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Die Sparweltmeister protestieren

1. Juli 2010

Die Deutschen glauben an die Heilkraft des Sparens wie sonst kaum jemand. Trotzdem ärgern sich viele über das Sparpaket der Regierung. Woher kommt die Sehnsucht nach dem Sparen – und wo hört die Bereitschaft dazu auf?

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Gruppe von Gartenzwergen mit einem Schild "Gartenzwerge aller Länder, vereinigt euch!" (Foto: AP)
Bild: AP

Geiz ist eine der sieben Todsünden, doch Sparen gilt in Deutschland schon lange als Tugend, erst recht seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Angesichts eines völlig zerbombten und moralisch in Verruf geratenen Landes sehnten sich viele Deutsche nach Sicherheit, auch in materieller Hinsicht. Dafür sparten sie brav, um sich später einmal wieder etwas Schönes leisten zu können: ein Auto, einen Urlaub oder das eigene Häuschen.

Gartenzwerg mit Deutschlandfahne (Foto: Sky Dancer 2000)
Immer her mit der Sparfahne!Bild: Sky dancer 2000

Während viele US-Amerikaner bis heute ihr Vermögen bereitwillig für die Karriere aufbrauchen oder bei Franzosen, Spaniern und Italienern eine gewisse Geldverschwendung zum guten Ton gehört, sorgen die Deutschen seit jeher gern vor. Ihr klassischer Traum vom Glück ist der Bausparvertrag. Und die allgemeine Bereitschaft, aufgrund der herrschenden Wirtschaftskrise den Gürtel gemeinschaftlich enger zu schnallen, ist in Deutschland tatsächlich viel ausgeprägter als in anderen Ländern.

Seelische Notwendigkeit – so oder so

Das beweist nicht zuletzt der aktuelle Konflikt von Kanzlerin Angela Merkel mit US-Präsident Barack Obama und dem französischen Regierungschef Nicolas Sarkozy. Sowohl Sarkozy als auch Obama kritisierten lautstark Merkels Spar-Ideologie und wollen zur Konjunkturbelebung künftig deutlich mehr Geld ausgeben als die deutsche Regierung. Ein Kultur-Streit, der historische Wurzeln hat und bei dem letztlich jeder im Recht ist. Das zumindest meint Stephan Grünewald, Gesellschafts-Psychologe und Geschäftsführer des Markt- und Medieninstituts "Rheingold" in Köln.

Gartenzwerg vor New York Panorama (Foto: Kathrin Matthaei)
So dekadent wie die Amerikaner wollen wir nicht sein...Bild: Katrin Matthaei

Sowohl die Verausgabung als auch das Sparen, so Grünewald, sei eine "seelische Notwendigkeit". Allerdings verschiebt sich je nach nationaler Identität die Gewichtung der Pole. Während etwa US-Amerikaner in Krisenzeiten eher neue, ökonomische Risiken wagen, suchen Deutsche ihr Heil eher im Verzicht. "Die Menschen spüren hierzulande, dass unsere Maximierungskultur an eine Grenze gekommen ist und sind durchaus sparwillig", sagt Grünewald, "nur dürfen die politisch verordneten Kürzungen dann kein reiner Akt der Beschneidung sein." Genau das aber sei das große Manko des Anfang Juni beschlossenen Sparpakets der Merkel-Regierung.

Gerne sparen, – aber auf wessen Kosten?

Dem fehlt es nach Meinung des Rheingold-Analysten sowohl an einer klaren Zielperspektive als auch an einem Gerechtigkeitsprinzip. Beides unverzichtbare Grundvorrausetzungen, die das Sparen in den Augen der Sparer erst sinnvoll erscheinen lassen. "Jeder Sparer muss wissen, wofür er spart. Und jeder Spar-Appell verrauscht, wenn die Bürger das Gefühl haben, es werden nur bestimmte Gruppierungen – etwa die Hartz-IV-Empfänger - zum Aderlass gebeten, während andere Gruppierungen ungeschoren davonkommen", erklärt Grünewald. Kein Wunder von daher, dass neuerdings immer mehr Zweifel an der deutschen Lieblingsbeschäftigung aufkommen. Bei einer Umfrage in der Kölner Innenstadt zeigten sich die meisten Passanten von Merkels Sparpaket jedenfalls überhaupt nicht begeistert und beurteilten die beschlossenen Kürzungen mehrheitlich als ungerecht.

Ein Gartenzwerg mit einem Messer im Rücken (Foto: dpa)
...aber zu viel Spardruck gef�t ihnen auch nichtBild: picture-alliance / dpa

"Wenn unser Herr Bundespräsident einfach hinschmeißt, kriegt der noch eine riesige Abfindung", schimpfte da eine Frau. "Der lebt wie ein Fürst, und bei uns soll der Gürtel immer enger geschnallt werden - dann sollen die da oben mal bei sich selbst anfangen!" Eine Rentnerin befürchtete, dass das Sparpaket "die Kleinen noch kleiner" machen wird, bis der Mittelstand ausgestorben sei. "Dann gibt es nur noch ganz viele Arme und ganz wenige Reiche in Deutschland, und die Reichen sitzen in der Regierung und bei den Banken und kriegen hohe Abfindungen!" Ein Student empfahl deshalb, doch endlich den Spitzensteuersatz zu erhöhen, "damit auch die Besserverdiener Verantwortung für die Krise übernehmen."

Alle wollen mitmachen – auch die Reichen

Ein Ratschlag an die Politik, den Grünewald ausdrücklich befürwortet. Ausgerechnet die betuchte Oberschicht bei den Sparplänen zu schonen, sei psychologisch ein fatales Signal und außerdem auch noch völlig unnötig. Denn so schlecht wie ihr unsozialer Ruf seien die meisten Reichen in Deutschland gar nicht. "Das Interessante an der Spardebatte ist doch, dass viele Besserverdienende fast flehentlich darum bitten, auch einen Beitrag leisten zu können", sagt Grünewald, weil auch wohlhabenden Bürger in Deutschland inzwischen verstanden hätten, dass ohne Opfer für jeden kein Weg aus der Krise führt. Und auf diese Sparbereitschaft der Reichen, so der Kölner Psychologe, hätte die deutsche Politik "viel besser reagieren können, als sie es zurzeit tut."

Autorin: Gisa Funck
Redaktion: Marlis Schaum