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Kleine Fortschritte, große Aber

Bernd Riegert15. Juni 2016

In Griechenland kommen wenige Migranten an - der Deal mit der Türkei scheint zu funktionieren. Aber wie lange noch? Die EU beharrt weiter auf der Visa-Pflicht für Türken. Ankara beschwert sich. Aus Brüssel Bernd Riegert.

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EU Kommissar Dimitris Avramopoulos (Foto: Picture-alliance/dpa/L. Dubrule)
EU-Kommissar Avramopoulos: EU-Staaten müssen liefernBild: picture-alliance/dpa/L. Dubrule

Jeden Monat muss der zuständige EU-Kommissar in Brüssel einmal über die Umsetzung des Flüchtlingspaktes zwischen EU und Türkei berichten. Jeden Monat hat Dimitris Avramopoulos die gleiche Botschaft zu verkünden: Es kommen nur noch wenige Migranten in Griechenland an, die Umverteilung auf andere EU-Staaten klappt nach wie vor nicht. Der EU-Kommissar redet zwar wolkig von Fortschritten, fügt dann allerdings immer ein dickes mahnendes "Aber" hinzu.

Aber: Türkei erfüllt Bedingungen nicht

Auch in seinem jüngsten Bericht Mitte Juni lobte Avramopoulos, die Türkei habe "spektakuläre" Erfolge vorzuweisen, weil sie 65 der 72 Kriterien der EU für eine Aufhebung des Visumzwangs für türkische Bürger inzwischen erfülle. Aber er wies eben auch auf die sieben Bedingungen hin, die eben noch nicht erfüllt sind. Damit ist die versprochene Visa-Erleichterung zum 1. Juli endgültig vom Tisch, zumal die türkische Regierung wiederholt die verlangte Entschärfung der Anti-Terrorgesetze abgelehnt hat. Der EU-Kommissar wollte kein konkretes Datum für die Visa-Liberalisierung nennen, die Teil des größeren EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens vom März ist.

Personenfähre beim Anlegen (Foto: Getty Images/AFP/O. Kose)
Abschiebung in die Türkei: viel langsamer als geplantBild: Getty Images/AFP/O. Kose

Die Frage ist nun, ob sich die Türkei ihrerseits an ihre Zusagen aus dem Abkommen halten wird und weiter dafür sorgt, dass nur noch durchschnittlich 47 Migranten pro Tag die Ägäis Richtung griechische Inseln überqueren. Die EU-Innenminister hatten bereits letzte Woche zu verstehen gegeben, dass sie den Oktober als Datum für eine Visa-Liberalisierung ins Auge fassen.

Aber: Umsiedlung aus Kriegsregion läuft nicht

Die Zahl der neuen Flüchtlinge und Migranten, die nach Griechenland kommen, sagte EU-Kommissar Avramopoulos, sei drastisch gesunken. Aber das werde auf Dauer nur so bleiben, wenn die EU legale Wege für Asylsuchende öffne. Falls das nicht geschehe, würden Schleuser und Migranten andere Wege nach Europa finden. "Wir müssen etwas Besseres anbieten", so der EU-Kommissar. Deshalb sei eine direkte Umsiedlung von Flüchtlingen und Asylsuchenden direkt aus der Türkei, Jordanien und Libanon dringend geboten. 22 000 Menschen wollten die EU-Staaten so aufnehmen, aber bislang wurden tatsächlich nur 7272 auf diese Weise umgesiedelt.

Aber: Verfahren in Griechenland zu langsam

Durchwachsenes Lob richtet die EU-Kommission auch an Griechenland: Das Organisieren schneller Asylverfahren mache zwar Fortschritte, doch sie reichten noch nicht aus. Auf den griechischen Inseln und auf dem Festland warten Tausende darauf, einen Asylantrag stellen zu können oder einen rechtskräftigen Bescheid zu bekommen. Im Moment hakt es vor allem bei den Berufungsinstanzen. Dazu hat das griechische Parlament neue Gesetze erlassen: Demnach sollen neu geschaffene Berufungsausschüsse die überforderten Gerichte entlasten.

Zwei Frauen vor einem Zelt mit einem Kohlekocher (Foto: DW/J. Hilton/Pulitzer Center
Lager Ritsona bei Athen: Flüchtlinge warten auf Umsiedlung in EU-StaatenBild: DW/J. Hilton/Pulitzer Center

Die EU-Staaten hatten viel Personal für die Asylverfahren in Griechenland versprochen, aber davon ist laut Angaben der EU-Kommission bislang nur ein kleiner Teil tatsächlich angekommen. Seit dem Inkrafttreten des EU-Türkei-Abkommens zur Rücknahme von Migranten ist in Griechenland kein einziges Asylverfahren wirklich abgeschlossen worden. 462 Migranten wurden zwar von den griechischen Inseln in die Türkei zurückgeschoben, aber die hatten auch keinen Asylantrag gestellt.

Aber: EU-Staaten nicht solidarisch

Über 50 000 Migranten und Flüchtlinge sind inzwischen auf dem griechischen Festland gestrandet, schätzt EU-Migrationskommissar Avramopoulos. Griechenland versuche zwar, die Menschen zu versorgen und unterzubringen, aber es sei unmöglich und unfair, die Griechen mit dem Problem alleine zu lassen.

Die EU-Kommission hatte die übrigen Mitgliedsstaaten aufgefordert, pro Monat 6000 Migranten aus den "Frontstaaten" Griechenland und Italien aufzunehmen. Doch diese "Umverteilung" kommt nicht in Gang. Im letzten Monat waren es gerade einmal 780 Migranten, die von anderen EU-Staaten aufgenommen wurden. "Alle Mitgliedsstaaten müssen mitziehen. Wenn die Umsiedlung nicht funktioniert, können wir eine Reform des Dublin-Systems und des Asylrechts in Europa vergessen", ärgerte sich Avramopoulos. Die Dublin-Regel besagt, dass für jeden Migranten oder Asylbewerber das Land seiner ersten Einreise zuständig ist.

Deutsche Marine hilft Flüchtlingen

Aber: Italien läuft langsam voll

Italien nimmt im Moment genau so viele Flüchtlinge und Migranten, die aus dem Mittelmeer gerettet werden, auf wie im vergangenen Jahr. Allein im letzten Monat kamen 14.000. Noch kann Italien das leisten, aber irgendwann laufen die Aufnahmelager voll. Italien müsse durch Umsiedlung entlastet werden, fordert die EU-Kommission, aber dazu zeigen die übrigen Staaten wenig Bereitschaft. Österreich droht mit der Schließung seiner Grenze zu Italien am Brennerpass, falls dort vermehrt Migranten ankommen sollten. Die EU will mit afrikanischen Staaten Abkommen schließen, um die Rücknahme von Migranten zu erreichen, aber bis diese Vereinbarungen greifen könnten, werde noch Monate oder Jahre brauchen, glaubt EU-Kommissar Avramopoulos: "Uns steht ein schwieriger Sommer bevor."