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Die Rückkehr der Globalisierung

Ashutosh Pandey
29. Dezember 2020

Die Pandemie war ein Schreckensmoment der Globalisierung: Der Handel erstarrte, Abhängigkeiten von China wurden offenkundig. Doch seitdem kämpft sich die Globalisierung zurück - allerdings anders als vor der Pandemie.

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China Qingdao | Containerschiff im Hafen
Bild: picture-alliance/ZUMA Wire/SIPA Asia/Y. Fangping

Eine unscheinbare deutsche Biotech-Firma, gegründet von türkischstämmigen Wissenschaftlern, zieht die Investition eines chinesischen Mischkonzerns an und verbindet sich mit einem US-Pharma-Giganten, dessen Geschäftsführer Grieche ist. Gemeinsam produzieren sie das wohl ersehnteste und wichtigste Produkt des Jahres: den Corona-Impfstoff.

Der BioNTech-Pfizer-Impfstoff und die anderen Vakzine, die in Rekordzeit entwickelt wurden und werden - sie erscheinen wie eine Antwort auf die Kritik von Globalisierungsgegnern. Die hatten auf dem Höhepunkt der Pandemie den internationalen Handel und die Zusammenarbeit für tot erklärt.

Dafür hatte es scheinbar gute Gründe gegeben: So hat das Virus die globalen Versorgungsketten unterbrochen, Fabriken stillgelegt und Supermarktregale kurzzeitig leergefegt. In vielen Ländern stockte sogar der Nachschub von lebenswichtigen medizinischen Gütern. Die Coronakrise verdeutlichte, wie sehr sich Unternehmen und Regierungen auf die zum größten Teil von China dominierten globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten verlassen haben. Viele prophezeiten das Ende der globalen Arbeitsteilung und eine Rückverlagerung der Produktion in die Zielmärkte.

China gibt abermals den Takt vor

Monate später gibt es kaum Anzeichen für ein sogenannte "Reshoring". Im Gegenteil: Der Welthandel erlebt einen frischen Aufschwung. Federführend dabei ist auch das umstrittene Vorzeigekind der Globalisierung: China. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt profitiert derzeit von einer gestiegenen Nachfrage nach Schutzausrüstungen und Technologie-Produkten für das Homeoffice.

Es gebe eine Erkenntnis, dass "der Handel eine sehr hilfreiche und effiziente Lösung für die Herausforderungen bietet, die diese Art von Krisen aufwerfen", sagt der Chefökonom der Welthandelsorganisation (WTO), Robert Koopman, gegenüber der DW. "Die Länder erkennen, dass vielfältige Lieferketten eine gute Sache sind." Man könne auch Probleme lösen, indem man auf die Fähigkeiten und das Knowhow anderer Länder zugreife.

Infografik Welthandel wieder im Aufwind DE

Die WTO erwartet, dass der globale Warenhandel in diesem Jahr um etwas mehr als neun Prozent zurückgehen wird, gefolgt von einem Anstieg von etwa sieben Prozent im nächsten Jahr. Im April hatte die WTO für 2020 noch einen Einbruch von bis zu 32 Prozent prognostiziert. Die deutliche Erholung bedeutet, dass die Auswirkungen der Pandemie auf den Handel im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt weitaus geringer ausfallen wird als während der globalen Finanzkrise 2008-2009.

Lieferketten-Resilienz als neuer Trend?

Während Kritiker der Globalisierung mit ihren düsteren Vorhersagen vielleicht voreilig waren, hat die Pandemie auch die Verwundbarkeit von Firmen gezeigt, wenn sie ihre Lieferanten nicht richtig im Auge behalten.

Lieferketten-Experten vermuten, dass Unternehmen ihre Wertschöpfung nun resilienter - also widerstandsfähiger - machen könnten. Dazu stocken sie Lagerbestände auf, suchen Lieferanten, die näher an Zielmärkten sind und nutzen Daten und neue Technologien besser, um das gesamte Spektrum der Lieferketten und der Kunden genauer zu analysieren.

Allerdings sehen viele Experten derzeit kaum einen Rückbau der Produktion in die Zielmärkte - wohl auch weil die Wertschöpfungsketten hochgradig komplex sind. Ein einziges internationales Unternehmen kann Tausende von unabhängigen Zulieferern haben. Diese in einer Region zu bündeln, kann im Fall von Umweltkatastrophen wie Wirbelstürmen, Waldbränden oder Dürren deutlich größere Folgen haben.

