafür hatte ich keine Zeit."

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Al Homsis Familie ist verstreut: die Eltern leben in Syrien, die Geschwister in Saudi-Arabien, der Türkei und DeutschlandBild: DW/O. Pieper

Stattdessen wälzte der zurückhaltende Mann lieber eine Broschüre der Bundesagentur für Arbeit (BfA), die alle Ausbildungen in Deutschland auflistet. Und entschied sich für eine Lehre zum Augenoptiker. Seit dem 1. August absolviert Al Homsi seine dreijährige Ausbildung bei Optiker Faßbender im Bonner Stadtteil Bad Godesberg. Und wirkt alles andere als unglücklich darüber: "Es ist ein vielseitiger Job mit sehr guten Zukunftschancen. Ich kann in der Werkstatt arbeiten und Kunden betreuen. Diese Ausbildung ist perfekt für mich."

Erfolgreicher Kampf gegen die deutsche Bürokratie

Mahmoud Al Homsi könnte heute nicht so begeistert über seine neue Perspektive sein, wenn Ulla Faßbender vor drei Jahren nicht so hartnäckig gewesen wäre. Die Augenoptikerin nahm 2016 den einjährigen Kampf mit der deutschen Bürokratie auf, um einen Ausbildungsplatz für einen Landsmann von Al Homsi durchzuboxen. "Ich habe mich einfach durchgebissen. Irgendwann habe ich gesagt, jetzt will ich es wissen." Die 57-Jährige blättert stolz durch einen Stapel Papiere, die sie über das damalige Hin und Her gesammelt hat: Formblätter für Ausbildungsförderung, Korrespondenzen mit der Agentur für Arbeit, Mails an und von der Stadt Bonn. "Ich habe mal versucht, alles aufzuschreiben. Es war damals wirklich eine Katastrophe!", lacht Faßbender.

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"Da war keiner, der gesagt hat: 'Wie kannst Du das machen?'" - Ulla Faßbender über Reaktionen aus ihrem UmfeldBild: DW/O. Pieper

Der erfolgreiche Kampf, Flüchtlingen eine Ausbildung zu ermöglichen, hat sich am Ende für sie gelohnt. Faßbenders Unternehmen, das in den vergangenen zwölf Jahren 21 junge Menschen zum Augenoptiker ausgebildet hat, wurde von der Handwerkskammer Köln im vergangenen Jahr für das hohe soziale Engagement ausgezeichnet. Und dieses Jahr von der Bundesagentur für Arbeit für die exzellente Nachwuchsförderung. "Als ich vor ein paar Wochen die Auszeichnung entgegennahm, habe ich nochmal die ganze Story von 2016 erzählt. Und die von der BA erinnerten sich: 'Ach ja, Sie waren das damals!'"

Flüchtlinge können Fachkräftemangel beheben

Faßbenders Engagement für die jungen Syrer ist aber nicht nur uneigennützig. "Wir haben hier in Bad Godesberg einen hohen Anteil an arabischsprachigen Mitbürgern. Und die haben jetzt einen Ansprechpartner, mit dem ich Kunden gewinnen kann." Außerdem sei es auf dem deutschen Arbeitsmarkt extrem schwierig geworden, junge Menschen für den Beruf des Augenoptikers zu begeistern, klagt Ulla Faßbender: "Wir suchen seit Monaten händeringend nach Fachkräften und nach Auszubildenden. Vermutlich schreckt viele die Arbeitszeiten ab, weil wir hier auch samstags geöffnet haben."

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"Ich schätze an ihm seine Höflichkeit, seine Hilfsbereitschaft und sein handwerkliches Geschick" - Faßbender mit Al HomsiBild: DW/O. Pieper

Mahmoud Al Homsi hat damit kein Problem. Auch nicht mit der Arbeit in der Werkstatt - der Optikerbetrieb fertigt alle Brillen selbst an: "Bei meinem Bruder habe ich früher in der Tischlerei mitgeholfen, von daher bringe ich handwerklich einiges mit." Das Wichtigste, um in Deutschland Fuß zu fassen, sei aber neben Pünktlichkeit und Verlässlichkeit etwas anderes: die Sprache. Al Homsi hat die Sprachprüfung C 1 bestanden, die fünfte auf der sechsstufigen Kompetenzskala, und büffelt weiter fleißig Deutsch auf der Berufsschule. "Du musst Deutsch beherrschen, das ist das, woran viele Flüchtlinge scheitern. Aber die Sprache ist der Schlüssel für alles hier!"

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur