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"Die Sicherheitslage im Irak ist noch schlechter geworden"

Das Gespräch führte Steffen Leidel 27. Juni 2005

Vor einem Jahr übergaben die USA formell die Macht im Irak an eine Übergangsregierung. Was hat sich verändert? DW-WORLD hat Halim Alhijjaj aus Bagdad gefragt, der dort für deutsche Firmen als Kontaktmann arbeitet.

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Tägliche Anschläge: "Die Menschen reagieren apathisch"Bild: dpa

DW-WORLD: Vor einem Jahr hat US-Präsident Bush die Macht im Irak an die irakische Übergangsregierung übergeben. Ist die Situation im Land in dieser Zeit besser oder schlechter geworden?

Halim Alhijjaj: Die Sicherheitssituation ist nicht besser geworden, in manchen Gegenden sogar noch schlechter. Wirtschaftlich ist die Lage immer noch kritisch, weil viele Betriebe bis heute die Arbeit noch nicht aufgenommen haben. Viele warten auch bewusst ab, bis sich die Sicherheitssituation verbessert hat.

Können Sie Ihren eigenen Alltag beschreiben? Wie läuft Leben im Irak ab?

Das ist eine heikle Frage. Wenn wir früh aufstehen, wissen wir nicht, ob zum Beispiel die Straße gesperrt ist. Wenn wir einen Termin machen und uns mit jemandem verabreden, müssen wir eine Zeitspanne von zwei Stunden einrechnen, weil es oft so lange dauert, bis man den verabredeten Ort erreicht hat. Manchmal platzen wegen Staus und Straßensperren auch die Termine. Auch müssen wir ständig mit Bombenattentaten rechnen.

Jeden Tag berichten die Nachrichtenagenturen von neuen Bombenanschlägen. Wie viel bekommen Sie davon mit?

Vor etwa drei Wochen detonierte eine Bombe nur dreißig Meter neben mir. Ich habe seitdem ein neues Leben und bin wieder erst einen Monat alt. Man ist natürlich froh, wenn man so etwas nicht erlebt, aber es passiert eben jeden Tag.

In welchem Stadtviertel sind Sie denn beschäftigt?

Im Westteil von Bagdad. Die letzten Jahre war ich im Ostteil. Aber da ich jeden Tag zweimal über die Brücke musste, bin ich in den Westteil der Stadt gezogen und wohne jetzt in einem vornehmen Viertel der Stadt.

Wie läuft denn der Alltag in Bagdad ab? Gibt es Versorgungsengpässe, und wie geht es der Bevölkerung?

Allein letzte Woche waren wir vier Tage ohne Wasser. Ein großes Problem ist auch die Stromversorgung. Alle vier Stunden haben wir für zwei Stunden Strom. Bei dieser Hitze ist es unerträglich, wenn die Klimaanlage nicht arbeitet. Besser geworden ist die Lebensmittelversorgung, zumindest ist genug vorhanden. Doch werden die Lebensmittel rationiert, und seit drei, vier Monaten werden diese Rationen nicht mehr ausgegeben. Das ist gerade für die arme Bevölkerung sehr schwer.

Wie ist denn die Stimmung unter den Menschen. Herrscht Optimismus für die Zukunft?

Vor einem Jahr war der Optimismus größer. Auch ich habe damals gedacht, dass es in diesem Jahr spürbar besser werden würde. Heute bin ich skeptischer, und viele in der Bevölkerung wissen nicht, wie es in Zukunft weitergehen soll. Man fürchtet, dass die Auseinandersetzungen weitergehen werden.

Wie präsent sind die US-Truppen in Bagdad noch, und wie steht die Bevölkerung zu ihnen?

Die Soldaten sind noch da und patrouillieren täglich durch die Straßen, auch durch die Nebenstraßen. Die Menschen reagieren apathisch auf die Soldaten.

Wie äußert sich das?

Als das 2003 begann, war man die ersten sechs Monate begeistert. Die Menschen haben den Soldaten zugewinkt und sich sogar mit ihnen unterhalten. Die Kinder sind sogar in die Panzer geklettert und konnten sie sich von innen ansehen. Heutzutage ist das Verhältnis deutlich schlechter. Zu den Konvois der US-Truppen müssen wir hundert Meter Abstand halten, sonst kann einen das das Leben kosten.

