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"Facebook ist voll von Umweltthemen"

28. Oktober 2016

Vietnam hat mit einer zunehmenden Anzahl von Umweltproblemen zu kämpfen. Dabei sind die Umweltgesetze eigentlich gut, doch es mangelt an deren Durchsetzung. Warum, erklärt Sonja Schirmbeck von der FES.

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BdW Global Ideas Vietnam Hanoi Fischsterben
Bild: Reuters/Kham

Deutsche Welle: Das Fischsterben in der zentralvietnamesischen Provinz Ha Tinh, die Luftverschmutzung in Hanoi, die Shanghai und Peking übertroffen hat … Vietnams Umweltprobleme nehmen offensichtlich zu. Zahlt Vietnam damit den Preis für viele Jahre rasantes Wirtschaftswachstum?

Es ist richtig, dass wir dieses Jahr große Umweltkatastrophen in Vietnam erleben mussten. Neben den genannten gab es noch eine Jahrhundert-Dürre im Mekong-Delta und parallel zu den hohen Smogwerten in Hanoi ein massenhaftes Fischsterben im Westsee. Der See ist für den Fischfang nicht relevant, hat aber eine große symbolische Bedeutung, da er in unmittelbarer Nähe des Regierungsviertels liegt. Die Umweltproblematik ist offenbar außer Kontrolle. Dass immer mehr Fälle publik werden, zeigt, dass sich die Vorfälle immer schlechter vertuschen lassen.

Die Umweltprobleme haben in jedem Fall etwas mit der raschen Industrialisierung des Landes zu tun. Allerdings muss anerkannt werden, dass hierdurch weite Teile der Bevölkerung aus der Armut befreit werden konnten. Durch das ungebändigte Wachstum haben wir jetzt aber einen Punkt erreicht, an dem die negativen Folgen nicht nur Ökosysteme, sondern auch den sozialen Fortschritt bedrohen: Die Hälfte der Großstadt-Vietnamesen hat umweltbedingte Gesundheitsprobleme, Touristen beschweren sich, dass Strände wie Müllhalden aussehen, und viele Firmen können das verschmutze Wasser nicht einmal mehr für die Produktion verwenden - was auch kein Wunder ist, weil 70 Prozent der Industriezonen Abwässer verklappen, ohne sie ausreichend zu klären.

Ist angesichts der Ereignisse das Umweltbewusstsein in Vietnam gewachsen?

Ich bin seit knapp vier Jahren in Vietnam und mein Eindruck ist, dass die Medienberichterstattung zumindest quantitativ stark zugenommen hat. Aber der größte Unterschied ist: Die sozialen Netzwerke sind voll von Umweltthemen. Und zum ersten Mal bringen Themen wie der Bedarf nach sicheren Lebensmitteln, frischem Trinkwasser, sauberer Luft usw. die Leute tatsächlich auf die Straße. Die wenigen Proteste, die ich in meiner Zeit in Vietnam gesehen habe, haben sich fast alle an der Umweltproblematik entzündet.

Sonja Schirmbeck
Sonja Schirmbeck von der Friedrich-Ebert-Stiftung in HanoiBild: AgfaPhoto GmbH

Wie reagiert die Politik auf die bestehenden Probleme und den Unmut in der Bevölkerung?

Die Demonstrationen werden aufgelöst, es kommt zu Verhaftungen. Es gibt in Vietnam keine Demonstrations- und nur eine sehr eingeschränkte Meinungs- und Pressefreiheit.

Trotzdem zeigen die Stellungnahmen der Regierung, dass die politische Sensibilität für Umweltfragen zugenommen hat. Schon vor den aktuellen Katastrophen wurde eine Reihe von Gesetzen erlassen, um die Situation zu verbessern. Insbesondere die "Green Growth"-Strategie, die Vietnam vom Pfad eines radikalen "braunen" zu einem "grünen" Wachstum bringen soll, ist international gelobt worden. Auch die Wassergesetzgebung des Landes ist im Vergleich mit anderen Schwellenländern wirklich gut. Das Problem ist, dass diese Gesetze viel zu selten angewandt werden.