"Reshoring ist kostspielig. Es gibt eben nur begrenzte Ressourcen, und wenn Aktivitäten zurückgeholt werden, verlagert man eben auch Ressourcen in Bereiche, in denen sie wahrscheinlich nicht gut eingesetzt sind", so Koopman. Auch wenn es vielleicht einen gewissen Sinn ergebe, um sich für die nächste Pandemie oder Krise zu wappnen. "Das Problem ist, dass man nicht weiß, was die nächste Krise sein könnte."

Hochzeit der Globalisierung

Zwischen 1990 und 2005 erlebte die Globalisierung einen Höhepunkt. Der internationale Handel wuchs doppelt so schnell wie das globale BIP. Gestützt wurde diese Entwicklung durch die Öffnung der Wirtschaft in China, Indien und Europa, die Gründung der WTO und die Förderung regionaler Handelsabkommen.

Einfach erklärt: Wie kam es zur Globalisierung?

Doch der Schwung ging in den letzten Jahren aus. Einige Ökonomen sprechen deshalb bereits von der "Slobalization". Vor allem die Kritik an der ungleichen Verteilung der Globalisierungsfrüchte bremste. Handelsexperte Koopman erwartet eine weitere Belebung des Handels, sobald die Pandemie unter Kontrolle ist und sich die Volkswirtschaften erholen. China, das im November einen Rekord-Handelsüberschuss verzeichnete, werde wohl weiterhin eine starke globale Nachfrage nach seinen Waren verzeichnen. Allerdings könnte die Rolle der Volksrepublik als Welt-Fabrik in den nächsten fünf bis zehn Jahren etwas abnehmen.

Die durch die Pandemie verursachten Schocks werden voraussichtlich dazu führen, dass Unternehmen neben China auch neue Lieferquellen anzapfen werden. Dieser Trend ließ sich auch schon vor dem Coronavirus beobachten und ging vor allem auf den Spannungen zwischen den USA und China und gestiegenen Lohnkosten in der Volksrepublik zurück.

Kostendruck versus Nachhaltigkeit

Viele Experten gehen davon aus, dass Verbraucher weiterhin vor allem günstige Preise wollen und Unternehmen vor allem auf hohe Gewinnmargen schauen. "Ich würde gerne sagen, wir werden sauberer zurückkommen, wir werden grüner zurückkommen, wir werden mit etwas weniger Fokus auf Kostensenkung zurückkommen. Aber das Problem ist, dass man von den Leuten erwartet, dass sie dafür extra bezahlen", sagt Deborah Elms, Geschäftsführerin des Asian Trade Centre. Es stelle sich also die Frage, ob Firmen und Verbraucher in der Welt nach Corona bereit seien, mehr Geld auszugeben als jetzt?

Nach dem Corona-Schock: Globalisierung neu denken!

Elms geht davon aus, dass sich durch die Pandemie angeschlagene Unternehmen in Zukunft noch mehr darauf konzentrieren werden, ihre Kosten unter Kontrolle zu halten. Dabei wird es aber wohl kaum der Effizienz-Rausch sein, wie er in der Zeit von 1990 bis 2005 zu beobachten war. Damals ignorierten die Unternehmen weitgehend jegliche Risiken, um ihre Gewinne zu maximieren.

Doch auch der noch immer brodelnde Handelskrieg zwischen den USA und China als auch die Lehren der Pandemie werden Unternehmen umsichtiger machen. Ein Notfallplan für die Risiken der globalen Wertschöpfung ist nötig. Gleichzeitig werden Unternehmen dennoch versuchen, die Kosten zu senken.

"Das Ergebnis ist das, was ich Reglobalisierung nenne", so der Chefökonom der WTO Robert Koopman. "Es ist eigentlich eine Reorganisation der Globalisierung, bei der das Risiko eine größere Rolle spielt als nur die Effizienz."

Protektionismus als Corona-Erbe

Gleichzeitig könnte die Globalisierung in strategischen Sektoren wie Pharma, Bergbau und Technologie weiter zurückgedrängt werden. Die Coronakrise hat Millionen Arbeitsplätze vernichtet - Tür und Tor für so manche Regierung, mit protektionistischen Handelsansätzen bei der Bevölkerung zu punkten.

Die Geschäftsführerin des Asian Trade Centre, Deborah Elms, erwartet mehr Protektionismus bei der Verteilung von Impfstoffen und Nahrungsmittel - sollte die Pandemie noch lange anhalten. "Länder, die eine Tendenz zum Protektionismus hatten, haben jetzt eine Lizenz zum Superprotektionismus."

Aus dem Englischen adaptiert