Lesen Sie im zweiten Teil, was die irakische Bevölkerung von der Regierung hält und welche Chancen sich deutschen Firmen trotz der prekären Sicherheitslage im Irak bieten.

Denken die Iraker, dass sie jetzt in einer Demokratie leben?

Angesichts der momentanen Schwierigkeiten denkt man daran sehr wenig. Man freut sich zwar, dass man prinzipiell frei ist und auch seine Meinung sagen darf, aber durch die Probleme ist das ein relatives Thema.

Welches Ansehen hat denn die irakische Regierung in der Bevölkerung? Inwiefern wird die wahrgenommen?

Die Regierung hat bis heute keinen Etat beschlossen. Sie beziehen zwar Gehalt, aber der größte Teil der Behörden hat faktisch keine Arbeit. Die Bevölkerung will aber keine Regierung, die immer nur etwas verspricht. Die Menschen wollen Taten sehen.

Und diese Taten fehlen?

Leider Gottes! Gerade die Sicherheitsfrage ist hier momentan die wichtigste.

Kann man denn unter diesen Umständen im Irak derzeit Geschäfte machen?

"Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen", nennt man das in Deutschland wohl. Man muss die Arbeit einfach suchen. Stillstand ist das Schlimmste, was uns passieren kann. Es gibt hier viele Chancen für deutsche Firmen. Die Leute hier bauen immer noch Häuser; dafür brauchen sie Zement, und der ist nicht da. Also ist deutscher Zement hier gefragt. Das ist natürlich nur ein Beispiel. Es gibt hier so vieles: Ersatzteile für Autos. In den letzten zwei Jahren sind über 750.000 deutsche Autos ins Land gekommen. Daran können Sie sehen, wie viele Ersatzteile hier gebraucht werden. Natürlich brauchen wir hier auch Baugeräte.

Haben Sie vor Ort Kontakt zu deutschen Geschäftsleuten? Sind das mehr geworden?

Dazu möchte ich nichts sagen. Es gibt hier Deutsche, die hier auch arbeiten. Aber das ist noch lange nicht das, was wir uns wünschen. Belassen wir es dabei.

Können Sie darüber nicht sprechen, weil diese Menschen dann um ihr Leben fürchten müssen?

Ich bin nicht autorisiert, und ich möchte darüber nicht sprechen.

Hat denn das Interesse der deutschen Firmen am Irak zugenommen?

Die Iraker schätzen die deutsche Wirtschaft sehr und erwarten auch sehr viel von ihr. Steht ein Iraker, der etwas produzieren will, vor der Frage, ob er eine neue Maschine aus Fernost oder eine gebrauchte deutsche anschaffen soll, entscheidet er sich für die gebrauchte aus Deutschland. Die Chancen und Erwartungen hier sind sehr groß.

Die Beziehungen zwischen deutschen und irakischen Firmen waren ja schon in den 1980er Jahren sehr gut. Hat davon etwas überdauert?

Ja und nein. Echte Strukturen aber sicher nicht. Nach dem fast zehnjährigen Embargo sind viele Beziehungen verloren gegangen. Dazu kommt der Generationswechsel. Aber diese Beziehungen könnten sehr schnell wieder in Gang gebracht werden. Uns fragen viele Iraker, ob wir nicht zu dieser oder jener Firma wieder einen Kontakt herstellen können. Wir helfen dann.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Eine gute Verbindung nach Deutschland.

Was sind die Voraussetzungen dafür? Sollen die amerikanischen Truppen noch im Land bleiben?

Überlegen Sie doch mal, wie lange die amerikanischen Truppen nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland geblieben sind. Das klärt sich mit der Zeit, wenn sich hier im Land erst einmal eine starke und souveräne Wirtschaft entwickelt hat.

Dr. Halim Alhijjaj ist Repräsentant der German Industry and Commerce Limited (GIC Ltd.) – einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer (DAIHK) und außerdem Vorsitzender des deutsch-irakischen Clubs in Bagdad. Die GIC berät deutsche Firmen, die im Irak tätig werden wollen. Der Iraker Alhijjaj hat zwischen 1959 und 1976 in Deutschland gelebt und dort studiert. Seit seiner Rückkehr in den Irak wohnt er in Bagdad.