Woran liegt das?

Es gibt drei wichtige Faktoren. Erstens sind die Gesetze nicht kohärent. Die CO2-Einsparziele der Green Growth-Strategie passen z.B. nicht mit den Selbstverpflichtungen im Rahmen des Klimaabkommens zusammen - und mit den Plänen des Landes zum Ausbau der Kohlekraft schon gar nicht. Zweitens gibt viel zu wenig geschulte Kontrolleure - und hier ist auch die grassierende  Korruption ein Problem. Ich war zum Beispiel vor kurzem in einer Stofffärberei, deren zentrales Problem die Abwasserentsorgung ist. Ich hatte gefragt, ob sich das Kontrollsystem nach dem Formosa-Skandal verschärft hat. Die Betreiber der Firma haben das bejaht. Doch als ich nachgefragt habe, wie sich das auswirkt, wurde angedeutet, dass man die Kontrolleure jetzt einfach etwas häufiger bestechen muss. Drittens wird Gesetzgebung hauptsächlich von oben nach unten gemacht, ohne gute Erfahrungen und Bedürfnisse "on the ground" einzubeziehen.

Ein Beispiel: Wenn die Bevölkerung selbst aktiv wird, kann das als Systemkritik eingestuft werden. Sehr prominent war hier eine Bürgerinitiative, die einen Hanoier Fluss gereinigt hat. Das wurde von der Stadt unterbunden, weil die Bürger eigenmächtig gehandelt hätten. Wenn man die Bevölkerung dazu bringen möchte, nicht nur mehr Umweltbewusstsein zu entwickeln, sondern auch entsprechend zu handeln, ist so etwas natürlich wenig hilfreich.

Deutschland präsentiert sich international gern als Vorreiter im Umweltschutz. Nun kommt der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach Vietnam. Gibt es neue Initiativen bei der deutsch-vietnamesischen Entwicklungszusammenarbeit?

Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht alle Umweltprobleme Vietnams hausgemacht sind und vor Ort gelöst werden können. Hier kann Deutschland mehr tun: Aus meiner Sicht wäre ein kritischer Konsum ein wichtiger Schritt. Man sollte nur Produkte kaufen, die unter guten Standards produziert worden sind. Eine Wanderung durch einen vietnamesischen Nationalpark in Outdoor-Kleidung zu unternehmen, die im gleichen Land mit umweltschädlichen Methoden produziert wurden, ist absurd. 

Bezüglich grünerer Produktion erfahren wir sehr oft in gemeinsamen Projekten mit der vietnamesischen Gewerkschaft, dass Arbeitnehmer und Unternehmen sich der Umweltprobleme, die sie verursachen, immer stärker bewusst sind. Es mangelt ihnen aber an technischem Wissen und an Investitionsmöglichkeiten, um die Produktion umzustellen. Hier sehe ich einen großen Bedarf. Auch bei der Emissionsreduzierung, in der Deutschland Vorreiter ist, könnte es Unterstützung geben. Der Energiebereich ist bereits Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit Vietnam. Das ist wichtig, weil Vietnam zwar nach der Pariser Klimakonferenz beschlossen hat, etwas weniger neue Kohlekraftwerke zu bauen als zunächst geplant, es aber bei einem starken Nettoausbau bleiben soll. Vietnam erwägt dieser Tage auch noch den Einstieg in die Atomenergie. Dabei wäre das Land bestens geeignet für erneuerbare Energien, und zwar sowohl bei Solar- und Windenergie als auch bei Biomasse.

Durch Regierungsstrategien auf dem Papier allein wird sich die angestrebte "grüne Wende" in Vietnam nicht schaffen lassen, dafür müssen alle an einem Strang ziehen.

Sonja Schirmbeck ist stellvertretende Büroleiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Vietnam und Regionalkoordinatorin für Klima-, Energie- und Umweltpolitik in Asien.

Das Interview führte Rodion Ebbighausen.